2,8 km lange Rampe 19.10.2025, 10:45 Uhr

Eine Rampe, kein Ende – das Vortex Lausanne als baulicher Dauerlauf

2,8 km Rampe: Warum in Lausanne niemand Treppen steigen muss. Im Vortex gehören lange Wege zum Programm.

Vortex Lausanne

137 m Durchmesser, eine 2,8 km lange Rampe - das Vortex in Lausanne ist in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich.

Foto: picture alliance/KEYSTONE | LAURENT GILLIERON

Wer das Vortex in Lausanne betritt, merkt schnell: Hier läuft etwas anders – buchstäblich. Das kreisrunde Gebäude auf dem Campus der Universitäten EPFL und UNIL schlängelt sich in sanfter Steigung über 2,8 km in die Höhe. Keine Treppen, kein klassisches Stockwerkdenken – stattdessen eine durchgehende Rampe, die wie eine Spirale das gesamte Bauwerk zusammenhält.

Mit einem Durchmesser von 137 m, zehn Etagen und 712 Wohneinheiten ist das Vortex eines der ungewöhnlichsten Wohngebäude Europas. Es beherbergt rund 1000 Studierende und Mitarbeitende, bietet Cafés, Geschäfte, Kinderräume und einen Lesesaal – eine kleine Stadt im Kreis.

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Ein Bauprojekt, das Kreise zieht

2014 gab der Kanton Waadt den Startschuss für das Projekt. Ziel war es, dringend benötigten Wohnraum für Studierende zu schaffen. 2015 gewann das Zürcher Architekturbüro Dürig AG den Wettbewerb. Die Ausführung übernahm die Totalunternehmung Losinger Marazzi in Zusammenarbeit mit Itten+Brechbühl SA.

Der Bau musste unter Hochdruck erfolgen – das Gebäude sollte rechtzeitig zu den Olympischen Jugend-Winterspielen 2020 fertig sein. 900 Tage später stand die spiralförmige Betonrampe. Ein architektonisches Statement und ein logistisches Kunststück.

Eine Spirale als Lebensraum

Das Vortex ist mehr als ein Wohnheim – es ist eine bauliche Metapher. Der Name stammt vom lateinischen „Vortex“, was so viel wie Wirbel bedeutet. Wer durch die Rampe läuft, erlebt diesen Wirbel hautnah.

Die Rampe steigt mit einer konstanten Neigung von nur 1 %, barrierefrei und gleichmäßig. Nach 7,3 Windungen erreicht man die oberste Ebene. Jede Windung entspricht einem Stockwerk, die Wohnungen sind entlang der Kurve leicht versetzt angeordnet.

Die rechteckigen Module wurden wie Bausteine an die runde Betonhülle gesetzt. Entstanden ist so eine durchgehende Folge von Wohnbereichen, Gemeinschaftszonen und Freiflächen. Statt Fluren und Treppenhäusern gibt es einen Rundweg – ein Ort, an dem Begegnung fast zwangsläufig passiert.

Beton trifft Holz

Das Tragwerk besteht vollständig aus Ortbeton, also vor Ort gegossenem Beton. Diese massive Bauweise war nötig, um die enormen Schub- und Torsionskräfte der spiralförmigen Struktur aufzufangen.

Die Außenfassade dagegen setzt auf Holzelemente, geplant vom Ingenieur Jean-Luc Sandoz und gefertigt von seiner Firma Ecotim. Sie verleiht dem Betonkoloss eine warme, natürliche Note. Die Holzlamellen wirken wie ein feines Kleid, das den schweren Körper leicht erscheinen lässt.

Die Kombination aus Beton und Holz steht sinnbildlich für das Konzept des Gebäudes: robust, aber offen; technisch präzise, aber menschlich gedacht.

Vortex Lausanne

Die Wohnboxen aus Holz wurden in der Werkstatt gebaut und nachträglich in das Vortex gehoben.

Foto: picture alliance/KEYSTONE | JEAN-CHRISTOPHE BOTT

Digitale Präzision: BIM als unsichtbarer Dirigent

Ein Projekt dieser Komplexität lässt sich kaum mit herkömmlichen Bauplänen steuern. Hier kam Building Information Modeling (BIM) zum Einsatz – ein digitales 3D-Modell, das sämtliche Bauprozesse koordiniert.

