Flughafen Tempelhof: 1,2 km Baugeschichte aus Beton und Stahl
Der Flughafen Tempelhof verbindet NS-Architektur mit Ingenieurkunst. Ein Denkmal zwischen Macht, Technik und Geschichte – mitten in Berlin.

Der Flughafen Tempelhof ist ein Bauwerk der Superlative, obwohl er nie vollendet wurde.
Foto: Smarterpix / ElectricEgg
Der Flughafen Berlin-Tempelhof ist Europas größtes Baudenkmal und seit 2011 Wahrzeichen deutscher Ingenieurbaukunst. Seine Architektur vereint nationalsozialistische Repräsentation mit modernem Flughafenbau. Der Gebäudekomplex entstand ab 1936 unter Ernst Sagebiel und blieb kriegsbedingt unvollendet. Heute prägt der ehemalige Flughafen als Denkmal, Veranstaltungsort und öffentlicher Park das Berliner Stadtbild – ein Monument mit ambivalenter Geschichte.
Inhaltsverzeichnis
- Vom Exerzierplatz zum Luftverkehrsknoten
- Der monumentale Neubau in den 1930er-Jahren
- Baubeginn und Kriegsunterbrechung
- Architektur: Monumentalität trifft Moderne
- Markante Überdachung des Flugsteigs
- Technische Details: Wie Tempelhof konstruiert wurde
- Verschiedene Konstruktionslogiken
- Tribünen auf dem Dach geplant
- Komplexe Erschließung unter der Erde
- Der Radarturm: Filigrane Technik im Kontrast zur Massivität
- Nutzung im Krieg und Zerstörung
- Amerikanische Nutzung und Berliner Luftbrücke
- Ziviler Luftverkehr und bauliche Anpassungen
- Der lange Schatten der NS-Architektur
- Stillstand, Wiedereröffnung, Schließung
- Nachnutzung und heutige Bedeutung
Vom Exerzierplatz zum Luftverkehrsknoten
Das Tempelhofer Feld blickt auf eine lange Nutzungsgeschichte zurück. Noch vor dem Ersten Weltkrieg dienten die weiten Flächen als militärischer Übungsplatz. 1909 hob hier erstmals ein Motorflugzeug vom Boden ab – der Beginn einer Luftfahrttradition, die Berlin entscheidend prägen sollte.
Nach ersten Demonstrationsflügen der Pioniere Armand Zipfel, Orville Wright und Hubert Latham entwickelte sich das Gelände ab 1923 zu einem zivilen Flughafen. In mehreren Etappen entstand eine erste Infrastruktur mit Holzbaracken, Hallen und einem Abfertigungsgebäude. Bereits in den 1930er-Jahren war Tempelhof einer der verkehrsreichsten Flughäfen Europas.
Der monumentale Neubau in den 1930er-Jahren
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde das Flughafengelände Teil eines größeren städtebaulichen Konzepts. Adolf Hitler persönlich trieb die Neuplanung voran. Tempelhof sollte nicht nur dem rasant steigenden Luftverkehr gerecht werden, sondern zugleich als „Weltflughafen“ der propagandistischen Selbstinszenierung dienen.
Das Reichsluftfahrtministerium unter Hermann Göring übernahm 1934 die Federführung. Architekt Ernst Sagebiel erhielt den Auftrag, eine Anlage zu entwerfen, die modernste Technik mit monumentaler Wirkung verbinden sollte.
Die Finanzierung und Ausführung lagen ebenfalls in der Hand des Reichsluftfahrtministeriums. Sagebiel hatte bereits mit dem Entwurf des Ministeriumsgebäudes in Berlin auf sich aufmerksam gemacht. Der Flughafen Tempelhof wurde zum Schlüsselprojekt seiner Karriere.
Baubeginn und Kriegsunterbrechung
Im Frühjahr 1936 begannen die Bauarbeiten. Sie kamen zunächst rasch voran. Schon 1937 wurde der erste Gebäudeteil bezogen. Doch mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 verschob sich die Priorität – die geplante Eröffnung blieb aus.
Viele Teile des Gebäudes blieben im Rohbau, etwa die Treppentürme, die als Aufgänge für Tribünen mit 80.000 Zuschauerinnen und Zuschauer gedacht waren. Statt Passagierverkehr dominierte bald die Rüstungsproduktion. Der Flughafen diente dem Unternehmen Weserflug als Montagewerk für Kampfflugzeuge, wobei Zwangsarbeiter aus ganz Europa zum Einsatz kamen.

