Drei Wege in die H2-Wirtschaft: Wo Ingenieure jetzt gebraucht werden
Grüner Wasserstoff ist unverzichtbar für die Energiewende. Doch ebenso unverzichtbar sind die Fachkräfte: Wer baut Elektrolyseure, plant Pipelines und entwickelt Brennstoffzellen? Wir zeigen, wo Ingenieure in der H2-Wirtschaft gebraucht werden – und wie der Einstieg gelingt.
Quereinstieg erwünscht: Ob aus der Öl- und Gasindustrie, dem Kraftwerksbau oder der Automobilbranche – die Wasserstoffwirtschaft sucht Ingenieure mit unterschiedlichsten Hintergründen.
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Deutschland will bis 2045 klimaneutral sein. Grüner Wasserstoff ist trotz aller Unkenrufe eine unverzichtbare Alternative für Sektoren, die sich nicht elektrifizieren lassen: Industrie, Chemie, Schwerlastmobilität und so weiter. Offizielle Pläne wie die Nationale Wasserstoffstrategie sehen daher vor, bis 2030 Elektrolyseure mit 10 GW Leistung und ein Kernnetz von über 9.000 km Gesamtlänge zu installieren.
So weit, so gut. Doch welche Arbeitskräfte sollen die Pläne von Politik und Wirtschaft eigentlich umsetzen?
Inhaltsverzeichnis
Was der H2-Hochlauf für den Arbeitsmarkt bedeutet
Das Deutsche Institut für Wirtschaft hat untersucht, welche Fachkräfte die Wasserstoffbranche braucht.
- Die schlechte Nachricht: Schon heute fehlen Hunderttausende qualifizierte Arbeitskräfte in den relevanten Berufen.
- Die gute Nachricht: Anders als bei anderen Tech-Trends braucht es für die Wasserstoffbranche keine ganz neuen Qualifikationen. Die meisten Tätigkeiten bauen auf klassischen Ingenieurdisziplinen auf – Maschinenbau, Elektrotechnik, Verfahrenstechnik.
Wir analysieren die drei Pfeiler der Wasserstoffwirtschaft: Produktion, Transport und Anwendung. Welche Aufgaben gibt es? Welche Skills sind gefragt? Und wie gelingt der (Quer)-Einstieg?
1. Produktion – Elektrolyseure planen und bauen
Am Anfang der H₂-Wertschöpfungskette steht die Elektrolyse: Grüner Strom spaltet Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff. Deutschlands Kapazitäten sind jedoch minimal: Ende 2024 waren nach Zahlen der Acatech gerade einmal 0,15 GW installiert. Zwar sind über 10 GW angekündigt, aber vielen Projekten fehlt die finale Investitionsentscheidung. Echte Projektfortschritte lassen auf sich warten.
Hier liegt die Chance für Ingenieure. In den kommenden Jahren werden viele Elektrolyseure entstehen. Das können sowohl Anlagen mit mehreren Hundert MW Leistung als auch dezentrale Kleinanlagen von 1-2 MW sein. Zusätzlich braucht die Elektrolyse weitere Optimierung für höhere Wirkungsgrade, längere Lebensdauer und geringere Kosten.
Welche Ingenieure machen was?
- Fachkräfte aus der Elektrotechnik planen und betreiben die elektrische Infrastruktur. Dazu gehören die Integration der Anlage ans Stromnetz, die Auslegung von Leistungselektronik sowie die eigentliche Inbetriebnahme der Anlagen.
- Die Verfahrenstechnik bzw. das Chemieingenieurwesen optimiert den Elektrolyse-Prozess selbst. Welche Technologie darf es sein? Wie optimiert man den Wirkungsgrad? Welche neuen Katalysatoren und Membranen kommen infrage?
- Der Maschinenbau kümmert sich um die mechanischen Komponenten: Anlagenbau und -konstruktion, Auslegung von Druckbehältern, Kühl- und Wärmetauschersystemen und so weiter
- Regelungstechnik / Automatisierung sorgt für intelligente Steuerung. Die ist wichtig, um Elektrolyseure dynamisch an schwankende Stromquellen anzupassen und die Wasserstoffausbeute zu maximieren.
Wo wird gearbeitet?
- Elektrolyseur-Hersteller: Unternehmen wie Siemens Energy, Thyssenkrupp Nucera oder Sunfire entwickeln und bauen die Elektrolyseure.
- Energieversorger: RWE, E.ON, Uniper und regionale Stadtwerke investieren in Elektrolyseprojekte. Die einen planen Großanlagen, die anderen eher dezentrale Hubs und kleine Ökosysteme.
