Empathie im Job: Warum wir anderen zu wenig zutrauen
Empathie wird in Leadership-Programmen oft als Schlüsselkompetenz betont, doch eine neue Studienreihe der Stanford Universität zeigt: Wir trauen sie unseren Mitmenschen überhaupt nicht zu. Viele Menschen halten andere für deutlich weniger empathisch, als sie sich selbst wahrnehmen und genau diese Fehleinschätzung schwächt unsere Bindung zueinander.
Stanford-Studie zeigt: Nicht fehlende Empathie, sondern Misstrauen in die Empathie anderer schwächt Führung, Teamkultur und Zusammenarbeit.
Foto: Smarterpix/albertyurolaits
Bereits in der ersten von drei groß angelegten Langzeitstudien zeigte sich ein Muster, das sich eins zu eins für Unternehmen übersetzen lässt: “Ich bin empathisch – die anderen eher nicht.“ Für den Arbeitsalltag bedeutet das: Nicht mangelnde Empathie, sondern mangelndes Vertrauen in die Empathie anderer blockiert die Teamdynamik.
Verständnis beeinflusst Freundschaften und Wohlbefinden
Forschende untersuchten rund 5000 US-Studierende über zwei Jahre hinweg, um den Zusammenhang zwischen Empathiewahrnehmung, sozialem Netzwerk und Wohlbefinden zu verstehen.
Das Ergebnis ist eindeutig: Wer überzeugt ist, von empathischen Menschen umgeben zu sein, knüpft mehr enge Bindungen und zeigt eine höhere Lebenszufriedenheit. Diese Personen zogen sich nicht zurück, sondern suchten aktiv soziale Nähe.
Übertragen auf den Job heißt das:
- Sie suchen eher den Dialog und fragen nach Unterstützung, statt Konflikten auszuweichen.
- Sie bringen Ideen ein, ohne Angst vor Ablehnung.
- Sie bleiben einem Team loyaler verbunden.
Umgekehrt verhielten sich Teilnehmende, die das Umfeld als wenig empathisch einschätzten, deutlich zurückhaltender. Wer glaubt, dass andere wenig mitfühlend sind, hält sich eher zurück, geht seltener auf Menschen zu und verzichtet auf soziale Nähe. Die Angst vor Ablehnung oder Unverständnis ist einfach zu groß. Empathie wird also nicht nur individuell gelebt, sondern kollektiv fehlinterpretiert.
Wahrnehmung formt Verhalten
Eine zweite Studie innerhalb des Forschungsprojekt legte den Kern des Problems offen: die Empathie-Wahrnehmungslücke.
Die Teilnehmenden hielten sich selbst für deutlich empathischer, als sie es ihren Mitstudierenden zuschrieben – im Durchschnitt um rund 24 Prozentpunkte.
Für Führungskräfte ist genau hier ein kritischer Punkt:
Viele glauben, sie seien zugänglich, offen und mitfühlend, aber ihr Team erlebt das möglicherweise ganz anders.
Die Forschenden betonen, dass diese Lücke zwei Ursachen haben kann. Entweder unterschätzten wir andere oder wir überschätzen uns selbst. Sicher ist nur: allein diese Fehleinschätzung wirkt sich bereits negativ auf unser soziales Verhalten aus.
Lässt sich Empathiewahrnehmung verändern?
In zwei weiteren Experimenten mit Erstsemestern testeten die Forschenden, ob die Wahrnehmung der Empathie anderer gezielt positiv beeinflusst werden kann.
Workshop und Info-Plakate: Die Studierenden erhielten Informationen darüber, wie viele ihrer Mitstudierenden sich selbst als empathisch einschätzen. Diese einfache Botschaft zeigte bereits Wirkung. Die Teilnehmenden bewerteten anderer als mitfühlender und offener. Deshalb gingen sie häufiger „soziale Risiken“ ein – sie suchten das Gespräch und bauten schneller neue Kontakte auf.
Nachrichten als sozialer Anstoß: In einem zweiten Versuch wurden kurze Textnachrichten an die Studierenden versendet, die zu kleinen Empathiehandlungen aufforderten. Darunter waren beispielsweise Nachrichten wie: „Schenke heute jemanden ein Kompliment.“ Auch hier zeigte sich ein Anstieg der sozialen Initiative. Dieser Effekt war jedoch zeitlich begrenzt und verblasste nach einigen Wochen wieder fast komplett.
Für Unternehmen und Führungskräfte bedeutet das: Empathie muss sichtbar gemacht werden, sonst bleibt sie wirkungslos. Entscheidend sind keine großen Programme, sondern kleine, konsequente Signale im Alltag. Wenn empathisches Verhalten genauso anerkannt wird wie Leistung, entsteht Vertrauen und eine klare Kommunikation am Arbeitsplatz.
Kleine Effekte mit großer gesellschaftlicher Relevanz
Unabhängige Psychologinnen und Psychologen, darunter Prof. Marcus Roth von der Universität Duisburg-Essen, bewerteten die Studiendaten methodisch positiv, mahnten jedoch zur Vorsicht. Viele Effekte seien statistisch signifikant, aber in ihrer Größenordnung zu klein. Zudem basierten alle Messungen auf Selbstangaben – reale Verhaltensbeobachtungen fehlten.
Dennoch sehen Expertinnen wie Prof. Grit Hein von der Universität Würzburg wichtige Erkenntnisse: Empathie wird nicht nur erlebt, sondern auch gelernt! Insbesondere durch das Beobachten von Mitgefühl bei anderen. Sichtbarkeit von Empathie könnte daher ein zentraler Hebel gegen soziale Isolation sein.
Nicht Empathie fehlt, sondern Vertrauen
Die Studien verdeutlichen ein gesellschaftlich brisantes Missverständnis: Viele Menschen glauben, ihr Umfeld sei weniger empathisch als sie selbst. Dieser Irrglaube führt dazu, dass Empathie im Verborgenen bleibt. Niemand macht den ersten Schritt – obwohl alle dazu bereit wären.
Die entscheidende Frage lautet nicht mehr:
„Sind wir empathisch genug als Führungskraft?“
Sondern:
„Vermitteln wir glaubhaft, dass auch andere empathisch sind – und dass Empathie erwünscht ist?“
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