AU-Tage in Deutschland 08.12.2025, 11:00 Uhr

Vom Rekord-Krankenstand zur gesunden Arbeitskultur: Wege aus der Belastungsfalle

Deutschland verzeichnet einen Rekord-Krankenstand, der Milliarden kostet und tiefe strukturelle Probleme offenlegt. Hinter den Fehlzeiten stehen Überlastung, digitale Dauererreichbarkeit und fehlendes Vertrauen in Unternehmen. Prof. Martin Lange warnt, dass ohne echte Prävention und eine Kultur des Vertrauens der Trend weiter eskalieren wird.

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&Hohe Krankenstände belasten deutsche Unternehmen – Experten warnen vor den wirtschaftlichen und strukturellen Folgen.

Foto: PantherMedia / Bernd Leitner

Deutschlands Wirtschaft kämpft mit einem Problem, das tief in den Strukturen der modernen Arbeitswelt verwurzelt ist: einem Krankenstand auf Rekordniveau. Die hohen Arbeitsausfälle führten im vergangenen Jahr zu großen Produktionsverlusten, und die deutsche Wirtschaft hätte ohne sie fast 0,5 % wachsen können.

Während Top-Manager die Wiedereinführung von unbezahlten Krankheitstagen („Karenztage“) fordern, um die milliardenschwere Last der Lohnfortzahlung zu mindern, warnen Experten vor den verheerenden Folgen einer Kultur des Misstrauens. Prof. Dr. Martin Lange von der IST-Hochschule für Management und ausgewiesener BGM-Experte, liefert eine tiefgehende Analyse der Ursachen und fordert einen radikalen Kurswechsel. Also weg von „Pflasteraktionen“, hin zur systematischen Prävention und Vertrauensbildung.

Ein „erschreckendes“ Plateau: Der Trend ist manifestiert

In Deutschland geben Arbeitgeber 2024 rund 82 Milliarden Euro für krankheitsbedingte Ausfälle ihrer Beschäftigten aus.

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Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sind das 10 Milliarden Euro mehr als noch vor drei Jahren – vor allem wegen hoher Krankenstände und mehr Beschäftigten.

Im vergangenen Jahr waren Beschäftigte in Deutschland durchschnittlich 22,3 Tage krankgemeldet – also über vier Wochen (bei 5-Tage Woche). Prof. Dr. Martin Lange sieht in diesen Werten keinen Zufall oder eine kurzfristige Spitze.

„Um einen Trend zu beurteilen, muss man schon ein paar Jahre zurückschauen“, erklärt Lange. Er stützt seine Einschätzung auf umfassende Daten: „Ich orientiere mich häufig am Fehlzeitenreport, weil dieser mit 14 Millionen Versicherten den größten Teil der Erwerbstätigen abdeckt. Seit 50 Jahren sehen wir dort die höchsten Krankenstände, wenn man mal zurückblickt“.

Martin Langes Fazit ist eindeutig: „Ich würde also nicht sagen, dass das nur eine Momentaufnahme ist – das ist schon ein Trend oder zumindest ein Plateau, das sich manifestiert“. Die durchschnittliche Krankenquote sei „erschreckend“.

Die finanziellen Auswirkungen dieses Plateaus sind dramatisch. Die Arbeitgeberaufwendungen für erkrankte Beschäftigte beliefen sich 2024 auf rund 82 Milliarden Euro. „Wenn man das auf die Kosten umlegt, sprechen wir allein beim Mindestlohn von 70.000 bis 80.000 Euro Ausfallkosten pro 100 MA pro Jahr – in der Realität sicher das Drei- bis Vierfache“. Angesichts solcher Zahlen resümiert er: „Wirtschaftlich ist das prekär“.

Für Professor Lange ist klar, dass die Gesundheit der Mitarbeitenden zur Chefsache werden muss, da sie nicht durch Technologie ersetzt werden kann: „Unternehmen können in Marketing oder Organisationsentwicklung investieren, aber Gesundheit lässt sich nicht ignorieren. Sie muss Thema auf Geschäftsführungs- oder Konzernsitzungen sein. Wir können nicht alles mit KI ersetzen – die Menschen und ihre Gesundheit sind zentral“.

Prof. Martin Lange

Prof. Martin Lange warnt vor den Folgen des Rekord-Krankenstands und fordert eine Kultur des Vertrauens.

