Gotthard-Tunnel: Geologie stoppt deutsche Bohrmaschine „Paulina“
Instabiles Gestein stoppt die Tunnelbohrmaschine „Paulina“ am Gotthard. Sprengungen sollen den Tunnelbau jetzt vorantreiben.
Blick auf die Baustelle des Gotthard-Straßentunnels. Derzeit ruhen aufgrund schwieriger geologischer Bedingungen die Bohrarbeiten. Der Tunnel soll nun mit Sprengungen vorangetrieben werden.
Foto: picture alliance/KEYSTONE | Samuel Golay
Im südlichen Abschnitt der zweiten Gotthardröhre steht derzeit eine deutsche Tunnelbohrmaschine still. Die rund 3000 t schwere Anlage mit dem Namen „Paulina“, gefertigt vom deutschen Hersteller Herrenknecht, wurde im Juni 2025 angehalten. Grund sind instabile geologische Verhältnisse im Gebirge oberhalb von Airolo im Kanton Tessin.
Das Schweizer Bundesamt für Straßen (Astra) betont, die Maschine sei „nicht blockiert, sondern kontrolliert angehalten“. Entgegen früherer Medienberichte liegt also kein technischer Defekt vor. Vielmehr handelt es sich um eine Vorsichtsmaßnahme, um Schäden an der Maschine und Risiken für das Personal zu vermeiden.
In den Bautagebüchern ist von „bloccata“ die Rede – einem italienischen Begriff, der je nach Kontext sowohl „blockiert“ als auch „angehalten“ bedeuten kann. Die Aussagekraft dieses Details zeigt, wie präzise und zugleich sensibel die Kommunikation bei Großprojekten im Untergrund ist.
Eine zweite Röhre für die wichtigste Nord-Süd-Achse
Seit 1980 verbindet der Gotthard-Straßentunnel den Norden mit dem Süden Europas. Etwa 16.000 Fahrzeuge passieren täglich die 16,9 km lange Verbindung zwischen Göschenen (Kanton Uri) und Airolo (Kanton Tessin). Nach über 40 Jahren Betrieb ist die Röhre sanierungsbedürftig.
Damit der Verkehr während der Instandsetzung weiterlaufen kann, entsteht eine zweite Tunnelröhre. Das Schweizer Stimmvolk hatte dem Projekt 2016 mit 57 % zugestimmt. Nach Abschluss der Arbeiten sollen beide Röhren je eine Fahrspur und einen Pannenstreifen enthalten. Dadurch wird nicht nur die Sicherheit erhöht, sondern auch die Verfügbarkeit der Gotthardachse im europäischen Fernverkehr verbessert.
Deutsche Bohrtechnik im Einsatz
Die Tunnelbohrmaschine „Paulina“ wurde von der Firma Herrenknecht in Schwanau entwickelt und gebaut. Sie gehört zum Typ Einfachschild-TBM, einem bewährten Verfahren für den Vortrieb durch Hartgestein. Mit einem Bohrkopf von 12,31 m Durchmesser und einer Antriebsleistung von 5600 KW arbeitet die Maschine normalerweise kontinuierlich durch Gesteinsschichten aus Granit, Gneis und Schiefer.
Im Juni 2025 meldete die Bauleitung jedoch ungewöhnlich schwierige Bedingungen. Der Fels zeigte sich stark geklüftet, durchsetzt von Hohlräumen und brüchigen Schichten. Unter diesen Umständen bestand das Risiko, dass der Bohrkopf blockiert oder gar beschädigt würde. Nach rund 190 Metern entschied man sich daher, den Vortrieb zu stoppen.
Länge: 16,9 km
Baukosten: ca. 2,14 Mrd. CHF
Geplanter Abschluss: 2030
Zweck: Sanierung der bestehenden Röhre bei laufendem Verkehr
TBM: „Paulina“ (Ø 12,31 m, Leistung 5.600 kW, Hersteller Herrenknecht)
Anpassung der Bauweise: Sprengvortrieb statt Tunnelbohrer
Um die instabile Zone zu überwinden, wurde das Bauverfahren geändert. Statt maschinell weiterzubohren, erfolgt der Vortrieb über einen 500 m langen Abschnitt nun konventionell im Sprengvortrieb. Diese Methode ist langsamer, erlaubt jedoch eine bessere Kontrolle über das Gestein und eine gezielte Stabilisierung der Tunnelwand.
„Der Vortrieb mit ‚Paulina‘ wird wieder aufgenommen, sobald die anspruchsvollen Gebirgsverhältnisse im Sprengvortrieb überwunden sind“, so ein Sprecher des Astra. Der Zeitplan bleibt nach aktuellem Stand bestehen. Die Mehrkosten von rund 15 bis 20 Millionen Franken sind in der Gesamtkalkulation von 2,14 Milliarden Franken berücksichtigt.
Gearbeitet wird im Dreischichtbetrieb, sieben Tage pro Woche. Das Ziel: bis 2030 beide Röhren fertigstellen und die Hauptverbindung durch die Alpen langfristig sichern.
Der Gotthard als geologisches Testfeld
Das Gotthardmassiv gilt als eines der komplexesten Geosysteme Europas. Unterschiedliche Gesteinsschichten und tektonische Zonen treffen hier aufeinander. Schon in der Planungsphase rechneten Geolog*innen mit schwierigen Abschnitten. Umfangreiche Vorerkundungen zeigten, dass sich besonders auf der Südseite unregelmäßige Zonen aus losem Gestein und Wasserzutritten befinden könnten.
Solche Störzonen sind kein Ausnahmefall, sondern Teil des geologischen Alltags im Tunnelbau. Selbst modernste Sensorik kann das Verhalten des Felsens nicht vollständig vorhersagen. In diesem Fall hatte das Astra die Risiken abgewogen – zugunsten eines maschinellen Vortriebs. Nun wurde diese Entscheidung angepasst.
Herrenknecht und die Geschichte am Gotthard
Der Hersteller Herrenknecht ist kein Neuling am Gotthard. Bereits zwischen 2003 und 2011 wurden mit vier seiner Maschinen insgesamt 85 km Tunnel für den Gotthard-Basistunnel aufgefahren – damals der längste Eisenbahntunnel der Welt.
Projektleiter Matthias Schwärzel erinnert: „Tunnelbau in den Alpen und besonders am Schweizer St. Gotthard hat für uns immer eine emotionale Komponente. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit den Mineuren auf der Baustelle.“
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