Genial einfach: So macht Seilbahntechnik aus Wasser Strom
Seilbahntechnik zur Stromerzeugung? Ingenieure aus Bayern zeigen, dass es geht: Der 18 m lange Prototyp ihres Gezeitenkraftwerks erreichte im Test 1,5 m/s – und könnte so Europas Energiewende voranbringen.
Forschende aus München entwickeln mit einem Seilbahnbauer ein neuartiges Gezeitenkraftwerk.
Foto: Paul Zenner
Ein Team der Hochschule München hat zusammen mit einem Seilbahn-Unternehmen und Forschenden der Technischen Universität München (TUM) ein Gezeitenkraftwerk entwickelt, das es so noch nicht gab: Ihr „Seilbahn-Kraftwerk“ erzeugt Strom mithilfe kleiner, an einem umlaufenden Seil befestigter Kites. Die Strömung des Wassers treibt die Kites an, sodass sie über Umlenk-Rollen und Generatoren Strom erzeugen.
Der erste Testlauf des 100 kg schweren und 18 m langen Prototyps fand kürzlich im Mittlere-Isar-Kanal bei Landshut statt.
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Wie funktioniert es?
Auf den ersten Blick erinnert die Konstruktion an einen Skilift: An den Enden des Gestells befinden sich Umlenk-Rollen, über die ein Endlos-Seil läuft. An diesem sind kleine Strömungsprofile befestigt, sogenannte „Kites“.
Die Kites sind der Motor des neuen Seilbahn-Kraftwerks. Sie funktionieren nach dem Prinzip eines umgekehrten Skilifts: Nicht die Rollen ziehen das Seil, sondern die von der Strömung erfassten Kites – und treiben so die Generatoren an den Umlenkrollen an.
„Die Kites sind so geformt, dass sie stabil im Wasser liegen, die Strömung effizient in Vortrieb umsetzen und günstig in der Fertigung sind“, erklärt Prof. Robert Meier-Staude. Der Spezialist für Strömungsmechanik an der Hochschule München hat im Projekt cableKites das Design der Kites optimiert.
Die Ähnlichkeit mit einem Skilift ist kein Zufall: Die Idee für das Projekt stammt von den Brüdern Anton und Peter Glasl aus Wackersberg, den Inhabern des Schleppliftbauers enrope GmbH. Ihre Expertise im Seilbahnbau wurde direkt auf die Unterwasser-Anwendung übertragen.
Praxistest im Isar-Kanal
Der Test fand in der Nähe des Stauwehrs Hofham im Mittlere-Isar-Kanal bei Landshut statt. Mit Hilfe eines Krans ließ das Team den 100 kg schweren Prototyp an einem Haken aus Stahl in den Kanal hinab. Zwei Jahre hatten sich die Techniker auf diesen Tag vorbereitet, Konzepte entwickelt, simuliert und realisiert. Zu den Test-Bedingungen erkläutert Meier-Staude:
„Die Location bei Landshut war für den Funktionstest ideal: Die Strömungsgeschwindigkeit im Isar-Kanal beträgt konstante 0,6 Meter pro Sekunde, das ist vergleichbar mit den Bedingungen, die wir auch im Meer vorfinden.“
Das Ziel war, die Funktion des Prototyps zu überprüfen, bevor das System für den Einsatz in echten Gezeitenkraftwerken skaliert wird.
Wie schnell bewegen sich die Kites im Wasser?
Der Praxistest bestätigte die Simulationsergebnisse: „Die Auswertungen zeigen, dass sich die Kites tatsächlich stabil in der Strömung ausrichten und mit bis zu 1,5 Meter pro Sekunde durchs Wasser fliegen“, berichtet Meier-Staude. Das ist mehr als doppelt so schnell wie die Strömungsgeschwindigkeit des Kanals von 0,6 m/s.
Die Bewegung der Kites bezeichnet Meier-Staude bewusst als „Flug“: Sie findet zwar unter Wasser statt, doch die Strömungsdynamik ist grundsätzlich nicht anders als die von Luft.
Die Test-Kites sind aktuell nur rund 1 m lang und 20 cm breit. Im realen Gezeitenkraftwerk, das fünfmal größer werden soll als der Prototyp, müssten sie entsprechend dimensioniert werden.
Wasser vs. Luft: Welches Medium eignet sich besser zur Energieerzeugung?
Die kurze Antwort lautet: Wasser. Denn Wasser ist etwa tausend Mal dichter als Luft. Diese enorme Dichte ermöglicht kompaktere Bauweisen bei gleichem Energieertrag; Die Kites können um den Faktor 1.000 kleiner sein als ein Flügel in der Luft, der die gleiche Energie erzeugt.
Die höhere Dichte des Wassers bedeutet auch, dass schon bei relativ niedrigen Strömungsgeschwindigkeiten von 0,6 m/s – vergleichbar mit langsamen Meeresströmungen – ausreichend Energie gewonnen werden kann. Das macht die Technologie für viele Standorte einsetzbar.
Welches Potenzial bieten Gezeitenkraftwerke für die Energiewende?
„Der Test des Prototyps hat jetzt gezeigt, dass ein Gezeitenkraftwerk mit Seilbahntechnik grundsätzlich realisierbar ist“, resümiert Meier-Staude. „Damit könnte die Technik einen Beitrag leisten zur Energiewende in Europa.“
Im Rahmen des European Green Deal ist geplant, bis 2050 Kraftwerke zur Nutzung der Meeresenergie mit einer Leistung von 40 GWh pro Jahr zu installieren. Gezeitenkraftwerke haben den Vorteil, dass sie – anders als Wind- oder Solaranlagen – vorhersagbare und konstante Energie liefern, da Gezeiten exakt berechenbar sind. Daher wollen die Bayern ihren Prototypen nun weiterentwickeln.
Das Forschungsprojekt lief vom 1. Juni 2023 bis zum 30. September 2025 und wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert. Beteiligt waren der Lehrstuhl für Fördertechnik Materialfluss und Logistik der TUM, die enrope GmbH, die Hochschule München sowie die Stadtwerke München.
Ein Video mit Praxiseinblicken aus dem Forschungsvorhaben finden Sie hier:
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