- Industrie: Chemiekonzerne wie BASF oder Stahlproduzenten wie ArcelorMittal setzen auf dezentrale Wasserstoffproduktion auf dem Werksgelände (on-site).
- Engineering-Dienstleister: Linde Engineering, Air Liquide und viele weitere Ingenieurbüros projektieren Anlagen für Dritte.

Elektrolyse-Anlagen mit mehreren 100 MW Leistung erfordern komplexe Planung – von der Netzanbindung bis zur Prozessoptimierung.
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2. Transport – Wasserstoff durchs Land bringen
Grüner Wasserstoff wird produziert, wo es günstige erneuerbare Energien gibt – etwa an der Küste oder in wind- und sonnenreichen Regionen mit viel Freifläche und dünner Besiedlung. Verbraucht wird er hingegen in industriellen Ballungsräumen. Das Problem: Irgendwie muss das Gas aus den ländlichen Regionen in die Industriezenten gelangen. Dafür braucht es Infrastruktur: Pipelines, Speicher und Verdichterstationen.
Das im Herbst 2024 von der Bundesnetzagentur genehmigte Wasserstoff-Kernnetz soll einen Löwenanteil dieser Infrastruktur stellen. Rund 60 % davon entstehen durch Umwidmung bestehender Erdgaspipelines – der Rest muss neu gebaut werden. Bis 2032 soll das Netz weitgehend fertig sein.
Für Ingenieure bedeutet das: Eines der größten Infrastruktur-Projekte aller Zeiten – und im Gegensatz zu vielen anderen Bereichen der Wasserstoffwirtschaft steht hier der Zeitplan fest. Doch auch abseits vom Kernnetz gibt es für Netzexpertinnen und -experten viel zu tun.
Welche Ingenieure machen was?
- Fachleute aus dem Bauingenieurwesen planen und realisieren die Infrastruktur. Sie befassen sich mit der Trassenführung für neue Pipelines, der Tiefbau-Überwachung, den Genehmigungsverfahren und der Integration neuer Netze in die bestehende Infrastruktur.
- Die Versorgungs- und Gastechnik dimensioniert und betreibt das Netz: Welcher Druck ist optimal? Welche Strömungsmechanik braucht es? Welche Netzkapazitäten und Knotenpunkte müssen aktiv sein? Und vor allem: Wie widmet man bestehende Erdgasleitungen auf Wasserstoff um? Auch Sicherheitsthemen wie Leckage-Überwachung, Risikobewertung, Notfallkonzepte und Explosionsschutz sind Aufgabe von Gastechnikerinnen.
- Der Maschinenbau entwickelt und wartet die technischen Komponenten – Verdichter, Ventile, Dichtungen, Armaturen. Alles muss an die spezifischen Eigenschaften von Wasserstoff angepasst werden: sein extrem geringes Gewicht, seine Flüchtigkeit und auch seine Explosionsfreudigkeit.
- Wirtschaftsingenieure koordinieren die Großprojekte. Dazu gehört das Projektmanagement für einzelne Netzabschnitte, das Prüfen des regulatorischen Rahmens und auch die betriebswirtschaftliche Gesamtkalkulation.
Wo wird gearbeitet?
- Fernleitungsnetzbetreiber wie Open Grid Europe, Gascade, Nowega, Ontras etc.
- Engineering-Dienstleister, zum Beispiel Sweco, HINE Engineering, PS-HyTech
- Hersteller von Tanksystemen und Speicherlösungen wie Hexagon Purus, NPROXX, Voith HySTech, X2E SE
- Industriegaskonzerne mit eigenen Logistiksystemen wie Linde und Air Liquide
3. Anwendung – Wasserstoff in der Industrie und Mobilität
Der dritte Bereich ist zugleich der vielfältigste. Wasserstoff kann in zahllosen Branchen und Anwendungsfällen sinnvoll sein; vom Stahlwerk über die Chemieanlage bis hin zum Brennstoffzellen-Lkw. Wir konzentrieren uns auf die wichtigsten Felder.
Chemie: Vom grauen zum grünen Wasserstoff
Die chemische Industrie ist schon heute einer der größten Wasserstoff-Verbraucher. Kein Wunder, denn Wasserstoff ist ein Baustein zahlreicher Basischemikalien wie Ammoniak (Dünger) und Methanol (Kraftstoffe, Kunststoffe). Der Wechsel zu grünem Wasserstoff bedeutet in der Chemieindustrie daher keinen technologischen Umbruch – es ist eine reine Dekarbonisierung.
