Silizium-basierte „Lewis-Säuren“ entwickelt 20.08.2025, 17:30 Uhr

Der Schlüssel gegen ewige Chemikalien heißt: Supersäuren

Forschende der TU Berlin haben eine neue Klasse Silizium-basierter Supersäuren entwickelt. Diese könnten sogenannte „Ewigkeitschemikalien“, also PFAS, aufbrechen und so eine Möglichkeit für Recyclingprozesse bieten.

Mann in weißer Schutzkleidung begutachtet eine Wasserprobe in einem Glasbehälter

Erstmals eine Lösung für sogenannte Ewigkeitschemikalien gefunden.

Foto: smarterpix / osmar01

Diese Entwicklung könnte einen wichtigen Meilenstein markieren: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Exzellenzclusters UniSysCat an der Technischen Universität Berlin haben erstmals eine stoffliche Klasse synthetisiert, die zuvor nur in theoretischen Arbeiten existierte. Es handelt sich um neuartige Lewis-Säuren, die zu den stärksten bisher hergestellten Vertretern dieser Stofffamilie zählen. Sie basieren auf Silizium und enthalten zusätzlich Halogene, wodurch sie die außergewöhnliche Fähigkeit besitzen, selbst extrem stabile chemische Bindungen anzugreifen. Besonders relevant ist ihr Potenzial beim Abbau von per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen, kurz PFAS, die aufgrund ihrer Hartnäckigkeit in der Umwelt als „ewige Chemikalien“ gelten. Bemerkenswert ist auch, dass diese neuartigen Supersäuren in den Abbauzyklen nicht verschleißen, sondern regeneriert werden können – ähnlich wie Katalysatoren. Damit eröffnen sich Perspektiven für effiziente, nachhaltige Verfahren, die im Sinne der grünen Chemie einen echten Fortschritt darstellen könnten.

PFAS sind für den Menschen nicht durch Geruch oder Geschmack wahrnehmbar, doch sie gelten als hochproblematisch. Studien zufolge können sie langfristig Krebs hervorrufen, die Fruchtbarkeit beeinträchtigen oder das Immunsystem schwächen. Einmal freigesetzt, bleiben sie über Jahrzehnte in der Umwelt zurück, da sie weder durch Sonnenlicht, Wasser noch biologische Prozesse abgebaut werden können. Gerade diese Beständigkeit macht sie zugleich nützlich und riskant: Sie finden Einsatz in wetterfester Kleidung, in Antihaftbeschichtungen bei Kochgeschirr oder auch in Bauprodukten. Doch mit dieser weiten Verbreitung wächst auch das Problem der Belastung. Immer wieder stoßen Fachbehörden in Deutschland auf belastete Flächen, an denen sich PFAS über Jahre angesammelt haben. Hier setzt die Hoffnung an, dass die neuen Supersäuren helfen könnten, die Moleküle unschädlich zu machen – eine Möglichkeit, die bisher fehlte.

Grüne Chemie: die Kraft der Supersäuren

„Die Beständigkeit der PFAS steht in direktem Zusammenhang mit ihren stabilen Kohlenstoff-Fluor-Bindungen, die nur sehr schwer aufzubrechen sind“, erläutert Martin Oestreich, Inhaber einer Einstein-Professur an der TU Berlin und Leiter des Fachgebiets „Organische Chemie/Synthese und Katalyse“. Diese Bindungen beruhen auf der extrem festen Elektronenpaarung zwischen Kohlenstoff- und Fluoratomen. Um sie dennoch zu spalten, braucht es Substanzen, die mit besonderer Vorliebe Elektronenpaare aufnehmen – sogenannte Super-Lewis-Säuren. Anders als klassische Säuren, die man aus dem Alltag kennt, definieren sich Lewis-Säuren nicht über eine bestimmte Zusammensetzung wie Schwefel- oder Salzsäure, sondern über ihre Eigenschaft, Elektronenpaare zu binden. Dieses Konzept geht auf den US-Chemiker Gilbert Newton Lewis zurück, der 1923 neue Grundlagen für das Verständnis von Säuren und Basen legte. Die nun in Berlin geschaffenen Supersäuren zeigen, wie sich chemische Theorien nach fast hundert Jahren in konkrete Anwendungen übersetzen lassen, mit direktem Nutzen für die grüne Chemie.

