Die Angst der Hausbesitzer vor einer energetischen Sanierung
Eigenheim energetisch sanieren? Viele schieben es auf. Welche Ängste dahinterstecken – und warum Abwarten langfristig die teuerste Option ist.
Die energetische Sanierung des Eigenheims bringt eigentlich nur Vorteile, doch viele Hausbesitzer zögern. Oft aus Unsicherheit.
Foto: PantherMedia / GHarder
| Das Wichtigste in Kürze |
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Der Weg zum klimaneutralen Eigenheim fühlt sich für viele Hausbesitzer wie ein unübersichtlicher Marathon an. Dabei ist die Botschaft klar: Wer jetzt nicht saniert, riskiert auf lange Sicht die höchsten Kosten. Umfangreiche energetische Sanierungen auf einen hohen Effizienzhaus-Standard reduzieren die Gesamtausgaben bis 2045 am stärksten.
Sie steigern nicht nur den Immobilienwert, sondern koppeln Sie auch von steigenden Energiepreisen ab. Weil Orientierung und Vertrauen fehlen, hat ein Forschungsprojekt einen unabhängigen Online-Wegweiser entwickelt, der Ihnen hilft, den ersten, oft schwierigsten Schritt zu gehen.
Inhaltsverzeichnis
Warum viele mit der energetischen Sanierung zögern
Was hindert private Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer daran, diesen entscheidenden Schritt zu wagen? Forschende des Reiner Lemoine Instituts (RLI) und weiterer Institute haben sich genau dieser Frage im Projekt „building-dialogue“ gewidmet. Sie stellten fest, dass es nicht am grundsätzlichen Willen mangelt, sondern an der fehlenden Orientierung.
Stellen Sie sich vor, Sie stehen vor einem riesigen Baumarkt voller Werkzeuge, die Sie nicht kennen. So geht es vielen Eigentümern. Sie suchen nach Antworten auf grundlegende Fragen:
- Welche Heizungstechnologie ist die richtige für mein Haus?
- Wie dämme ich effektiv, ohne dass es zu Schimmel kommt?
- Welche Förderprogramme passen zu meinem Einkommen und meinem Projekt?
- Welche gesetzlichen Verpflichtungen kommen auf mich zu?
Marie-Claire Gering, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin am RLI, fasst die zentralen Hürden prägnant zusammen: „Wir haben festgestellt, dass fehlende Orientierung für passende Sanierungsmaßnahmen, Unsicherheiten wegen finanzieller Belastung und die technische Akzeptanz, zum Beispiel von neuen Technologien wie Wärmepumpen, als zentrale Hinderungsgründe für Sanierungsmaßnahmen wirken.“
Gerade private Eigentümer und kleine Wohnungseigentümergemeinschaften (WEGs) verfügen oft nicht über die Zeit und die Fachkenntnis, die dieser Prozess erfordert. Sie brauchen verständliche Informationen, die Umsetzungsschritte, mögliche Stolperfallen und Entscheidungsoptionen beinhalten. Der Bedarf ist da, die Komplexität ist hoch.
Der Kompass für den ersten Schritt
Als direkte Hilfe haben die Forschenden das Online-Tool Building Dialogue entwickelt. Dieses Tool ist als unabhängiger Wegweiser gedacht. Es ist nicht dazu da, die Energieberaterin zu ersetzen, sondern Sie optimal auf den Beratungstermin vorzubereiten. Es führt Sie Schritt für Schritt durch den Sanierungsdschungel:
- Zustandsanalyse: Wie steht es um mein Gebäude? Was ist der individuelle Sanierungsbedarf?
- Maßnahmenüberblick: Welche Modernisierungsmöglichkeiten gibt es (Dämmung, Fenster, Heizung)?
- Fördercheck: Welche staatlichen Zuschüsse und Kredite kann ich nutzen?
- Rechtliches: Welche gesetzlichen Vorgaben muss ich beachten?
Dieser Wegweiser hilft, die Angst vor dem Unbekannten zu nehmen. Wenn Sie vorbereitet in die Energieberatung gehen, sparen Sie Zeit und stellen die richtigen Fragen. Wie Gering betont: „Nutzer können damit optimal vorbereitet in eine Energieberatung gehen, etwas für ihre Immobilie und die Energiewende tun und im besten Fall Geld sparen.“ Der erste Schritt ist immer der schwierigste, aber mit einem klaren Plan wird er machbar.
