Einzelmolekül als Super-Speicher: Quantenchemie macht’s möglich
Neuer Molekül-Magnet speichert 3 TB auf 1 cm² – bei Temperaturen von -173 °C. Ein Schritt zur Datenspeicherung der Zukunft.

Ein neues Molekül, das von Chemikern der ANU und der Universität Manchester entwickelt wurde, könnte den Weg für Hardware der nächsten Generation ebnen, die etwa so groß wie eine Briefmarke ist und 100 Mal mehr digitale Daten speichern kann als aktuelle Technologien.
Foto: Jamie Kidston/ANU
Ein internationales Forschungsteam hat ein Molekül entwickelt, das Daten bis zu 100 Kelvin speichern kann – also bei minus 173 °C. Damit rückt eine neue Ära der Datenspeicherung in greifbare Nähe: extrem kompakt, molekular organisiert und für große Rechenzentren potenziell nutzbar. Der sogenannte Einzelmolekülmagnet könnte die Grundlage für Datenträger der Zukunft werden. Bis zu drei Terabyte auf einem Quadratzentimeter – genug für 40.000 Musikalben auf Briefmarkengröße.
Inhaltsverzeichnis
Die Suche nach dem kleinsten Speicherplatz der Welt
Ob Spotify, Cloud-Dienste oder Videoportale – unser täglicher Datenhunger wächst. Rechenzentren weltweit laufen auf Hochtouren, um diesen Bedarf zu decken. Doch wohin mit all den Daten? Forschende der Universität Manchester und der Australian National University (ANU) könnten eine Lösung gefunden haben – auf molekularer Ebene.
Sie entwickelten einen sogenannten Einzelmolekülmagnet, der Informationen bei Temperaturen speichern kann, wie sie auf der dunklen Seite des Mondes herrschen: bei etwa minus 173 Grad Celsius.
Warum ein Molekül magnetisch speichern kann
Magnetische Materialien sind in der Datentechnik nichts Neues. Auch herkömmliche Festplatten nutzen magnetisierte Bereiche zur Informationsspeicherung. Dabei wirken viele Atome gemeinsam, um einen stabilen Zustand zu erzeugen.
Einzelmolekülmagnete dagegen speichern Informationen innerhalb eines einzelnen Moleküls – ganz ohne Unterstützung benachbarter Atome. Das spart Platz. Allerdings gab es bislang ein Problem: Die bisherigen Moleküle verloren ihre magnetische Ordnung schon bei höheren Temperaturen.
Der neue Ansatz setzt hier an. „Der vom Forschungsteam entwickelte neue Einzelmolekülmagnet kann sein magnetisches Gedächtnis bis zu einer Temperatur von 100 Kelvin behalten“, sagt Professor Nicholas Chilton von der ANU Research School of Chemistry. Das entspricht etwa minus 173 Grad Celsius – und übertrifft den bisherigen Rekord von 80 Kelvin deutlich.
Musikgeschichte trifft Molekülphysik
Was das in Zahlen bedeutet, verdeutlicht ein anschaulicher Vergleich: Mit dem neuen Material könnten auf einer Fläche von einem Quadratzentimeter etwa drei Terabyte gespeichert werden. Das entspricht rund 40.000-mal dem Album „The Dark Side of the Moon“ von Pink Floyd – auf einem Datenträger so groß wie eine Briefmarke.
„Dieses neue Molekül könnte zu neuen Technologien führen, mit denen etwa drei Terabyte Daten pro Quadratzentimeter gespeichert werden könnten“, so Professor Chilton weiter. „Oder etwa einer halben Million TikTok-Videos.“
Kühlung mit flüssigem Stickstoff möglich
Noch sind solche Moleküle nicht alltagstauglich. Die benötigte Temperatur liegt weit unter Raumtemperatur. Doch das Team sieht Fortschritte. Mit 100 Kelvin liegt der aktuelle Wert nun oberhalb der Siedetemperatur von flüssigem Stickstoff (77 K), einem gängigen Kühlmittel.
„Es ist zwar noch ein langer Weg, bis sie in einem normalen Gefrierschrank oder bei Raumtemperatur funktionieren, aber die Datenspeicherung bei 100 Kelvin könnte in riesigen Rechenzentren realisierbar sein“, betont Professor David Mills von der Universität Manchester.
Große Unternehmen wie Google oder Amazon betreiben solche Hightech-Zentren bereits unter kontrollierten Bedingungen. Hier könnte der neue Magnet seine Stärken ausspielen.
Struktur mit Seltenen Erden
Das funktionierende Molekül besteht aus Dysprosium – einem Element aus der Gruppe der Seltenen Erden. Dieses befindet sich eingebettet zwischen zwei Stickstoffatomen. Die ungewöhnlich lineare Anordnung der drei Atome scheint den Schlüssel zur verbesserten Stabilität zu liefern.
Um das Molekül zu stabilisieren, wurde zusätzlich eine chemische Gruppe namens Alken eingebaut. Diese wirkt wie ein molekularer Haltestift und sorgt dafür, dass das Dysprosium exakt zwischen den beiden Stickstoffatomen bleibt. Das Ergebnis: höhere Temperaturstabilität bei gleichzeitig kompakter Struktur.
Rechenzentren als realistisches Einsatzgebiet
Forschende an der ANU entwickelten zudem ein neues Simulationsverfahren. Sie nutzten dafür die Grundgleichungen der Quantenmechanik und setzten auf hochleistungsfähige Supercomputer.
„Damit konnten wir erklären, warum dieser spezielle molekulare Magnet im Vergleich zu früheren Entwürfen so gut funktioniert“, sagt Professor Chilton. Die Simulation berücksichtigte die zeitliche Entwicklung der Elektronenspins im Molekül und lieferte wichtige Erkenntnisse über das magnetische Verhalten bei hohen Temperaturen.
Die Forschenden sehen den aktuellen Stand als Grundlage für weitere Verbesserungen. Ziel ist, künftig noch höhere Speichertemperaturen zu ermöglichen – möglichst ohne flüssige Kühlmittel.
Noch kein Einsatz in Smartphones
Ein direkter Einsatz in mobilen Endgeräten liegt laut dem Entwicklerteam noch in weiter Ferne. Die Kühlung bleibt ein Hindernis. Doch die Fortschritte machen Hoffnung. Zumindest in Serverfarmen oder Cloud-Systemen könnten Einzelmolekülmagnete langfristig Speicherchips ersetzen.
Die Vision: Datenspeicher, die Millionen Songs, Videos oder Dokumente auf einer Fläche von wenigen Quadratzentimetern speichern – energieeffizient, kompakt und molekular organisiert.
Ein Beitrag von: