Strompreis: Warum die Entlastung nicht bei allen ankommt
Netzentgelte machen den Strom teuer – und sorgen dafür, dass die geplanten Entlastungen nicht direkt beim Verbraucher ankommen. So funktioniert das System.

Die Politik plant großzügige Strompreissenkungen. Doch wie teuer die eigentlich werden, lässt sich schwer abschätzen.
Foto: PantherMedia / septembergirl
„Alles Fachleute hier“, konstatierte Kai Roger Lobo in einem Forum auf den Berliner Energietagen 2025. Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU) hatte die Frage gestellt, ob jemand im Raum meine, dass sich die Beteiligten in der neuen Bundesregierung in dem Moment, wo sie in den Sondierungsgesprächen 0,05 € Preissenkung „für alle“ beim Strompreis verabredet hätten, im Klaren darüber gewesen seien, „was das für die einzelnen Kundengruppen im Einzelnen heißen würde“. Dass sich niemand meldete, ist klar: Der deutsche Strompreis gilt als massiv undurchschaubares Konstrukt. Derzeit sind es neun Preisbestandteile (s. Kasten); ein zehnter, die EEG-Umlage, fiel erst 2023 ganz heraus und wird seitdem über den Bundeshaushalt finanziert.
Strompreis mit zahlreichen Aufschlägen belastet
Hinter jedem Bestandteil steht eine Geschichte, ein politischer Beschluss, mit dem einst die Finanzierung von etwas, was damals als notwendig erachtet wurde, auf den Strompreis aufgeschlagen wurde. Wie bei der EEG-Umlage: Die Finanzierung des Aufbaus von Erzeugungskapazitäten für erneuerbare Energiequellen sollte aus dem als unzuverlässig beurteilten Bundeshaushalt herausgenommen werden. Inzwischen ist Deutschland in Europa bei Erneuerbaren Spitze, da lässt sich das wieder rückgängig machen, was auch passiert ist. Aber das passiert eher selten.
Was sich zum Beispiel hinter der „§19 StromNEV-Umlage“ verbirgt, dürfte noch nicht einmal jedem Angehörigen aus der Energiewirtschaft auf Anhieb einfallen. Seit diesem Jahr ist sie integriert in die „Umlage für besondere Netznutzer“. Die beträgt dieses Jahr 1,6558 Cent/kWh, die „§19 StromNEV-Umlage“ lag bisher bei 0,643 Cent/kWh. Gut 1 Cent/kWh mehr also. „Ein Solidaritätsmechanismus für die Großindustrie, wenn man so will, bezahlt von uns allen“, charakterisiert Lobo diese Umlage.
0,05 € Preissenkung beim Strom kostet bis zu 30 Mrd. €
Und nicht immer gelten alle Bestandteile für jede Kundengruppe. Vor allem die, die Haushaltsstrom beziehen, zahlen alle Umlagen. Die Debatte ist also eröffnet, wie die Bundesregierung für welche Kundengruppe die 5 Cent/kWh realisieren will. Lobo stellte für die Senkung am Montagabend in Berlin eine Hausnummer von bis zu 30 Mrd. € in den Raum, die aufzuwenden seien, wollte man dies wirklich allen Kundengruppen zugute kommen lassen. Auf der Handelsblatt-Tagung „Stadtwerke“ Anfang April hatte bereits Entega-CEO Marie-Luise Wolff von 60 Mrd. € in vier Jahren gesprochen: „Das ist ein bisschen wie Freibier für alle“, zitierte sie das Fachblatt „Energie & Management“.
Der Knackpunkt ist, erklärt Lobo, dass eine Kompensation beim Strompreis im Bereich der Netzentgelte nicht eins zu eins unten ankommt. 3 Cent/kWh Zuschuss heißt also nicht 3 Cent/kWh Entlastung für den Haushaltskunden. Sondern vielleicht nur 2 Cent/kWh, oder 1 Cent/kWh. Und das hat mit der Durchreichung der Netzentgelte von oben nach unten in der siebenstufigen Hierarchie im deutschen Stromnetz zu tun. Sieben Stufen, denn zwischen den vier Netzebenen liegen drei Umspannebenen. „Jede Ebene hat ihre eigenen Netzkosten und die werden eben aufaddiert.“ Und so komme natürlich in der Niederspannung tendenziell das höchste Entgelt an.
Einsparung hängt davon ab, wie viel Netzebenen zwischen Verbraucher und Erzeuger liegen
Trotzdem sei es „hinlänglich kompliziert in der Auswirkung im Einzelfall“, so Lobo, zu bestimmen, wie viel Entlastung bei welchem Kundentyp ankommt. Denn dies hänge auch davon ob, wie viele Netzebenen zwischen dem Kundenanschluss und der obersten Netzebene liegen. Und welche Netzentgelte denn nun wegfallen, bestimmt auch, bei wem etwas davon ankommt. So wird laut Lobo ein Zuschuss zu den Netzentgelten für die Übertragungsnetzbetreiber kurzfristig möglich sein und vor allem die industriellen Verbraucher durchschnittlich hoch entlasten. Das hatte eine vom VKU in Auftrag gegebene Studie bereits im letzten Jahr ergeben. Private und gewerbliche Verbraucher würden mittel entlastet. Der ebenfalls kurzfristig machbare Zuschuss zu den netzbezogenen Umlagen wiederum würde Haushalte und Gewerbe höher entlasten, für die Industrie aber nur geringe Entlastung bewirken.
Industriestrompreis in der EU schwer durchsetzbar
Als Modell wird eine Senkung der Stromsteuer und der Mehrwertsteuer gehandelt. Damit, so Eva Fischer vom Hauptstadtstudio des Bundesverbandes der Energie-Abnehmer VEA, werde einfach der Status quo zementiert: Im VEA hat sich der energieintensivere deutsche Mittelstand organisiert, vom Nudelhersteller über den Papierproduzenten bis zur Stahlverarbeitung. Und der wird bereits bei der Stromsteuer entlastet und schleift die Mehrwertsteuer einfach durch. Ein Nullsummenspiel, also für die mittelständische deutsche Industrie.
Wie also diese Unternehmen entlasten? Einen klassischen Industriestrompreis hält Fischer in Brüssel für nicht durchsetzbar – Stichwort: Subvention. Wohl aber einen Vorschlag, den ihr Verband schon vor zwei Jahren mit der Feuerverzinkungsbranche auf den Tisch brachte: einen Dekarbonisierungsstrompreis, der temporär den Umstieg von fossilen Energieträgern auf klimaneutrale Quellen unterstützt.
Strom ist als Betriebsmittel „Dreh- und Angelpunkt“ für die Industrie
Für die VEA-Mitgliedsunternehmen sei das Betriebsmittel Strom der „Dreh- und Angelpunkt“, so Fischer. Denn entweder würden diese Unternehmen schon recht stromintensiv arbeiten oder sie stünden vor einer Umstellung von energieintensivem fossilen Betrieb auf Strom. Wenn dort aber der Strompreis nicht stimme, werde zunehmend im Ausland investiert, so Fischer. Wenn das nicht wettbewerbsfähig hinzubekommen sei, „kann ich das nicht machen.“ Vor einiger Zeit hatten diese Unternehmen anstehende Investitionen eher verschoben, inzwischen müssen sie investieren, um global im Wettbewerb bestehen zu können. Und dann halt im Ausland, machte Fischer klar.
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