Foto: IST-Hochschule

Die Erschöpfung des „Muskels“: Multikausale Belastungen

Um die Wurzel des Problems zu verstehen, muss man laut Lange die tiefgreifenden Veränderungen der modernen Arbeitswelt analysieren. „Der Anstieg ist definitiv multikausal, man kann ihn nicht auf einen einzelnen Faktor zurückführen“, betont Lange.

Ein Hauptfaktor ist die starke Arbeitsverdichtung und Volatilität. Während im öffentlichen Dienst Wissen durch die Verrentung älterer Beschäftigter verloren gehe, müssten gleichzeitig hochkomplexe Entscheidungen, etwa zu Digitalisierung oder Umstrukturierung, getroffen werden. Lange vergleicht die heutige Arbeitsdynamik mit der Automobilindustrie: „Heute muss VW die Frequenz neuer Modelle deutlich erhöhen. Dasselbe gilt für Unternehmen wie Apple: Sie bringen jedes Jahr ein neues iPhone heraus, um am Ball zu bleiben und Wachstum zu sichern“.

Dazu kommt die enorme Informationsdichte und ständige Erreichbarkeit. Wo früher Briefe oder Faxe Pufferzeiten schufen, fordern moderne Kommunikationstools (Teams, E-Mails) sofortige Reaktion und Verarbeitung. Diese Dauerbelastung führt zur Erschöpfung des zentralen Organs: „Das Gehirn wird permanent beansprucht. Ich vergleiche das gerne mit einem Muskel: Wenn man ihn einen ganzen Tag eine Last halten lässt, erschöpft er irgendwann. Wenn wir das Gehirn kontinuierlich über acht Stunden und darüber hinaus, auch in Pausen über das Handy, mit Informationen überfluten, wird es genauso erschöpft“.

Diese ständige Verfügbarkeit lässt die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben verschwimmen. Lange fordert daher, dringend eine Balance herzustellen: „Wir müssen wieder eine Balance herstellen. Pausen sind entscheidend, auch im Homeoffice, denn dort fehlen soziale Interaktionen“. Reine Homeoffice- oder reine Büroarbeit hält er dabei für wenig sinnvoll: „Pauschales Homeoffice oder nur Büroarbeit ist nicht sinnvoll“. Stattdessen sollten flexible Modelle genutzt werden, die sowohl Ruhephasen als auch kreative Team-Phasen ermöglichen.

Kontrolle vs. Vertrauen: Die Kritik an den politischen „Pflasteraktionen“

Angesichts der steigenden Zahlen werden in der Politik und Wirtschaft vermehrt Maßnahmen diskutiert, die auf Kontrolle und finanzielle Sanktionen abzielen. Lange lehnt diesen Ansatz klar ab. Für ihn ist Kontrolle nur die allerletzte Option: „Also, Kontrolle sollte wirklich das allerletzte Mittel sein“. Er warnt davor, auf dauerhafte, strikte Überwachung zu setzen, da dies „langfristig nichts“ bringe.

Er sieht die Verantwortung geteilt: „Nein, es ist eine Fifty-Fifty-Verantwortung. Mitarbeiter tragen Verantwortung für ihre Gesundheit, Arbeitgeber für Arbeitsbedingungen und Strukturen“.

Die aktuellen politischen Diskussionen betrachtet Lange als oberflächlich und kurzsichtig: „Also, die Maßnahmen, die gerade diskutiert werden, sind aus meiner Sicht oft nur kleine Pflasteraktionen. Man klebt hier ein Pflaster drauf, da ein Pflaster – das sind so Symptomkorrekturen. Aber die Ursachen werden damit nicht gelöst“. Er kritisiert, dass die Politik zwar „ein paar Zahlen“ und Statistiken korrigiere, aber nicht „an die Wurzel des Problems“ gehe.

Lange insistiert, dass die wirkliche Lösung im Aufbau einer positiven, gesunden Unternehmenskultur liegt, die auf Kommunikation und Vertrauen basiert. „Und das Allerwichtigste ist Kommunikation. Das ist oft das günstigste und gleichzeitig wirksamste Instrument“, sagt er. Denn nur mit Vertrauen können Unternehmen zielgerichtet handeln: „Wenn Mitarbeitende Vertrauen haben, dann trauen sie sich auch, ihre tatsächlichen Bedürfnisse zu äußern. Nur so kann ein Unternehmen sinnvoll investieren… Ohne Vertrauen wird alles nur für die Schublade umgesetzt“.

