Wie gefährlich sind Erdraketen beim Glasfaserausbau?
Ende September kam es zu einer gewaltigen Explosion, als eine Erdrakete eine Gasleitung traf. Das wirft Fragen zur Sicherheit auf.
Am 25. September traf eine Erdrakete eine Gasleitung. Es kam zu einer Explosion, die ein Wohn- und Geschäftshaus einstürzen ließ.
Foto: picture alliance/dpa | Thomas Frey
Beim Glasfaserausbau kommen häufig sogenannte Erdraketen zum Einsatz – pneumatische Bodenverdrängungshämmer, die Kabel ohne offene Gräben unter Straßen und Wegen hindurchtreiben. Das spart Zeit, Geld und Ressourcen. Doch die Technik hat Tücken: Immer wieder werden dabei Gas-, Strom- oder Wasserleitungen beschädigt.
Die Folge können Explosionen, Versorgungsausfälle oder rechtliche Konsequenzen sein. Wie gefährlich das Verfahren wirklich ist, welche Sicherheitsvorschriften gelten und warum das größte Risiko nicht in der Technik selbst liegt, sondern im System – darum geht es in diesem Beitrag.
Inhaltsverzeichnis
- Wenn der Glasfaserausbau in einer Explosion endet
- Warum Erdraketen so beliebt sind
- Eine Technik mit Tücken
- Wenn die Planung zum Glücksspiel wird
- Das BIL-Portal – digitale Hilfe gegen das Planungschaos
- Die Sache mit den Erschütterungen
- Sicherheit beginnt mit Ausbildung
- Spülbohrung – die steuerbare Alternative
- Haftung und rechtliche Folgen
- Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Wenn der Glasfaserausbau in einer Explosion endet
Es war ein ganz normaler Nachmittag im Westerwald – bis plötzlich der Boden bebte. Am 25. September 2025 erschütterte eine Gasexplosion den rheinland-pfälzischen Ort Daaden-Herdorf. Trümmerteile flogen bis in angrenzende Gärten, ein Wohn- und Geschäftshaus wurde vollständig zerstört. Acht Menschen wurden verletzt, darunter ein Jugendlicher mit schweren Verbrennungen.
Wie die Tagesschau berichtete, hatte eine Baufirma zuvor mit einer Erdrakete Glasfaserkabel verlegen wollen. Dabei wurde offenbar eine Gasleitung getroffen. Obwohl Anwohner bereits Gasgeruch bemerkt hatten, ließ sich die Katastrophe nicht mehr verhindern. „Die Wände waren weg, der Dachstuhl lag auf der Erde. Da war es richtig am Brennen“, erinnert sich Augenzeuge Dirk Kosbab.
Nach dem Unglück versprach die Deutsche Telekom, künftig keine Erdraketen mehr einzusetzen, wo Gasleitungen liegen. Bürgermeister Helmut Stühn sagte: „Wir wollen das Sicherheitsempfinden der Bürger verbessern.“ Ein lokales Ereignis – aber kein Einzelfall.
Warum Erdraketen so beliebt sind
Beim Glasfaserausbau ist Tempo gefragt. Deutschland hinkt beim schnellen Internet hinterher. Millionen Meter Kabel müssen verlegt werden – möglichst kostengünstig und schnell. Offene Gräben durch ganze Straßenzüge zu ziehen, wäre teuer, laut und langwierig.
Die Lösung heißt grabenloses Bauen. Statt Baggern werden pneumatische Bodenverdrängungshämmer eingesetzt – kurz: Erdraketen. Diese bis zu zwei Meter langen Geräte arbeiten sich Stoß für Stoß mit Druckluft durch den Boden. Sie verdichten das Erdreich vor sich und schaffen gleichzeitig eine Hohlschneise, durch die später das Schutzrohr oder Glasfaserkabel eingezogen wird.
Das Verfahren bietet viele Vorteile:
• Straßen bleiben offen, der Verkehr fließt weiter.
• Es fällt kaum Aushubmaterial an.
• Lärm, Abgase und Sperrungen entfallen weitgehend.
• Es spart Zeit und Kosten.
