U6-Verlängerung: So entsteht der Tunnel nach Martinsried
München baut die U6 weiter: In Martinsried entsteht ein Tunnelprojekt, das Wissenschaft, Stadtentwicklung und Baukunst verknüpft.

Die U-Bahnlinie 6 in München wird bis zum Forschungscampus Martinsried verlängert - ein anspruchsvolles Bauprojekt.
Foto: PERI Deutschland
München wächst – nicht nur in der Fläche, sondern auch in seiner Infrastruktur. Ein Beispiel dafür liefert die Verlängerung der U-Bahnlinie U6 nach Martinsried. Dort entsteht derzeit ein neuer Tunnelabschnitt, der nicht nur den Verkehr entlasten soll, sondern auch den direkten Zugang zu einem der wichtigsten Forschungsstandorte Europas schafft.
Martinsried im Südwesten der Stadt beheimatet eine Vielzahl wissenschaftlicher Einrichtungen, darunter das Biomedizinische Zentrum der LMU München und das Max-Planck-Institut für Biochemie. Diese Zentren werden künftig direkt an das Münchner Nahverkehrsnetz angeschlossen – und zwar durch eine Verlängerung der Linie U6. Gerne auch als Wissenschaftslinie bezeichnet.
Inhaltsverzeichnis
Ein Kilometer Zukunft
Die neue Trasse der U6 führt rund einen Kilometer über den aktuellen Endpunkt Klinikum Großhadern hinaus bis nach Martinsried. Ab 2027 sollen dort die ersten Züge fahren – vorausgesetzt, die abschließende Testphase verläuft reibungslos. Gebaut wird seit Februar 2023, und bislang läuft alles nach Plan. „Wir haben noch einiges vor uns, liegen aber genau im Zeitplan“, sagt Bauleiter Chris Freudenberg von der ausführenden Baufirma LEONHARD WEISS.
Inzwischen sind über 340.000 m³ Erde und Kies ausgehoben, mehr als 3.700 Bohrpfähle eingebracht, und auch der Rohbau des neuen Bahnhofs nimmt sichtbar Gestalt an. Etwa drei Viertel des Tunnels werden bis Ende 2025 fertiggestellt sein – trotz anspruchsvoller Baugrundverhältnisse und komplexer Technik.
Wissenschaftslinie mit Symbolkraft
Die U6 gilt als zentrale Lebensader für den Wissenschaftsraum München. Bereits heute verbindet sie den Campus Garching im Norden mit dem Klinikum Großhadern im Süden. Die neue Endstation Martinsried vervollständigt diese Linie – auch bekannt als „Brain Train“ – und bringt so unterschiedliche Forschungs- und Bildungseinrichtungen enger zusammen.
Für Studierende, Lehrende und Forschende verkürzt sich nicht nur der Weg, sondern es entsteht eine symbolische wie funktionale Verbindung zwischen Spitzenforschung und öffentlichem Nahverkehr. Ein modernes Mobilitätskonzept trifft auf wissenschaftlichen Fortschritt.
Schwieriger Boden, clevere Technik
Der Baugrund in Martinsried ist alles andere als ideal. Teile des Geländes wurden in den 1950er Jahren als Deponie genutzt. Altlasten, instabile Schichten und inhomogener Boden stellen das Bauteam vor besondere Herausforderungen. „Manche Bereiche lassen sich nicht mit Radladern befahren. Wir mussten Geogitter verlegen und mit Recyclingmaterial stabilisieren“, erklärt Chris Freudenberg.
Dazu kommt das Grundwasser, das quer zur Tunnelachse verläuft. Eine eigens errichtete Pumpanlage führt das Wasser temporär über Rohre an der Baustelle vorbei – oben aus dem Boden heraus, unten wieder hinein. Später übernimmt eine durchlässige Kiesschicht unterhalb der Tunnelkonstruktion diese Aufgabe dauerhaft.