- Fachkräfte der Verfahrenstechnik passen Produktionsanlagen an grünen Wasserstoff an. Elektrotechniker und Maschinenbauer kümmern sich um die Infrastruktur und Automatisierung bei schwankender H2-Verfügbarkeit.
- Wo wird gearbeitet: Raffinerie- und Chemieunternehmen wie BASF, Covestro, Evonik, Wacker Chemie
Stahl: Direktreduktion statt Hochofen
Stahlhersteller ersetzen kohlebasierte Hochöfen durch wasserstoffbasierte Direktreduktionsanlagen (DRI). Bis 2030 sollen Hochöfen mit 10 Mio. t Kapazität umgestellt werden. Stahl könnte damit perspektivisch ein Drittel der deutschen Wasserstoffnachfrage verantworten.
- Metallurgen entwickeln neue Produktionsverfahren. Verfahrenstechniker und Maschinenbauer planen und integrieren die DRI-Anlagen in bestehende Stahlwerke.
- Wo wird gearbeitet: Zum Beispiel bei großen Stahlunternehmen wie der Salzgitter AG, Thyssenkrupp Steel, ArcelorMittal oder Primetals Technologies
Mobilität: Brennstoffzellen und E-Fuels
Im Pkw-Bereich dominiert die Batterie. Aber bei Lkw, Schiffen und Flugzeugen könnten Wasserstoff-Brennstoffzellen und E-Fuels auf H2-Basis bedeutsam werden, wenn Batterien in puncto Reichweite oder Gewicht an ihr Limit kommen.
- Fahrzeugtechniker und Elektroingenieure integrieren Brennstoffzellensysteme und entwickeln Antriebsstränge. Verfahrenstechniker arbeiten an E-Fuels-Anlagen (Power-to-Liquid). Luftfahrttechniker forschen an kryogenen Tanksystemen für flüssigen Wasserstoff.
- Wo wird gearbeitet: Daimler Truck, MAN, Airbus, MTU Aero Engines, Sunfire, Ineratec

Vom Erdgas zum Wasserstoff: Rund 60 Prozent des geplanten H2-Kernnetzes entstehen durch Umwidmung bestehender Pipelines – eine Herkulesaufgabe für die Ingenieurswelt.
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Praxisteil: So gelingt der Einstieg
Brauche ich Zusatzqualifikationen?
Die wichtigste Erkenntnis vorab: Ein neues Studium müssen Sie nicht abschließen. Wer Maschinenbau, Elektrotechnik, Verfahrenstechnik oder verwandte Fächer studiert hat, bringt die Grundlagen mit. Entscheidend sind Extra-Qualifikationen, die oft in Schulungen von wenigen Tagen bis Wochen vermittelt werden. Einige Beispiele:
- Hochdruck-Systeme: Wasserstoff wird oft unter hohem Druck (bis 700 bar) gelagert und transportiert. Sicherheitstechnik für Druckbehälter, Ventile und Leitungen ist Pflicht – entsprechende Schulungen sind gesetzlich vorgeschrieben.
- Hochvolt-Systeme: Bei Elektrolyseuren und Brennstoffzellen kommen Hochvolt-Komponenten zum Einsatz. Wer damit arbeitet, braucht spezielle Qualifikationen – ähnlich wie in der E-Mobilität.
- Stoffeigenschaften: H2 diffundiert durch viele Materialien, macht Stahl spröde und hat weite Explosionsgrenzen. Schulungen zu physikalischen und chemischen Besonderheiten sind daher Standard.
- Normen und Zertifizierung: Je nach Branche sind unterschiedliche Standards relevant (DIN EN 17127 für Tankstellen, ISO/TS für Brennstoffzellen, diverse VDI-Richtlinien). Viele Arbeitgeber bieten diese Schulungen intern an. Externe Anbieter wie TÜV, DEKRA oder der Deutsche Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verband (DWV) haben ebenfalls Kurse im Portfolio.
Wie sieht es mit dem Quereinstieg aus?
Wasserstoff-Unternehmen suchen händeringend nach Fachkräften – und viele davon kommen aus anderen Industrien. Quereinstiege sind ausdrücklich erwünscht. Entscheidend ist, dass Kompetenzen und Tätigkeitsprofile passen: Wer Pumpen, Verdichter oder Druckbehälter kennt, kann sich schnell in wasserstoffspezifische Anforderungen einarbeiten. Auch Projekterfahrung im Anlagenbau oder in der Inbetriebnahme komplexer Systeme ist relevant – egal aus welcher Industrie.