Kein Wunder also, dass Kommunen und Baufirmen diese Methode schätzen. Sie gilt als effizient und umweltfreundlich – solange alles nach Plan läuft.
Eine Technik mit Tücken
Was viele nicht wissen: Der Weg einer Erdrakete lässt sich nur bedingt steuern. Anders als bei modernen Spülbohrsystemen wird der Verlauf nicht aktiv überwacht. Die Rakete arbeitet sich – gewissermaßen blind – durch den Untergrund. Fachleute sprechen daher von einem „Black-Box-Verfahren“.
Trifft die Rakete auf ein Hindernis – etwa einen Stein, eine alte Leitung oder Betonreste –, kann sie abgelenkt werden. Im schlimmsten Fall bohrt sie sich in eine Gas- oder Stromleitung. Genau das ist in Daaden passiert.
Ein weiteres Risiko betrifft die neu verlegten Rohre selbst. Durch die punktuelle Belastung beim Auftreffen auf Hindernisse entstehen sogenannte Kerbwirkungen oder Punktlasten. Diese können die Lebensdauer des Schutzrohres erheblich verkürzen – von ursprünglich rund 100 Jahren auf nur 20 bis 30 Jahre. Fachleute empfehlen daher, Rohre aus besonders widerstandsfähigem Material wie PE 100-RC (Polyethylen mit erhöhter Kerbunempfindlichkeit) zu verwenden.
• DIN 4150-3: Erschütterungen im Bauwesen
• DIN 18319: Leitungsbauarbeiten ohne Graben
• DGUV Regel 103-003: Arbeiten im Bereich von Versorgungsleitungen
• DVGW-Arbeitsblatt GW 315: Sicherheit bei Bauarbeiten im Bereich von Gas- und Wasserleitungen
Wenn die Planung zum Glücksspiel wird
Das größte Risiko liegt nicht in der Rakete selbst, sondern in der Vorbereitung. Deutschland hat kein zentrales, vollständiges Leitungskataster. Viele Versorgungsleitungen stammen noch aus den 1950er- oder 1960er-Jahren – oft ohne exakte Dokumentation.
In manchen Fällen existieren Pläne nur auf Papier oder sie liegen bei verschiedenen Netzbetreibern in unterschiedlichen Formaten vor. „Das ist wie Russisch Roulette im Untergrund“, formulierte es ein Tiefbauleiter in einem Erfahrungsbericht der Stadtwerke Rostock.
Treffen Bauunternehmen auf unvollständige Daten, bleibt oft nur eine Lösung: schürfen. Vor Beginn der Bohrung müssen Suchschlitze angelegt werden – kleine Testgräben, mit denen die genaue Lage bestehender Leitungen überprüft wird. Diese sogenannte Freilegungspflicht ist rechtlich verbindlich und gehört zur Sorgfaltspflicht des Auftragnehmers.
Das BIL-Portal – digitale Hilfe gegen das Planungschaos
Um diese Informationslücke zu schließen, wurde das BIL-Portal (Bündnis Infrastruktur-Leitungs-Auskunft) geschaffen. Es ist eine digitale Plattform, die Anfragen zu vorhandenen Leitungen bündelt und an die zuständigen Betreiber weiterleitet.
Die Idee: Wer im Boden arbeitet, kann vorab prüfen, welche Gas-, Strom-, Wasser- oder Telekommunikationsleitungen im Weg liegen. Inzwischen sind über 1000 Netzbetreiber angeschlossen – aber längst nicht alle. Für Baufirmen bedeutet das: Auch wenn das BIL-Portal genutzt wird, müssen sie weiterhin alle verfügbaren Quellen abfragen, um sich rechtlich abzusichern. Das Portal ist damit ein wichtiger Fortschritt, aber noch kein Allheilmittel. Fehlende oder ungenaue Einträge können weiterhin gefährlich werden.
Die Sache mit den Erschütterungen
Neben Leitungstreffern droht eine weitere Gefahr: Erschütterungen. Wenn die Rakete im Boden arbeitet, entstehen Schwingungen, die sich auf benachbarte Bauwerke übertragen können. Besonders ältere Gebäude oder brüchige Leitungen reagieren empfindlich.
