Quantenmaterial als Schalter: Ein Stoff, zwei Zustände
Quantenmaterialien mit Hitzeschock steuerbar: Neue Methode könnte Elektronik 1.000-mal schneller machen – ganz ohne Silizium oder Laser.

Alberto De la Torre nutzte kontrollierte Erwärmung und Abkühlung, um einen Quantenspringer zwischen einem leitfähigen und einem isolierenden Zustand zu schalten.
Foto: Matthew Modoono/Northeastern University
Ein Forschungsteam konnte erstmals mit einem gezielten Temperaturschock eine stabile, leitfähige Phase in einem Quantenmaterial erzeugen. Die Entdeckung könnte Elektronik-Bausteine rund 1.000-mal schneller machen und neue Wege für energieeffiziente Schaltungen eröffnen.
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Ein Schaltmaterial der nächsten Generation
Stellen Sie sich vor, ein Material könnte auf Knopfdruck zwischen „Strom an“ und „Strom aus“ wechseln – ohne dass Sie dafür zwei verschiedene Substanzen benötigen. Genau das ist nun einem Team der Northeastern University gelungen. Das Material: 1T-TaS₂, ein sogenanntes Quantenmaterial mit komplexen elektronischen Zuständen. Die Technik: ein präzise kontrollierter Hitzeschock, der die Eigenschaften dauerhaft verändert.
„Die dadurch ermöglichte Geschwindigkeit würde einen Sprung in den Terahertz-Bereich ermöglichen“, sagt Alberto de la Torre, Physiker und Mitautor der Studie. Das wäre eine Größenordnung schneller als die heutigen Gigahertz-Prozessoren.
Von Isolator zu Leiter – und wieder zurück
1T-TaS₂ gehört zur Gruppe der Übergangsmetall-Dichalkogenide. Diese zeigen sogenannte Ladungsdichtewellen (englisch: Charge Density Waves, CDW) – regelmäßige Schwankungen der Elektronendichte. Diese Wellen verändern auch die Kristallstruktur des Materials und führen zu verschiedenen elektronischen Phasen.
Beim Abkühlen durchläuft 1T-TaS₂ eine Reihe von Phasen:
- Bei rund 550 K bildet sich eine „inkommensurate“ CDW – das bedeutet: die Elektronenwellen passen nicht exakt zum Kristallgitter.
- Um 350 K folgt eine nahezu kommensurate Phase.
- Bei 175 K entsteht die kommensurate Phase – mit einem starren Gitter, das das Material elektrisch isoliert.
An einem kritischen Punkt – dem Übergang von inkommensorisch zu kommensurabel – setzt das Forschungsteam an. Es erzeugt durch schnelles Abkühlen eine instabile, aber reproduzierbare Zwischenphase mit leitfähigen Domänen.
Thermisches Quenching: Das neue Steuerinstrument
Der entscheidende Schritt: Das sogenannte „thermische Quenching“. Dabei wird das Material mit einer definierten Rate (z. B. 120 Kelvin pro Sekunde) abgekühlt. Genau an der Übergangsgrenze entsteht eine neue gemischte Phase: Domänen mit metallischer Struktur (H-CDW) koexistieren mit isolierenden Bereichen (C-CDW).
Die leitfähigen Bereiche sind zwar lokal beschränkt, aber stabil. „Das Material behält seinen programmierten Zustand über Monate hinweg bei“, so de la Torre. Das ist ein deutlicher Fortschritt gegenüber früheren Experimenten mit Laserimpulsen, deren Effekt nur Mikrosekunden anhielt – und das nur bei sehr tiefen Temperaturen.
Schalten mit Licht oder Hitze – nicht mit Strom
Das Besondere an dieser Methode: Statt auf elektrische oder optische Reize zu setzen, steuern die Forschenden das Material über Temperaturänderungen. Die Erkenntnis eröffnet neue Wege für den Bau energieeffizienter Speicher und Schaltungen.
Gregory Fiete, Physikprofessor an der Northeastern University, erklärt: „Wir beseitigen eine der technischen Herausforderungen, indem wir alles in einem Material vereinen. Und wir ersetzen die Schnittstelle durch Licht in einem größeren Temperaturbereich.“
Das bedeutet: Künftige elektronische Bauteile könnten auf nur einem einzigen Material basieren, das sich je nach Bedarf umprogrammieren lässt – ganz ohne komplizierte Übergänge oder zusätzliche Komponenten.
Stabile Phase durch Domänenkontrolle
Die Forschenden konnten den Effekt mithilfe hochauflösender Röntgenbeugung und Rastertunnelmikroskopie analysieren. Sie beobachteten:
- Unterschiedliche CDW-Strukturen mit gegensätzlicher Chiralität,
- dreifache Periodizität in den H-CDW-Domänen,
- und eine mikroskopische Unordnung entlang der Schichtstapelung.
Letztere verhindert eine durchgehende Leitfähigkeit – ein Nachteil, der sich auch als Vorteil nutzen lässt: Die elektrische Trennung ermöglicht neuartige Architekturen, etwa für nichtflüchtige Speicher oder neuromorphe Schaltungen, die ähnlich wie ein Gehirn Informationen verarbeiten.
Erklärungsmodell aus der Theorie
Die Analyse basiert auf einem erweiterten Landau-Ginzburg-Modell. Es beschreibt den Wettbewerb zweier Ordnungsparameter, die jeweils für eine der CDW-Phasen stehen. Je nach Abkühlrate entsteht eine andere Gleichgewichtslage:
- Bei langsamer Abkühlung überwiegt die isolierende C-CDW.
- Bei extrem schnellem Quenching stabilisiert sich die metallische H-CDW.
- Bei mittlerem Tempo bildet sich ein metastabiler Mischzustand.
Ein Schlüsselfaktor ist dabei der Parameter d₀, der die Dichte und Verteilung der Domänenwände bestimmt – und damit das makroskopische Verhalten des Materials.
Anwendungen: mehr als nur Rechentechnik
Was bedeutet diese Entdeckung für die Praxis? Die Forschenden sehen mehrere Einsatzmöglichkeiten:
- Energieeffiziente Speicher, die Informationen nichtflüchtig – also auch ohne Stromzufuhr – speichern.
- Transistoren auf Basis von Domänen-Architekturen.
- Schaltungen für Quantencomputer und künstliche neuronale Netzwerke.
Diese Anwendungen sind besonders relevant, weil klassische Halbleitertechnologie zunehmend an physikalische Grenzen stößt. Chips werden bereits heute dreidimensional gestapelt, um die Miniaturisierung voranzutreiben. Doch das ist kein unbegrenzter Weg.
„Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir ein neues Paradigma brauchen“, sagt Fiete. „Quantencomputer sind ein Weg, dies zu erreichen, ein anderer ist die Innovation im Bereich der Materialien.“
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