Nach der Fertigstellung war das Flughafengebäude von Tempelhof das größte Bauwerk der Welt, es wurde dann vom Pentagon abgelöst.
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Architektur: Monumentalität trifft Moderne
Die bauliche Struktur gliedert sich in eine große Ellipse des Flugfeldes und einen bogenförmigen Gebäudekomplex von rund 1,2 km Länge. Der Empfangsbereich orientiert sich axial zum Kreuzbergdenkmal von Karl Friedrich Schinkel – ein symbolischer Bezug, der bereits in der Planungsphase angelegt war. Die vorgesehene Wasserkaskade vom Denkmal bis zum Vorplatz des Flughafens wurde jedoch nie realisiert.
Die zur Stadt gerichteten Fassaden bestehen aus Muschelkalk und Jurakalkstein – Materialien, die Stärke und Dauerhaftigkeit symbolisieren sollten. Gleichzeitig verbirgt sich hinter der steinernen Außenhaut eine hochmoderne Stahlbeton-Skelettkonstruktion. Zur Flugfeldseite hin dominiert dagegen eine freiliegende Stahlstruktur.
Markante Überdachung des Flugsteigs
Besonders markant: die stützenfreie Überdachung des 380 m langen Flugsteigs durch eine 40 m weit auskragende Dachkonstruktion. Sie bietet Flugzeugen bis zu 12 m Höhe Schutz beim Abfertigen – ohne störende Stützen.
Lord Norman Foster bezeichnete den Flughafen Tempelhof deshalb 2004 als „Mutter aller Flughäfen“. Die funktionale Gliederung – getrennte Ebenen für Abflug, Ankunft, Fracht und Verwaltung – war ihrer Zeit voraus und prägt bis heute den Flughafenbau weltweit.
Technische Details: Wie Tempelhof konstruiert wurde
Die bauliche Umsetzung des Flughafens Berlin-Tempelhof war eine ingenieurtechnische Herausforderung. Sie vereinte klassische Werkstoffe mit neuen Bauverfahren, die den Ansprüchen an Funktionalität, Dauerhaftigkeit und Repräsentation zugleich genügen sollten.
Konstruktiv basiert das Gebäude auf einem Stahlbeton-Skelettsystem. Diese damals moderne Bauweise ermöglichte große Spannweiten und eine flexible Raumnutzung. Die tragenden Stützen und Deckenplatten wurden weitgehend vor Ort gegossen. Viele Bauteile der Dach- und Hallenkonstruktionen entstanden jedoch in industrieller Vorfertigung. Das vereinfachte die Logistik auf der riesigen Baustelle und beschleunigte den Baufortschritt.

Der Radarturm wirkt nahezu grazil im Vergleich zum Flughafengebäude.
Foto: Smarterpix / bildradar
Verschiedene Konstruktionslogiken
Die zur Stadt hin gerichteten Fassaden sind mit Muschelkalkplatten aus der Region Tengen verkleidet. Die Verarbeitung des Natursteins folgte dabei klassischen Gestaltungsprinzipien: horizontale Gesimse, regelmäßige Fensterachsen und deutlich abgesetzte Laibungen. Die Steinverkleidung ist allerdings nicht tragend – sie wurde vor die Stahlbetonkonstruktion gesetzt. So entstand ein Eindruck massiver Monumentalität, der jedoch auf einem vergleichsweise leichten Gerüst aufbaute.
Die Hangar- und Flugsteigbereiche zur Flugfeldseite zeigen eine völlig andere Konstruktionslogik. Hier dominiert eine reine Stahlbauweise. Besonders hervorzuheben ist die über 40 m auskragende Dachkonstruktion, die über dem 380 m langen Flugsteig schwebt. Diese stützenfreie Überdachung war zur Bauzeit eine herausragende ingenieurtechnische Leistung.
Tribünen auf dem Dach geplant
Das Dach besteht aus einer Fachwerkkonstruktion aus geschweißten Stahlprofilen. Die Lastabtragung erfolgt über Rückverankerungen in den rückwärtigen Betonbauteilen. Trotz seiner filigranen Anmutung kann das Dach hohe Schneelasten aufnehmen – ohne zusätzliche Stützen im Vorfeldbereich.