Die besondere Struktur dieser innovativen Verbindungen macht sie so leistungsfähig. Sie enthalten zwei organische Restgruppen, die mit einem Siliziumatom verbunden sind. Hinzu kommt ein Halogen wie Fluor. „Das führt zu einer irren Gier nach Elektronenpaaren“, beschreibt Oestreich den Effekt. Diese Extremform des Elektronenhungers macht das Siliziumzentrum zu einem aggressiven Angreifer auf die stabilen Bindungen der PFAS. Als anschaulichen Vergleich zieht er einen humorvollen Alltagsmoment heran: „Das Fluor zerrt zusätzlich an den verbliebenen äußeren Elektronen des Siliziums – so wie ich mich nachts vollständig in die gemeinsame Bettdecke wickle, wenn meine Frau und ich in einem französischen Bett übernachten.“ Dieser bildhafte Vergleich zeigt, wie stark der Elektronenmangel das Verhalten dieser neuartigen Supersäuren prägt.

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Grüne Chemie durch neue Syntheseverfahren

Bis vor wenigen Jahren existierten diese supersauren Silizium-Halogen-Verbindungen nur in theoretischen Modellen. Die Umsetzung in die Praxis galt aufgrund erheblicher Hürden bei der Synthese als kaum machbar. Erst 2021 gelang dem Berliner Forschungsteam der wissenschaftliche Durchbruch: Grundlage war die Protolyse, ein Prozess, bei dem schrittweise chemische Gruppen von einem Molekül abgespalten werden, um ein neues Molekül aufzubauen. Oestreich beschreibt es als Übertragung bekannter Prinzipien aus der Kohlenstoff- auf die Siliziumchemie. „Im Prinzip ernten wir jetzt die Früchte unserer damaligen Idee“, betont er. Allerdings waren die Versuche aufwendig: Alles musste in einer sogenannten Handschuhbox unter strengem Schutzgas durchgeführt werden, denn weder Wasser noch Sauerstoff durften in Kontakt mit den höchst reaktiven Stoffen treten.

Ein entscheidender Baustein für den Erfolg war die enge Zusammenarbeit zwischen synthetischer Chemie und theoretischer Modellierung. Martin Kaupp, Leiter des Fachgebiets Quantenchemie an der TU Berlin, unterstützte mit quantenmechanischen Berechnungen, die erstmals die Säurestärke der Moleküle vorhersagten. Ohne diese Berechnungen, wäre der Durchbruch nicht gelungen. Mit Hilfe modernster Methoden wurde die Struktur der Supersäuren nicht nur vorhergesagt, sondern auch vollständig verstanden. Ergänzend bestätigten Kernresonanz-Spektroskopien die erzielten Ergebnisse experimentell.

Supersäuren als Kreislaufkatalysatoren

Besonders interessant ist die Regenerationsfähigkeit der Supersäuren. Zwar verändern sie sich, wenn sie beim Spalten der PFAS-Bindungen Elektronen aufnehmen, doch im weiteren Reaktionsverlauf gewinnen sie voraussichtlich ihr ursprüngliches Potenzial zurück. Damit verhalten sie sich wie echte Katalysatoren: Sie werden zwar verbraucht, lassen sich aber auch wiedergewinnen. Deshalb müssen für die Entsorgung von PFAS voraussichtlich keine riesigen Mengen an Gegensubstanzen hergestellt und eingesetzt werden. Bereits kleine Mengen könnten genügen, um große Schadstoffkonzentrationen unschädlich zu machen.

Ein Beitrag von:

  • Nina Draese

    Nina Draese hat unter anderem für die dpa gearbeitet, die Presseabteilung von BMW, für die Autozeitung und den MAV-Verlag. Sie ist selbstständige Journalistin und gehört zum Team von Content Qualitäten. Ihre Themen: Automobil, Energie, Klima, KI, Technik, Umwelt.

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