Nichtstun kostet am meisten
Reden wir Klartext über die Finanzen. Eine energetische Sanierung ist eine hohe Anfangsinvestition, oft im sechsstelligen Bereich. Doch was, wenn diese Investition am Ende die günstigste Option ist?
Eine umfassende Studie der Prognos AG im Auftrag des WWF Deutschland hat die Wirtschaftlichkeit von Sanierungsmaßnahmen bis zum Jahr 2045 durchgerechnet. Das Ergebnis rüttelt an der weit verbreiteten Annahme, dass Sanieren zu teuer sei: Die höchsten Kosten entstehen, wenn gar nicht saniert wird.
Betrachten wir ein typisches Einfamilienhaus:
- Unsaniert: Die Gesamtkosten (für Energiebezug, CO2-Steuer und Instandhaltung) belaufen sich bis 2045 auf rund 89.000 Euro.
- Teilsanierung (nur Gaskessel-Tausch): Wer nur den Gaskessel tauscht, ohne die Gebäudehülle anzufassen, zahlt durchgehend hohe Energiekosten und landet bei circa 94.000 Euro. Das ist die teuerste Variante!
- Umfassend saniert (Effizienzhaus 55/70): Eine Komplettsanierung, die das Haus auf einen hohen Effizienzstandard bringt, senkt die Gesamtkosten auf nur rund 65.000 Euro.
Der Grund ist die immense Einsparung bei den Energiekosten. Im unsanierten Zustand machen diese Kosten bis zu 75 % der gesamten Ausgaben aus. Eine Sanierung ist also keine rein klimapolitische Pflicht, sondern eine knallharte finanzielle Entscheidung gegen das Inflationsrisiko steigender Energiepreise.
Auf die richtige Reihenfolge kommt es an
Der Schlüssel zu dieser Wirtschaftlichkeit liegt in der richtigen Reihenfolge der Maßnahmen:
- Die Hülle zuerst: Kette der Effizienz
Der größte Fehler, den Sie machen können, ist die Heizung zu tauschen, bevor Sie die Gebäudehülle gedämmt haben. Denken Sie daran: Ein unsaniertes Haus verliert enorme Mengen an Wärme durch Dach, Fassade und Fenster.
- Dämmung: Eine effektive Wärmedämmung der Außenwände, des Dachs und der Kellerdecke ist die Grundvoraussetzung. Sie minimiert den Wärmeverlust.
- Fenster: Hochwertige, energieeffiziente Fenster und Außentüren eliminieren die Kältebrücken und erhöhen den Wohnkomfort spürbar.
Ist die Gebäudehülle auf einem modernen Stand, sinkt der eigentliche Wärmebedarf des Hauses drastisch. Nur dann kann das neue Heizsystem seine volle Effizienz entfalten.
- Der zukunftsfähige Wärmeerzeuger: Die Wärmepumpe
Nach der Dämmung ist der Wechsel des Wärmeerzeugers der logische nächste Schritt. Hier spielt die Wärmepumpe ihre Stärken aus. Da das gedämmte Haus nun viel weniger Wärme benötigt, kann die Wärmepumpe kleiner dimensioniert werden und arbeitet optimal, selbst in Kombination mit gängigen Heizkörpern.
Die Wärmepumpe gilt als eine der effizientesten Methoden zur Wärmeversorgung, da sie aus einer Einheit Strom drei bis vier Einheiten Wärme gewinnen kann.
- Unabhängigkeit durch Photovoltaik
Die höchste Kosteneffizienz erreichen Sie, indem Sie die Wärmepumpe mit einer eigenen Photovoltaikanlage (PV) auf dem Dach kombinieren.
Die PV-Anlage erzeugt den Strom, den die Wärmepumpe für ihren Betrieb benötigt. Damit reduzieren Sie nicht nur die Abhängigkeit von externen Versorgern, sondern senken die Gesamtkosten bis 2045 um weitere 5 % bis 8 %. Es ist das zukunftssichere Modell für die Wärme- und Stromversorgung im Eigenheim.