Ein weiteres technisches Merkmal war die geplante Tribünennutzung auf dem Dach. Dazu wurde die gesamte Hallenkrümmung mit großformatigen Treppentürmen versehen. Diese Baukörper sollten bei den geplanten Flugschauen mehr als 80.000 Personen aufnehmen. Laut Bauplanung hätten die Tribünen in weniger als 30 Minuten evakuiert werden können – eine für die damalige Zeit logistische Meisterleistung.
Konstruktionslogik des Flughafens Berlin-Tempelhof
- Stahlbeton-Skelettbauweise für den Hauptkomplex – ermöglicht große Spannweiten und flexible Raumaufteilung.
- Vorgehängte Natursteinfassaden (Muschelkalk) an der Stadtseite – nicht tragend, rein repräsentativ.
- Freitragende Dachkonstruktion über dem Flugsteig – 40 m Auskragung ohne Stützen, realisiert in Fachwerkbauweise aus Stahl.
- Treppentürme als Zugang zu geplanten Dachtribünen – auf Evakuierung von über 100.000 Personen ausgelegt.
- Unterirdischer Eisenbahntunnel – direkter Frachtumschlag zwischen Schiene und Flugzeug.
- Technikzonen mit Wartungsebene – begehbare Deckenmodule für Heizung und Beleuchtung in der Haupthalle.
Komplexe Erschließung unter der Erde
Auch unterirdisch war Tempelhof komplex erschlossen: Ein Gleisanschlussband führte zu einem speziellen Eisenbahntunnel, der unter der Abfertigungshalle endete. So konnten Frachtgüter direkt zwischen Bahn und Flugzeug umgeschlagen werden – ein Vorläufer moderner Logistikhubs. Neben Versorgungsschächten und Lagerbereichen existierte auch ein umfangreiches unterirdisches Versorgungssystem für Strom, Luft und Heizung.
Die Heiztechnik selbst war innovativ: In den 1960er-Jahren wurde eine Kassettendecke in der Abfertigungshalle eingezogen, in der eine Deckenstrahlungsheizung integriert ist. Die 5,60 m × 22,50 m großen Module sind begehbar und erlauben den Zugang zu Heizung und Beleuchtung – ein frühes Beispiel technikfreundlicher Wartungsarchitektur.
Der Radarturm: Filigrane Technik im Kontrast zur Massivität
Mit über 71 m Höhe ist der Radarturm das höchste Einzelbauwerk auf dem Areal – und doch wirkt er im Kontext der massiven Hangars fast leicht. Der Grund liegt in seiner filigranen Stahlfachwerk-Konstruktion, die bewusst im Gegensatz zur Schwere der NS-Architektur steht. Die Konstruktion wurde so gewählt, dass Windlasten möglichst geringe Schwingungen im oberen Bereich verursachen. Dadurch konnte die Bildqualität des darauf montierten RRP-117-Radars stabil gehalten werden – ein entscheidender Aspekt für die Überwachung des Luftraums während des Kalten Kriegs.
Das Radar selbst diente der Luftraumüberwachung über West-Berlin und wurde bis in die 1990er-Jahre betrieben. Mit dem vollständigen Abzug der US-Streitkräfte aus Berlin 1993 wurde auch die Radarstation deaktiviert. Der Turm jedoch blieb erhalten – als technisches Zeitzeugnis und als seltenes Beispiel für eine spätere, rein funktionale Ergänzung auf einem Gelände, das sonst stark durch die Formensprache der 1930er-Jahre geprägt ist.
Nutzung im Krieg und Zerstörung
Während des Zweiten Weltkriegs wurde Tempelhof nicht nur für die Flugzeugmontage genutzt. Auch die Lufthansa produzierte hier Radargeräte, unter anderem in Kooperation mit Telefunken. Ein unterirdischer Eisenbahntunnel diente dem Materialtransport. Zahlreiche Baracken für Zwangsarbeiter befanden sich auf dem Gelände, darunter auch ein streng bewachtes „Russenlager“.
Gegen Kriegsende wurde die Anlage zum Fliegerhorst der Luftwaffe. Der zivile Flugbetrieb war weitgehend eingestellt. Dennoch verhinderten einzelne Verantwortliche auf deutscher Seite die geplante Sprengung der Anlage. Am 29. April 1945 übernahm die Rote Armee das Gelände. Die meisten unterirdischen und oberirdischen Anlagen blieben erhalten, obwohl es in einigen Bereichen zu Bränden kam.