Präsentismus und die vergessenen Gruppen

Ein erhöhtes Misstrauen würde das Problem des Präsentismus verschärfen – das Erscheinen am Arbeitsplatz trotz Krankheit. Lange warnt eindringlich vor den ökonomischen Folgen: „Langzeiteffekte von Präsentismus sind teuer. Wenn Mitarbeiter krank zur Arbeit kommen, verschleppt sich die Krankheit, und Übertragungseffekte treten auf. Langfristig steigen dadurch Ausfallzeiten und Kosten“.

Um dies zu vermeiden, müsse auch hier die Kommunikation an erster Stelle stehen: „Aber ich bleibe dabei: Das Allerwichtigste ist, dass Kommunikation stattfindet. Es muss erlaubt sein, dass Mitarbeitende überhaupt sagen: ‚Mir geht es nicht gut.‘“.

Die wirklich große Herausforderung sieht Lange in der Prävention und Gesundheitsförderung, die systematisch und bedarfsgerecht erfolgen muss. Pauschale Angebote helfen wenig, weshalb eine betriebliche Gesundheitsstrategie „systematisch auf die Bedarfe der einzelnen Subsysteme abgestimmt werden“ müsse.

Dabei müssten besonders die vulnerablen Gruppen in den Blick genommen werden: „Hier müssen wir deutlich stärker investieren, gerade bei den Gruppen, die am meisten gefährdet sind: Menschen mit niedriger Bildung, niedrigem Einkommen oder befristeten Arbeitsverhältnissen“. Diese Personen fehlen oft besonders lange, weil sie Krankheiten verschleppen – aus Angst, den Job zu verlieren, oder weil ihnen die Angebote unbekannt sind.

Belastungen erkennen, handeln, vorbeugen

Lange liefert praktische Beispiele, wie Unternehmen reagieren müssen, wenn sie Arbeitsunfähigkeiten systematisch analysieren:

  • Bei vielen Muskel-Skelett-Erkrankungen muss geprüft werden, ob die „richtigen Hilfsmittel“ und „passende Ausstattung“ vorhanden sind oder ob „vielleicht ein Rotationssystem eingeführt“ werden muss, damit die Belastung reduziert wird.
  • Bei mentalen Belastungen, die oft Akademiker und Angestellte betreffen, müssten kleine Routinen helfen: „Pausen einplanen, zwischendurch aufstehen, sich strecken, kurz weg vom Bildschirm – das sind kleine Routinen, die sehr viel bringen“.

Besondere Aufmerksamkeit widmet Lange den Auszubildenden (Azubis), bei denen psychische Belastungen auffällig sind: „Sie fühlen sich überfordert: Hohe Lebenshaltungskosten, Unsicherheit, Wohnen noch zu Hause, vielleicht gerade das erste Auto finanziert – das alles erzeugt Stress“. Lange fordert Unternehmen auf, diese Belastungen nicht zu ignorieren und unterstützende Rahmenbedingungen zu schaffen.

Die demografische Zeitbombe und die Konsequenzen des Nichthandelns

Wenn Deutschland den steigenden Krankenstand nicht ernst nimmt, drohen drastische Folgen, darunter der Verlust von rund 26 Milliarden Euro an Einkommen. Lange warnt vor einer „massiven Kostenexplosion“, deren Hauptlast auf den jüngeren Generationen liegen wird, sowie „deutliche Einschnitte in der Produktivität und beim BIP“.

Sein größtes Unverständnis gilt dem politischen Versäumnis bei der Vorbereitung auf den Arbeitsmarktaustritt der Babyboomer: „Ich bin immer wieder entsetzt, wie wenig wir auf die demografische Entwicklung reagiert haben und wie schlecht wir darauf vorbereitet sind“. Lange betont, dass die Zahlen seit Jahrzehnten bekannt waren: „Das war so klar vorhersehbar, wie das Amen in der Kirche – und ich verstehe bis heute nicht, warum darauf nicht geachtet wurde“.

Angesichts der Tatsache, dass die Fachkräfte nun tatsächlich aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden, drängt die Zeit. Lange fordert daher: „Wir brauchen harte, radikale politische Entscheidungen, weil die Zeit davonläuft“. Um die Wirtschaft stabil zu halten und die gesellschaftlichen Folgen abzufedern, müsse die Politik unumgänglich „nachjustieren“.

Ein Beitrag von:

  • Alexandra Ilina

    Alexandra Ilina ist Diplom-Journalistin (TU-Dortmund) und Diplom-Übersetzerin (SHU Smolensk) mit mehr als 20 Jahren Berufserfahrung im Journalismus, in der Kommunikation und im digitalen Content-Management. Sie schreibt über Karriere und Technik.

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