Bedrohung des Stromnetzes in Deutschland: Ukraine als Vorbild
Was kann die Energiewirtschaft tun, um ihre Anlagen besser zu schützen? Auf dem BDEW-Kongress hieß das Motto: von der Ukraine lernen.

Zerstörte Wohnsiedlung bei Cherson in der Ukraine mit beschädigten Stromleitungen. Auf dem BDEW-Kongress in Berlin hieß das Motto bei der Energiesicherheit: von der Ukraine lernen, wenn es um den Schutz gegen Cyber- und Drohnenangriffe sowie Sabotage geht.
Foto: picture alliance / Anadolu/Kherson Regional Military Administration / Handout
Für Generalleutnant André Bodemann, den Stellvertreter des Befehlshabers Operatives Führungskommando der Bundeswehr, ist die Lage klar: „Wir sind nicht im Krieg, aber eben auch nicht mehr im Frieden.“ Vielmehr sei man in einer hybriden Zwischensituation, betonte er auf dem Jahreskongress des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) am 12. Juni in Berlin. Die Angriffe mehrten sich, berichtete er. „Fest steht, unsere Infrastrukturen sind bedroht.“ Die scharfe Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit existiere nicht mehr, so der Generalleutnant.
„Wir sehen, dass Russland sich vorbereitet, einen Krieg gegen die Nato zu führen“, sagte Bodemann. Deutschland sei wegen seiner geografischen Lage ein besonderes Ziel. Drohnen seien derzeit die größte Bedrohung. Dabei sei die Fähigkeit zu deren Abwehr begrenzt.
Inhaltsverzeichnis
- Drohnen gelten als relevante Bedrohung für die Energiesicherheit
- Deutsche Netzbetreiber können von der Ukraine lernen
- Technik muss für mehr Energiesicherheit europaweit ertüchtigt werden
- IT und Kommunikationstechnik im Energiesektor kritischer Faktor
- Energiesicherheit durch dezentrale Stromerzeugung
Drohnen gelten als relevante Bedrohung für die Energiesicherheit
Dirk Biermann, COO des Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz Transmission, räumt ein, die Netzbetreiber, müssten mehr für die Detektion feindlicher Drohnen tun. „Ich glaube aber, man kriegt es in den Griff“, meinte er – eine entscheidende Frage für die Energiesicherheit. Allerdings sei die Frage, was man dann mit diesen Drohnen mache, eine politische. 50Hertz hat selbst hinreichend Erfahrung in dieser Hinsicht und arbeitet selbst „ganz viel“ mit Drohnen Zum Beispiel inspizieren sie mit KI-Hilfe Stromleitungen.
Dirk Güsewell, COO Systemkritische Infrastrukturen beim Energieversorger EnBW, berichtete in Berlin, man habe das Thema Drohnen fest in die Ausbildungsgänge integriert, denn sie seien „fester Bestandteil beim netztechnischen Betrieb“ und „Effizienztreiber“. Güsewell plädiert für eine breite Aufstellung zur Vermeidung von „Klumpenrisiken“. Für den Ausfall von Betriebsmitteln müssten Reserven vorgehalten werden. Auf der Stromangebotsseite müsse für disponible Leistung gesorgt werden. Insgesamt seien Flexibilität und Improvisation gefragt, um die Energiesicherheit auch in Krisenlagen zu gewährleisten. „Flexibles Reagieren wird zur Schlüssel-Qualifikation“, resümierte er.
Deutsche Netzbetreiber können von der Ukraine lernen
Beispielhaft vorgemacht hat dies aus Sicht der Energiemanager die Ukraine. Sie habe es geschafft, die massiven Zerstörungen ihrer Energieinfrastruktur durch Improvisieren schnell aufzufangen. So konnte die Energiesicherheit gewahrt werden. Dabei geholfen haben auch deutsche Netzbetreiber. „Wir haben in den ersten Kriegswochen die Ukraine synchronisiert“, berichtete 50Hertz-COO Biermann. Das sei „ein ziemliches Ringen“ gewesen, weil man dafür einige Dinge habe anders machen müssen, als manche Regelungen es vorsehen. So sei es wegen mannigfacher Exportvorschriften auch sehr schwierig gewesen, einen Transformator aus Brandenburg in die Ukraine zu bringen.