Die zulässigen Grenzwerte sind in der DIN 4150-3 geregelt. Sie definiert, ab welcher Schwinggeschwindigkeit (in Millimetern pro Sekunde) Risse oder Schäden an Gebäuden auftreten können. Für Wohngebäude liegt dieser Grenzwert bei etwa 5 mm/s, für empfindliche Bauwerke wie Kirchen oder Denkmäler teils darunter.
In der Praxis werden diese Werte durch Messungen überwacht. Moderne Firmen nutzen Erschütterungsprognosen, um schon vor Baubeginn zu berechnen, wie stark die Bodenerschütterung voraussichtlich sein wird. Damit lassen sich Schäden meist vermeiden – vorausgesetzt, die Arbeiten werden fachgerecht ausgeführt.
Sicherheit beginnt mit Ausbildung
Der sichere Umgang mit Erdraketen setzt geschultes Personal voraus. Hersteller wie Tracto-Technik oder HammerHead bieten spezielle Anwenderschulungen an. Die Lehrgänge decken Themen wie Wartung, Bohrplanung, Materialkunde und Arbeitssicherheit ab.
Für Beschäftigte gelten zudem die Regelungen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV). Sie fordert, dass alle Personen, die Erdraketen bedienen, über ausreichende Fachkenntnisse verfügen und geeignete persönliche Schutzausrüstung tragen. Dazu gehören Helm, Schutzbrille, Handschuhe und Sicherheitsschuhe – aber auch ein klarer Ablaufplan für den Notfall.
Spülbohrung – die steuerbare Alternative
Eine Alternative zur Erdrakete ist die sogenannte Spülbohrung (HDD – Horizontal Directional Drilling). Dabei wird der Bohrkopf durch Spülflüssigkeit geführt und kann präzise gesteuert werden. Sensoren erfassen kontinuierlich den Verlauf der Bohrung. So lassen sich Hindernisse frühzeitig erkennen und vermeiden.
Der Nachteil: Das Verfahren ist teurer, aufwändiger und nicht überall praktikabel. Für kurze Distanzen unter Gehwegen oder Zufahrten ist die Erdrakete meist wirtschaftlicher. Viele Bauunternehmen kombinieren beide Verfahren je nach Situation.
Haftung und rechtliche Folgen
Kommt es dennoch zu einem Schaden, ist die Lage eindeutig: Der Verursacher haftet. Das gilt sowohl für Sachschäden als auch für mögliche Personenschäden.
Wird beispielsweise eine Gasleitung beschädigt, können die Folgen gravierend sein – bis hin zur strafrechtlichen Verfolgung wegen fahrlässiger Körperverletzung oder Gefährdung. Versicherungen decken nur dann, wenn nachweislich alle Vorschriften eingehalten wurden: Leitungsanfragen, Freilegungen, Sicherheitsabstände.
Auch die Auftraggeber – etwa Kommunen oder Telekommunikationsunternehmen – tragen eine Mitverantwortung. Sie müssen sicherstellen, dass ihre Subunternehmer korrekt arbeiten und dokumentieren.
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
In der Theorie ist alles geregelt: Normen, Portale, Schulungen, Pflichten. In der Praxis aber bleibt der Glasfaserausbau ein riskantes Unterfangen – vor allem wegen der Vielzahl an Beteiligten. Rund 300 Unternehmen sind bundesweit im Glasfaserausbau aktiv, schätzt der Bundesverband Glasfaseranschluss (BUGLAS).
„Schwierig wird es manchmal dann, wenn die Versorgungsleitungen schon vor mehreren Jahrzehnten verlegt und nicht vernünftig dokumentiert worden sind“, sagt BUGLAS-Geschäftsführer Wolfgang Heer gegenüber der Tagesschau. Das betreffe allerdings auch andere Bauverfahren.
Auch Professor Karsten Körkemeyer von der Technischen Universität Kaiserslautern-Landau hält die Technologie grundsätzlich für sicher: „Erdraketen werden standardmäßig und häufig verwendet. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zum nachhaltigen Tiefbau.“ Doch er betont auch: Entscheidend sei die sorgfältige Erkundung der vorhandenen Leitungen.
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