Wertsteigerung inklusive
Die Vorteile sind nicht nur auf die laufenden Kosten beschränkt. Ein energetisch saniertes Gebäude mit einer sehr guten Effizienzklasse (A oder A+) erzielt auf dem Immobilienmarkt deutlich höhere Verkaufserlöse. Untersuchungen zeigen, dass solche Häuser bis zu 25 % bis 30 % höhere Verkaufspreise erzielen können als vergleichbare Gebäude mit schlechten Effizienzklassen.
Sie investieren also nicht nur in niedrige Betriebskosten, sondern sichern den langfristigen Wert Ihrer Immobilie gegen die drohende „Entwertung“ energetisch veralteter Bausubstanz ab.
Die Rolle der Förderungen und die soziale Frage
Trotz der klaren Wirtschaftlichkeit liegt die Sanierungsrate in Deutschland noch immer bei mageren 0,7 % pro Jahr. Um die Klimaziele zu erreichen, müsste sie auf über 2 % steigen.
Die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) ist hier der Schlüssel. Sie senkt die anfänglich hohen Investitionskosten durch Zuschüsse für Einzelmaßnahmen oder zinsgünstige Kredite für Komplettsanierungen. Sie macht die Sanierung erst für breite Bevölkerungsschichten erschwinglich.
Dennoch gibt es Lücken, insbesondere bei der sozialen Gerechtigkeit. Die Studie der Prognos AG zeigt, dass es besonders für ältere Menschen oder einkommensschwache Haushalte schwierig ist, die Vorfinanzierung und den bürokratischen Aufwand zu stemmen. Hier wäre ein stärkerer Einkommensbonus oder eine bessere soziale Staffelung der Förderquoten sinnvoll, um niemanden zurückzulassen und die Sanierungsrate endlich zu beschleunigen.
FAQ – Häufig gestellte Fragen zur energetischen Sanierung
1. Ist eine Teilsanierung sinnvoll?
Eine Teilsanierung (z. B. nur der Austausch des Heizkessels) ist langfristig oft die teuerste Variante. Die hohen Energiekosten des unsanierten Hauses bleiben bestehen. Wirtschaftlich am sinnvollsten sind umfassende Sanierungen auf Effizienzhaus-Standard, weil sie den Energiebedarf stark senken.
2. Was versteht man unter dem Effizienzhaus-Standard?
Der Effizienzhaus-Standard (z. B. EH 55 oder EH 70) beschreibt die energetische Qualität eines Gebäudes. Die Zahl gibt an, wie viel Primärenergie das Haus im Vergleich zu einem gesetzlichen Referenzgebäude (KfW-Referenzhaus) benötigt. EH 55 bedeutet: 55 % des Referenzwerts.
3. Was ist der Unterschied zwischen Primärenergie und Endenergie?
Endenergie: Die Energiemenge, die Sie tatsächlich einkaufen und im Haus verbrauchen (z. B. Gas, Öl, Strom).
Primärenergie: Die gesamte Energiemenge, die für Bereitstellung der Endenergie nötig ist – inklusive Förderung, Transport und Umwandlung. Dieser Wert ist zentral für die Effizienzhaus-Bewertung.
4. Was ist das „Drittelmodell“ bei Mehrfamilienhäusern?
Das Drittelmodell ist ein Vorschlag zur fairen Kostenverteilung bei Sanierungen in Mehrfamilienhäusern. Ziel ist Warmmietenneutralität: Mieter sollen trotz Modernisierungsumlage durch sinkende Energiekosten nicht mehr zahlen. Gleichzeitig soll es Investitionen für Vermieter attraktiver machen.
5. Wie hoch ist die lokale Wertschöpfung einer Sanierung?
Energetische Sanierungen stärken die regionale Wirtschaft. Forschungsergebnisse zeigen: Steigt die Sanierungsquote in einer typischen Kommune um 1 %, kann das jährlich über 380.000 € zusätzliche Wertschöpfung plus entsprechende Steuereinnahmen erzeugen. Das Geld bleibt bei lokalen Handwerksbetrieben und Unternehmen.
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