Myzel statt Mikrochip: Wie Pilze das Rechnen lernen
Pilze als Computer? Forschende züchten lebende Chips, die lernen, denken und nachhaltiger sind als Silizium.
Bio-Computer aus Pilzen könnten Silizium ersetzen: Sie speichern Daten, verbrauchen kaum Strom und sind biologisch abbaubar.
Foto: John LaRocco
Forschende der Ohio State University haben gezeigt, dass Shiitake-Pilze als biologische Memristoren funktionieren können – Bauteile, die elektrische Zustände speichern. Die Pilze können lernen, reagieren flexibel und sind nachhaltig. Sie könnten künftig als Grundlage für lebende, bioelektronische Computer dienen, die weniger Energie verbrauchen und biologisch abbaubar sind.
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Wenn Shiitake plötzlich denkt
Pilze gelten als Überlebenskünstler. Sie zersetzen Holz, reinigen Böden und bilden unterirdische Netzwerke, die kilometerweit reichen. Forschende haben nun entdeckt, dass sie noch etwas können: rechnen. Genauer gesagt – sie könnten eines Tages das Herzstück biologischer Computer bilden. Klingt nach Science-Fiction, doch in einem Labor der Ohio State University wachsen bereits die ersten „denkenden“ Pilze.
Ein Team um den Elektroingenieur John LaRocco hat herausgefunden, dass gewöhnliche Shiitake-Pilze elektrische Signale nicht nur leiten, sondern auch speichern können. Damit verhalten sie sich ähnlich wie sogenannte Memristoren – winzige Bauteile, die sich „merken“, wie viel Strom zuletzt durch sie geflossen ist. Sie funktionieren also ein bisschen wie Synapsen im menschlichen Gehirn.
Vom Kochtopf ins Labor
Für ihre Versuche züchteten die Forschenden Shiitake und Champignons ganz klassisch – nur dass sie sie anschließend in Drähte und Schaltkreise einbanden. Nachdem die Pilze getrocknet waren, verbanden sie sie mit kleinen Elektroden und setzten sie verschiedenen Spannungen aus. Ergebnis: Die Pilze reagierten unterschiedlich stark, je nachdem, wie viel Strom sie zuvor „erlebt“ hatten. Mit anderen Worten – sie lernten.
„Wir konnten beobachten, dass die elektrischen Eigenschaften einzelner Pilzteile variieren“, erklärt LaRocco. „Je nach Spannung und Verbindungsstelle reagierten sie unterschiedlich. Das zeigt, dass Pilze eine Art Gedächtnis besitzen können.“
Kleine Denker mit großem Potenzial
Was die Forschenden besonders überraschte: Die Pilz-Memristoren erreichten beim Speichern elektrischer Zustände eine Genauigkeit von etwa 90 %. Sie konnten fast 6.000 Signale pro Sekunde verarbeiten – eine erstaunliche Leistung für ein Stück Biomasse. Mit steigender Spannung sank die Leistung zwar etwas, aber durch das Zusammenschalten mehrerer Pilze ließ sich das Problem beheben. Fast so, als würde ein Myzelnetzwerk – also das eigentliche Wurzelgeflecht eines Pilzes – gemeinsam denken.
Qudsia Tahmina, Mitautorin der Studie, sieht darin mehr als nur ein kurioses Experiment: „Das zeigt, wie viel wir von der Natur lernen können, wenn wir ihr zuhören.“ Die Idee, biologische Materialien als Datenträger zu verwenden, sei nicht neu – aber Pilze bieten einige Vorteile.
Warum Pilze besser sind als Silizium
Klassische Computerchips bestehen aus Halbleitern wie Silizium und benötigen seltene Metalle, die energieaufwendig gefördert und verarbeitet werden müssen. Pilze dagegen wachsen auf Kompost, sind biologisch abbaubar und brauchen keinen Reinraum, sondern nur ein bisschen Feuchtigkeit und Dunkelheit. Sie verbrauchen kaum Strom, sind günstig herzustellen und könnten am Ende ihres Lebenszyklus einfach verrotten.
LaRocco erläutert einen wichtigen Vorzug: „Die Möglichkeit, Mikrochips zu entwickeln, die neuronale Aktivität nachahmen, bedeutet, dass man im Standby-Modus kaum Energie benötigt. Das kann ein enormer rechnerischer und wirtschaftlicher Vorteil sein.“
Pilze als Rechenmaterial – das klingt zunächst schräg. Doch Bioelektronik ist ein wachsendes Forschungsfeld. Ziel ist es, lebende Systeme mit elektronischen Komponenten zu verbinden. Statt kalter Chips könnten künftige Geräte also tatsächlich wachsen.
Zwischen Natur und Nanotechnik
Schon heute versuchen Forschende, neuronale Netzwerke des Gehirns nachzubauen – sogenannte neuromorphe Computer. Pilze könnten sich hier als ideales Bindeglied zwischen Biologie und Technik erweisen. Denn ihre Zellstrukturen erlauben es, Informationen nicht nur in binärer Form (0 oder 1), sondern analog, also fließend, zu verarbeiten. Das macht sie flexibler – und ein wenig „menschlicher“.
Die Studie aus Ohio zeigt, dass diese organischen Memristoren noch am Anfang stehen. Ihre Größe und Stabilität müssen verbessert werden, damit sie in echte Computer integriert werden können. Doch die Richtung ist klar: Der Weg führt weg vom toten Material, hin zu lebenden, sich selbst organisierenden Systemen.
Tahmina sieht darin auch eine ethische Dimension: „Wir haben erkannt, dass wir nachhaltiger denken müssen. Die Natur bietet uns längst Lösungen, wir müssen sie nur nutzen.“
Vom Labor ins All?
Langfristig könnten Pilz-Computer überall dort nützlich sein, wo klassische Elektronik an ihre Grenzen stößt. Etwa beim Edge Computing – also direkt vor Ort, wo Daten entstehen, oder in der Weltraumforschung, wo kompakte, selbstheilende Systeme gefragt sind. Denkbar sind auch Mini-Anwendungen, die in tragbaren Geräten oder autonomen Robotern arbeiten.
Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt: Vielleicht steuert eines Tages ein Pilznetzwerk die Sensorik eines Marsrovers. Oder ein smartes Gewächshaus, das seine Umwelt selbst analysiert. Und wenn der Computer kaputtgeht? Dann wächst einfach ein neuer.
LaRocco ist überzeugt, dass man klein anfangen kann: „Alles, was man braucht, um mit der Erforschung von Pilzcomputern zu beginnen, kann so klein sein wie ein Komposthaufen und einige selbstgebaute Elektronikgeräte.“
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