In bis zu 12 m Tiefe werden Bodenplatte, Wände und Decke aufgelöst, also unabhängig voneinander hergestellt. In Taktlängen von jeweils 10 m werden zuerst die Außenwände im Pilgerschrittverfahren betoniert.
Foto: PERI Deutschland
Deckel drüber, Tunnel drunter
Ein besonderer Abschnitt liegt unter der Straße „Am Klopferspitz“. Um dort den Verkehr nicht über Monate zu sperren, wurde auf eine sogenannte Deckelbauweise gesetzt. Das Prinzip: Zunächst entsteht ein Beton-Deckel über dem künftigen Tunnel. Danach wird darunter weitergebaut, während der Straßenverkehr oberirdisch weiterläuft.
Diese Methode kommt auch an der Elisabeth-Stoeber-Straße zum Einsatz – immer dann, wenn der Platz beengt ist oder wichtige Verkehrsadern überquert werden. Stählerne Träger, Unterwasserbeton und spezielle Entlüftungsrohre sorgen dabei für Sicherheit, Dichtigkeit und Stabilität.
Bahnhof mit Zellstruktur
Der neue U-Bahnhof wird nicht nur funktional, sondern auch architektonisch besonders. Elf große Öffnungen in der Decke lassen Tageslicht in den unterirdischen Raum fallen. Ihre Formen erinnern an biologische Zellstrukturen – ein bewusster Verweis auf die benachbarten biomedizinischen Institute.
Für diese komplexen Geometrien kommen speziell angefertigte Schalungskörper zum Einsatz. Der Beton muss mit äußerster Präzision gegossen werden. Sichtbeton – also Beton, dessen Oberfläche nach außen sichtbar bleibt – verlangt hohe Sorgfalt: „Sichtbeton im Ingenieurbau ist eine besondere Herausforderung“, betont Freudenberg. „Vor allem bei großen Bauteilen mit viel Bewehrung, wie sie im Tunnelbau üblich sind.“
Ein kleines Modell half dem Team im Vorfeld dabei, die Qualität und Umsetzbarkeit der architektonischen Anforderungen zu prüfen.
Hydraulik ersetzt den Kran
Auf der Tunneltrasse selbst wird mit innovativer Technik gearbeitet. Die Wände des Tunnels werden einseitig gegen die Bohrpfahlwände betoniert – eine ungewöhnliche Methode. Das Besondere: Die Schalungseinheiten lassen sich hydraulisch in Längs- und Querrichtung bewegen, ganz ohne Kran. Entwickelt wurde das System von PERI, einem Unternehmen aus Weißenhorn.
Dabei greifen verschiedene Systeme ineinander: klassische Wandschalung, modulare Bauteile aus dem VARIOKIT-Baukasten, Gerüste und Stützböcke. Diese Technik, die erst kürzlich auf der Fachmesse bauma 2025 vorgestellt wurde, beweist nun in München ihre Praxistauglichkeit – unter realen Baustellenbedingungen.

Der neuartige PERI Wandschalwagen ist eine Systemkombination aus dem VARIO GT 24 Träger-Wandschalungssystem, dem SB Stützbocksystem, dem VARIOKIT Ingenieurbaukasten und dem PERI UP Gerüstbaukasten. PERI Deutschland
Forschung verlangt Ruhe
Direkt neben dem neuen Tunnel liegen Forschungseinrichtungen, in denen empfindliche Geräte stehen – etwa Elektronenmikroskope oder Lasersysteme. Diese reagieren empfindlich auf Erschütterungen und Lärm. Damit der künftige U-Bahn-Verkehr keine störenden Vibrationen überträgt, wird ein spezielles Dämpfungssystem verbaut.
Eine elastisch gelagerte Betonplatte federt die Zugbewegungen ab. Ergänzt wird sie durch Unterschottermatten und wartungsfreundliche Öffnungen, mit denen einzelne Dämpfungselemente bei Bedarf ausgetauscht werden können. Ziel ist, die Eigenfrequenz des Bodens auf unter 5 Hz zu senken – ein Wert, der für ruhige Arbeitsbedingungen entscheidend ist.
2027 sollen die ersten Züge rollen
Nach der Fertigstellung des Rohbaus folgen Abdichtung, Gleisbau und technische Ausstattung. Ein Meilenstein wird der Moment sein, wenn das Grundwasser wieder seinen natürlichen Lauf nehmen kann. Über sogenannte Überbohrfenster wird dann das aktuelle Pumpsystem ersetzt.
Wenn alles nach Plan läuft, beginnt 2027 der Testbetrieb. Spätestens dann wird die U6 Martinsried erreichen – und mit ihr ein neuer Takt für Wissenschaft und Stadtentwicklung beginnen.
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