Biolabor statt Meerrettich 31.08.2023, 09:53 Uhr

Durchbruch bei Herstellung wichtiger Enzyme: Auch für Krebstherapie geeignet?

Ein Enzym aus dem Meerrettich zählt zu den wichtigsten in der medizinischen Diagnostik. Nun konnte es erstmals im Labor hergestellt werden. Das Forschungsteam der TU Wien sieht sogar Chancen für einen Einsatz in der Krebstherapie.

Meerrettichwurzel

Ein Enzym aus der Meerrettichwurzel konnte erstmals synthetisch hergestellt werden. Das bietet ganz neue Möglichkeiten in der medizinischen Diagnostik und vielleicht sogar in der Krebstherapie.

Foto: Panthermedia.net/eskymaks

Meerrettichperoxidase, auch bekannt als „Horseradish Peroxidase“, spielt eine zentrale Rolle in der medizinischen Diagnostik. Dieses Enzym wird häufig in Medizinprodukten eingesetzt, insbesondere wenn es darum geht, das Vorhandensein von Antikörpern oder anderen Proteinen durch einen Farbwechsel auf Teststreifen anzuzeigen. Forschenden der TU Wien ist nun ein Durchbruch bei der synthetischen Produktion dieses Enzyms im Labor gelungen. Diese hat den Vorteil, dass man künftig nicht mehr auf das „unberechenbare Gemüse“ angewiesen ist, bei dem es immer wieder zu Engpässen kommt.

Mangel an Horseradish Peroxidase bei steigender Nachfrage

Nach Auskunft des Forschungsteams gibt es gerade in letzter Zeit immer wieder Engpässe bei der Verfügbarkeit von Horseradish Peroxidase (HRP), einem Schlüsselenzym in der medizinischen Diagnostik. Derzeit wird es aus Meerrettich gewonnen, was einige Herausforderungen mit sich bringt: Die Ernte ist unregelmäßig, und die Wurzeln produzieren nicht nur ein einziges Enzym, sondern eine ganze Familie ähnlicher Enzyme in unterschiedlichen Mengen.

„Wir erleben derzeit weltweit Engpässe bei der Versorgung mit diesem Enzym“, sagt Prof. Oliver Spadiut vom Institut für Verfahrenstechnik, Umwelttechnik und technische Biowissenschaften der TU Wien. „Das hat auch mit dem Klimawandel und schlechten Ernten zu tun, bei anderen Umweltbedingungen ändert die Pflanze auch die Zusammensetzung der erzeugten Enzyme auf schwer vorhersagbare Weise.“ Gleichzeitig steigt die weltweite Nachfrage: Das Marktvolumen, das der Handel mit Horseradish-Peroxidase in den nächsten Jahren erreichen wird, wird auf über 90 Millionen Euro pro Jahr geschätzt.

Um diese Probleme zu lösen, hat die Technische Universität Wien in jahrelanger Forschungsarbeit eine zuverlässige und präzise Synthesemethode im Labor entwickelt. Der Durchbruch: Die Herstellung von HRP ist nun mit Hilfe von E. coli-Bakterien möglich. Dieses Verfahren produziert exakt reproduzierbar nur ein spezifisches Enzym und kann zudem auf industriellen Maßstab hochskaliert werden. Die TU Wien hat bereits zwei Patente für diese innovative Methode angemeldet und ist nun auf der Suche nach Industriepartnern, um die Technologie weiter voranzutreiben.

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Anwendungsgebiete von Meerretichperoxidase

Wie bereits erwähnt, wird HRP aus der Meerrettichwurzel gewonnen. Sie spielt eine wichtige Rolle in biochemischen Anwendungen, insbesondere in der medizinischen Diagnostik. Das Enzym wird häufig in enzyme linked immunosorbent assays (ELISAs) und anderen immunochemischen Tests verwendet. Es dient als Reporterenzym zum Nachweis der Anwesenheit von Antikörpern oder anderen Proteinen.

Das Grundprinzip der Verwendung von HRP in solchen Tests ist seine Fähigkeit, Farbreaktionen in Gegenwart von Substraten wie TMB (Tetramethylbenzidin) oder DAB (Diaminobenzidin) zu katalysieren. Wenn ein Antikörper oder ein Protein von Interesse an einen Teststreifen gebunden ist, wird HRP und anschließend ein Substrat zugegeben. Das Enzym katalysiert eine Reaktion, die zu einer sichtbaren Farbänderung führt, die das Vorhandensein des nachzuweisenden Moleküls anzeigt.

Das Enzym wird nicht nur in der medizinischen Diagnostik eingesetzt, sondern auch in der Forschung und in industriellen Anwendungen, zum Beispiel in der Abwasserbehandlung, wo es bei der Oxidation von Schadstoffen hilfreich sein kann.

Drei Varianten getestet

Auf der Suche nach dem optimalen synthetischen Enzym untersuchte das Team um Oliver Spadiut verschiedene Varianten. Sie bauten das Gen für die Produktion der Horseradish-Peroxidase in verschiedene Zelltypen ein: Hefezellen, Säugerzellen und E. coli-Bakterienzellen. Alle drei Ansätze führten zur Produktion des gewünschten Enzyms, wobei sich E. coli als die technologisch effizienteste Option erwies. Dieses Bakterium ist in der Biotechnologie bereits gut erforscht und hat sich vielfach bewährt.

Interessanterweise führte der erste Produktionsschritt jedoch nicht zu einem gebrauchsfertigen Enzym, sondern zu einem so genannten „inclusion body“. Das ist ein Protein, das biochemisch dem gewünschten Enzym ähnelt, aber noch nicht richtig gefaltet ist. In einem weiteren Prozessschritt muss dieses Protein entfaltet und in die richtige Form gebracht werden, ähnlich wie ein Wollknäuel aufgewickelt und neu geformt wird.

Auf dem Gebiet der Verarbeitung von Einschlusskörperchen hat das Team um Oliver Spadiut viel Erfahrung. So ist es ihnen an der TU Wien als erstem Forschungsteam weltweit gelungen, ein zuverlässiges und reproduzierbares Verfahren zur Herstellung von Horseradish-Peroxidase zu entwickeln. Die Patente sind bereits angemeldet, das Verfahren technisch ausgereift. “ Wir könnten morgen damit beginnen, die Methode auf industrieller Skala anzuwenden“, erklärt Oliver Spadiut. „Wir haben hier nicht bloß ein theoretisches Konzept, sondern eine erprobte Methode, die reif für die industrielle Anwendung ist“.

Eignet sich das Enzym auch zur Krebstherapie?

Mit der erfolgreichen Entwicklung einer hochreinen und präzise definierten Methode zur Herstellung von Horseradish Peroxidase eröffnen sich nach Meinung des Forschungsteams völlig neue Anwendungsmöglichkeiten, die über die medizinische Diagnostik hinausgehen. „Man könnte zum Beispiel die Horseradish Peroxidase nun auch für die Krebstherapie einsetzen, indem man sie an Antikörper koppelt, die dann ganz spezifisch an Krebszellen andocken“, sagt Oliver Spadiut.

Spadiut weiter: „Wir gehen daher davon aus, dass das Marktvolumen von Horseradish Peroxidase durch viele neue Anwendungen sogar noch drastisch steigen könnte“. Um die technologische Umsetzung dieser vielversprechenden Erfindung rasch voranzutreiben, plant Spadiut Gespräche mit interessierten Pharmaunternehmen aufzunehmen.

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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