Beispiele für einen Quereinstieg:
- Maschinenbauer aus Öl & Gas → H2-Erzeugung (Anlagenbau ist Anlagenbau)
- Verfahrenstechniker aus Pharma/Lebensmittel → Chemie/H2 (Prozesstechnik bleibt Prozesstechnik)
- Bauingenieur für Erdgas-Netze → H2-Transport bei einem FNB (bestehende Leitungen werden umgewidmet)
- Regelungstechniker aus Kraftwerkstechnik → Elektrolyse (dynamischer Betrieb bei volatiler Stromerzeugung)
Wo finde ich Jobs in der Wasserstoffwirtschaft?
- Klassische Jobportale: StepStone, Indeed, LinkedIn – mit Keywords wie „Wasserstoff“, „Elektrolyseur“, „Brennstoffzelle“, „H2″
- Branchenspezifisch:
- Energie-Jobbörsen: energiejobs.de, jobverde.de, greenjobs.de
- Ingenieursportale: ingenieur.de, VDI-Karriere
- Direkt bei Unternehmen: Viele Unternehmen, die in der H2-Branche tätig sind, haben eigene Karriereseiten
Regionale Hotspots
Wasserstoff-Jobs gibt es bestimmt auch in Ihrer Nähe. Zu den wichtigsten Zentren zählen heute:
- Norddeutschland wird Energiehub: Offshore-Wind trifft auf Importterminals. Großelektrolyseure entstehen in Städten wie Wilhelmshaven, Hamburg und Emden.
- NRW transformiert seine Industrie: Viele Unternehmen im Rheinland und dem Ruhrgebiet sind künftig Großverbraucher. In Duisburg soll Europas größte Direktreduktionsanlage entstehen, viele Netzbetreiber rüsten ihre Erdgasnetze auf H2 um.
- Süddeutschland entwickelt H2-Anwendungen: Daimler Truck, BMW und Airbus arbeiten an Brennstoffzellen und H2-Antrieben. Zulieferer wie Bosch und ZF bauen eigene H2-Divisionen auf.
- Mitteldeutschland baut auf seiner Chemie-Tradition auf: Das Dreieck Leuna-Bitterfeld-Wolfen zählt traditionell zu den industriellen Wasserstoff-Zentren. Zusätzlich entstehen hier unterirdische Speicher in Salzkavernen – etwa in Bad Lauchstädt.
Tipp: Die deutsche Wasserstoffcommunity trifft sich mittlerweile auf einer Vielzahl von Fachmessen und anderen Events. Ob „Hydrogen Technology Expo“ in Hamburg, die „hy-fcell“ in Stuttgart oder das H2Forum in Berlin – auch in Ihrer Nähe gibt es bestimmt bald eine H2-Veranstaltung, die Gelegenheit zum Netzwerken bietet.
Fazit: Wasserstoff als Karrierepfad
Grüner Wasserstoff ist keine Modeerscheinung, sondern eine Schlüsseltechnologie der Energiewende. Wer jetzt als Ingenieur einsteigt, kann eine Branche mitgestalten, die in den kommenden Jahrzehnten massiv wachsen wird. Zwei Gedanken zum Abschluss.
Die Rahmenbedingungen stimmen: Der Fachkräftemangel spiegelt sich in attraktiven Gehältern wider. Einsteiger können mit einem Gehalt rechnen, das oft 5-10 % über vergleichbaren Positionen in etablierten Industrien liegt. Erfahrene Spezialisten, besonders im Projektmanagement und in der Systemintegration, sind so begehrt, dass Gehälter von 80.000 bis 120.000 Euro brutto im Jahr auf zahlreichen Jobportalen keine Seltenheit sind. Dazu kommt: Notwendige Zusatzqualifikationen werden oft vom Arbeitgeber finanziert – ein Investment in die eigene Karriere ohne Risiko.
Aber: Die Wasserstoffwirtschaft ist noch im Aufbau. Manche Geschäftsmodelle müssen sich erst beweisen, Förderprogramme können sich ändern, und nicht jedes angekündigte Projekt wird realisiert. Wer einsteigt, sollte mit einer gewissen Unsicherheit leben können und Lust auf Pionierarbeit haben. Dafür bietet die Branche Gestaltungsfreiheit und die Chance, einen Impact zu haben.
Perfektion wird nicht erwartet – bei vielen Unternehmen lautet die Devise „Learning by Doing“. Der Wasserstoffhochlauf ist ein neues Phänomen, aber die Technologie ist da, die politischen Weichen sind gestellt, die Infrastruktur ist geplant. Was fehlt, sind die Menschen, die das alles umsetzen. Vielleicht sind Sie einer davon.
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