Amerikanische Nutzung und Berliner Luftbrücke
Nach der Übergabe an die US-Armee am 4. Juli 1945 wurde Tempelhof zum zentralen Flughafen des amerikanischen Sektors. In der Folge entwickelte sich Tempelhof zu einem Symbol des Kalten Krieges – vor allem während der Berliner Luftbrücke 1948/49. Im 90-Sekunden-Takt landeten Maschinen mit lebenswichtigen Gütern. Die sogenannten Rosinenbomber warfen zudem Süßigkeiten für Kinder über der Stadt ab – eine Geste, die weltweit Beachtung fand.
Für die Luftbrücke wurde eine neue Startbahn errichtet. Sie unterbricht bis heute die Oderstraße. Das Luftbrückendenkmal auf dem Vorplatz erinnert an die mehr als 70 Menschen, die bei den Einsätzen ums Leben kamen.

Wo einst Menschenmassen auf den Abflug warteten, herrscht heute gähnende Leere.
Foto: Smarterpix / ElectricEgg
Ziviler Luftverkehr und bauliche Anpassungen
1951 startete der zivile Flugbetrieb im späteren General Aviation Terminal. Die großen Abfertigungshallen wurden in den folgenden Jahren wiederhergestellt und umgebaut. Die Halle erhielt eine neue Kassettendecke mit integrierter Deckenstrahlungsheizung. Besucher*innen betraten den Flughafen über die nun verkleinerte Eingangshalle – ein Eingriff, der Raumhöhe und Repräsentationswirkung deutlich reduzierte.
Bis Ende der 1950er-Jahre wuchs das Passagieraufkommen rasant – auf bis zu 1,5 Mio. Menschen jährlich. In der Folge wurden militärisch genutzte Gebäudeteile für den zivilen Betrieb freigegeben. 1962 gingen die heutigen Abfertigungsanlagen offiziell in Betrieb.
Der lange Schatten der NS-Architektur
Trotz funktionaler Modernisierung blieb die monumentale Prägung der Architektur erhalten. Die Treppentürme, als Zugang zu den nie genutzten Tribünen auf dem Dach gedacht, wurden nie vollendet. Doch ihre wuchtige Präsenz prägt bis heute das Erscheinungsbild.
Die gesamte Anlage wirkt wie ein eingefrorenes Symbol nationalsozialistischer Architektur: monumental in der Geste, technisch präzise im Detail – und damit ambivalent im historischen Erbe.
Stillstand, Wiedereröffnung, Schließung
1975 endete der zivile Luftverkehr vorerst. Die US-Armee nutzte den Flughafen bis 1993. Danach übernahm die Berliner Flughafen-Gesellschaft den Betrieb. 1981 wurde Tempelhof erneut für den Geschäftsreiseverkehr geöffnet. In den 1990er-Jahren wuchs die Bedeutung des Flughafens nochmals – trotz begrenzter Startbahnlänge. Dennoch blieb Tempelhof ein Sonderfall im internationalen Luftverkehr.
Im Zuge des „Konsensbeschlusses“ zum neuen Großflughafen BER wurde die Schließung Tempelhofs beschlossen. Trotz Bürgerinitiativen und rechtlicher Einsprüche endete der Flugbetrieb am 30. Oktober 2008. Der letzte Start einer Boeing 737 von Air Berlin markierte das Ende einer Ära.
Nachnutzung und heutige Bedeutung
Seit 2010 ist das Tempelhofer Feld öffentlich zugänglich. Die Hallen und Gebäude dienen seither als Veranstaltungsorte, Messehallen, Sportanlagen – und zeitweise auch als Notunterkünfte. Die Architektur des Flughafens steht unter Denkmalschutz. 2011 wurde der Komplex, wie bereits erwähnt, als „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst“ ausgezeichnet. Eine Bewerbung als UNESCO-Welterbe ist eingereicht.
Im Inneren des Gebäudes erinnern unterirdische Anlagen, alte Werkstätten, Luftschutzräume und ein zerstörtes Filmarchiv an die vielfältige Nutzungsgeschichte. Die Tempelhof Projekt GmbH bietet Führungen an, bei denen auch nicht öffentlich zugängliche Bereiche besichtigt werden können.
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