Alle Beteiligten – von der Statik über die Gebäudetechnik bis zur Innenarchitektur – arbeiteten in diesem Modell. Es diente nicht nur der Planung, sondern auch der Kollisionserkennung: Wo Leitungen auf Beton trafen oder Lüftungskanäle durch Wände liefen, zeigte das System sofort mögliche Konflikte an.

Der präzise digitale Ablauf half, den extrem engen Zeitplan einzuhalten. Für die hohe Qualität des BIM-Einsatzes erhielt das Projekt 2018 den Building Smart Award in Tokio – noch bevor das Gebäude überhaupt fertig war.

Vorfertigung trifft Logistik-Genie

Um den Bau in Rekordzeit zu schaffen, setzten die Planenden auf ein hybrides System: Während der Betonkern vor Ort wuchs, liefen die Arbeiten an den Wohneinheiten parallel in Werkhallen.

Diese vorgefertigten Module – „Wohnboxen“ mit kompletten Sanitär- und Innenausbauten – wurden später in die spiralförmige Struktur eingeschoben.

Der Clou: Die 2,8 Kilometer lange Rampe diente während der gesamten Bauphase als Transportweg. Statt Kräne oder Aufzüge einzusetzen, konnten Material und Personal direkt über die Rampe bis in die oberen Etagen gelangen. So wurde die Spirale selbst zum Werkzeug – und der Weg zum Ziel.

Nachhaltig gedacht: Energie aus See und Sonne

Das Vortex erfüllt den Minergie-Standard, also hohe Anforderungen an Energieeffizienz und Nachhaltigkeit. Ein zentrales Element ist die Wärmepumpe, die ihre Energie aus dem Wasser des Genfersees (Lac Léman) bezieht. Das stabile Temperaturniveau des Sees ermöglicht eine zuverlässige Wärme- und Kälteversorgung – CO₂-arm und ganzjährig konstant.

Auf dem Dach erzeugen 1200 monokristalline Photovoltaikmodule Strom mit einer Spitzenleistung von 328 kWp. Die Module sind bewusst in Ost-West-Richtung ausgerichtet. So produzieren sie gleichmäßiger über den Tag verteilt Strom – besonders morgens und am Nachmittag, wenn der Energiebedarf im Wohnheim am höchsten ist.
Die massive Betonstruktur dient zudem als thermischer Speicher: Sie nimmt Wärme auf, speichert sie und gibt sie langsam wieder ab. Das spart Energie und sorgt für ein angenehmes Raumklima.

Vortex Lausanne

Mit sanfter Steigung windet sich die Rampe nach oben.

Foto: picture alliance/KEYSTONE | JEAN-CHRISTOPHE BOTT

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Vom Olympischen Dorf zum Wohnquartier

Im Januar 2020 beherbergte das Vortex zunächst die Athletinnen und Athleten der Olympischen Jugend-Winterspiele. Wenige Wochen später, während der COVID-19-Pandemie, wurde das Gebäude kurzfristig zur Unterkunft für Pflegekräfte umfunktioniert.

Ab August 2020 zogen schließlich die ersten Studierenden und Mitarbeitenden ein. Heute ist das Vortex ein lebendiger Mikrokosmos – mit Läden, Cafés und Gemeinschaftsräumen, die zum Austausch einladen. Die Architektur fördert Begegnung: Wer hier wohnt, läuft automatisch vielen Menschen über den Weg – und das ist durchaus gewollt.

Eine Rampe als Laufstrecke

Jedes Jahr wird das architektonische Konzept sportlich genutzt: Beim „Vortex Race“ rennen Teilnehmende die 2,8 Kilometer lange Rampe hinauf – eine Strecke, die inklusive Startbereich rund drei Kilometer misst.

Was als Spaß begann, ist inzwischen Tradition – ein Wettlauf durch das wohl längste Wohngebäude der Schweiz. Gerade haben sich wieder 2000 Läufer auf den Weg gemacht, die Rampe möglichst schnell zu bezwingen. Die Schnellsten schaffen das unter 10 min.

Architektur mit Auszeichnung

Auch international sorgt das Vortex für Aufsehen. Beim German Design Award 2023 erhielt es den Gold Award in der Kategorie „Excellent Architecture“.

Die Jury lobte vor allem die Holzfassade: „Ein auffälliges Merkmal dieses Gebäudes […] ist seine mit Holz verkleidete Fassade. Sie bildet einen auffälligen Kontrast zum Beton und vermittelt nicht nur ein Gefühl von Wärme, sondern verleiht dem Gebäude auch ein wunderbar leichtes und einladendes Aussehen.“

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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