„Ich bewundere die Kollegen in der Ukraine“, sagte Biermann mit Blick auf deren unkonventionelle Herangehensweise. Sie hätten beispielsweise Erdwälle um Umspannwerke gebaut, um diese zu schützen.
Technik muss für mehr Energiesicherheit europaweit ertüchtigt werden
Die Energiemanager betonen unisono, man könne viel aus dem kürzlichen Blackout in Spanien lernen, insbesondere mit Blick auf die Energiesicherheit. Ebenso wie auch aus dem Umgang der Ukraine mit zerstörter Infrastruktur. Zwar sei die genaue Ursache des Blackouts noch nicht bekannt, doch habe sich gezeigt, wie wichtig starke Interkonnektoren sind, sagt Biermann (Interkonnektoren sind jene Elemente, die die Stromnetze verschiedener Staaten verbinden). Der Netzaufbau sei schnell erfolgt. Man brauche Schwarzstart-Konzepte zum Aufbau von Netzinseln. Die machten schnelles Anfahren von Kraftwerken ohne Strom aus dem Netz möglich.
Auch das sogenannte „n-1-Kriterium“ sei wichtig, so Biermann. Dieses besagt, dass das Stromnetz so abgesichert sein muss, dass beim Ausfall einer Leitung eine andere Leitung einspringen können muss, um den Ausfall des Systems zu verhindern. Das n-1-Kriterium gilt als zentrales Element für Energiesicherheit in Deutschland.
IT und Kommunikationstechnik im Energiesektor kritischer Faktor
Thomas Werner, Geschäftsführer von DNV Energy Systems Germany, nannte drei für die Energiesicherheit relevante Punkte: In den Unternehmen müsse bei den Mitarbeitern das Bewusstsein über Bedrohungen und Sicherheitsanforderungen geschaffen werden. Für den Umgang mit kritischen Situationen seien „Wissen und Können“ zu schulen, um adäquates und schnelles Handeln zu ermöglichen. Dies müsse trainiert werden.
Er verweist darauf, dass es auch bei der Technik große Defizite gebe: „40 % der Funk- und Steuertechnik sind nicht sicher.“ Man sei dabei, an der Software zur „Ertüchtigung“ der Netzbetreiber und zum Wiederaufbau von Netzen zu arbeiten.
Der Vorstandsvorsitzende des Wechselrichterherstellers SMA Solar Technology, Jürgen Reinert, betonte, die bei der Photovoltaik eingesetzten Wechselrichter seien „Leistungselektronik“, die unter anderem auch Schwarzstarts ermöglichen. Wegen der starken Abhängigkeit von Importen bei Komponenten wie Photovoltaikchips sei es aber „machbar, unser Netz in die Instabilität zu treiben“.
Energiesicherheit durch dezentrale Stromerzeugung
Helfen kann bei der Gewährleistung der Energiesicherheit die Dezentralität der erneuerbaren Energien. SMA-CEO Reinert verweist darauf, dass bei dem Blackout in Spanien als Erstes die Kernkraftwerke ausgefallen seien. Sie seien dann auch die Letzten gewesen, die wieder ins System gingen. „Man sollte zudem nicht nur an die Erzeugung denken“, sagt der Solarmann. Bei instabilen Netzen sollten mehr Speicher eingesetzt werden.
Die Bedeutung von Sicherheits- und Abwehrmaßnahmen zeigt sich auch an den wirtschaftlichen Auswirkungen von Angriffen: Mit wenigen Euro könnten millionenschwere Assets vernichtet werden, verdeutlicht DNV-Manager Werner. Für Krisensituationen ließen sich zwei Punkte festhalten: „Extrem wichtig ist die Solidarität der Infrastrukturanbieter untereinander“, sich gegenseitig unbürokratisch zu helfen, schnell und flexibel zu reagieren, betont EnBW-Experte Güsewell. Zudem, so mahnt 50Hertz-COO Biermann, sei eine zentrale, gesamtstaatliche Koordination nötig.
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