Wiedereinstieg nach Burnout und Depression angestrebt
Karriereberater Heiko Mell erläutert, warum Rückkehrer nach längerer Krankheit oft mit Vorbehalten kämpfen – und wie man diesen professionell begegnet.
Der schwierige Wiedereinstieg – Realität und Erwartungen im Bewerbungsprozess nach Krankheit.
Foto: panthermedia.net / Andriy Popov
Frage: Wie kann ich mit Anfang 40 nach einem Burnout mit Depressionen, gefolgt von einer krankheitsbedingten Kündigung und einem Jahr Auszeit den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt schaffen?
Zuletzt war ich ca. neun Jahre in Vollzeit als Konstrukteur bei einem kleinen mittelständischen Unternehmen im Metallbau tätig. Nach fünf Jahren Betriebszugehörigkeit hatte ich einen Burnout, gefolgt von einer Depression, nachdem ich mich wegen einer schweren Krankheit (mittlerweile geheilt) und wegen Existenzängsten jahrelang übernommen hatte.
Zu einem Konflikt kam es deswegen aber erst drei Jahre später, als es dem Unternehmen wirtschaftlich schlechter ging. Ich hatte damals aus Selbstschutz nur noch meine Sollstunden gearbeitet und recht viele Krankheitstage. Mir ging es in der zunehmend angespannten und gereizten Atmosphäre in der Firma gesundheitlich immer schlechter und ich befürchtete einen zweiten Burnout. Dass ich meine Gesundheit über die Interessen des Unternehmens gestellt habe, hat dann ein Jahr später zur Kündigung geführt. Das war eine erwartbare und wirtschaftlich nachvollziehbare Entscheidung.
Das beigefügte Zeugnis wurde nach einem Vergleich vor dem Arbeitsgericht von mir selbst erstellt, von meinem Anwalt geprüft und ohne Änderung vom Arbeitgeber übernommen.
Blick auf Zeugnis
Antwort 1: Haken wir erst einmal diese Phase ab; was dort geschehen ist, lässt sich jetzt nicht mehr ändern – es sind Fakten, die Sie nun mit sich herumtragen müssen.
Werfen wir einen Blick auf jenes Zeugnis, das für jeden halbwegs an Ihnen interessierten Bewerbungsempfänger von besonderem Interesse sein wird. Er erwartet natürlich nicht, darin die „absolute Wahrheit“ zu finden, interessiert sich aber dafür, wie diese nun gegebenenfalls verklausuliert wurde.
Übrigens: Nachdem dieses Dokument vom früheren Arbeitgeber unterschrieben wurde, ist es eine „in Stein gemeißelte“ Aussage eines Unternehmens; wer den Entwurf geliefert hatte und wer ihn etwa geprüft hat, ist ohne Belang. Man bescheinigt Ihnen jene neun Konstruktions-Jahre mit der passenden stichwortartigen Aufgabendetaillierung. Der in modernen Zeugnissen übliche, aber nicht vorgeschriebene Absatz über eventuelle spezielle Erfolge in dieser langen Zeit fehlt. In der Beurteilung einzelner Eigenschaften und Fähigkeiten wechseln sich sehr gute mit guten Wertungen ab. Die Gesamtnote ist „gut“. Über die Umstände des Ausscheidens (wer hat wem warum gekündigt?) wird nichts gesagt, aber man bedauert es, den Mitarbeiter zu verlieren (der ohne Angabe von Details einfach „weg“ ist).

Karriereberater Heiko Mell.
Nachdem aus dem Lebenslauf die anschließende Arbeitslosigkeit mit Sicherheit hervorgeht und das Zeugnis nichts Gegenteiliges enthält, wird man die arbeitgeberseitige Kündigung unterstellen. Ein Ausscheiden auf eigenen Wunsch hätte hier auch nichts genützt: Es hätte nur eine danach folgende „Arbeitslosigkeit auf eigenen Wunsch“ bescheinigt – ein Unding.
Der Zeugnisformulierer steckte in einem echten Dilemma: Unter den aus der Bewerbung hervorgehenden Gesamtumständen ist eine arbeitgeberseitige „Schönfärbung“ des Dokumentes (aus sozialen Erwägungen heraus) um etwa eine Notenstufe üblich. Zieht man die bei der Bewerbungsanalyse wieder ab, bleibt hier nur eine „befriedigende“ Gesamtaussage übrig – das ist nicht viel. Zwar wäre ein sehr gutes Zeugnis hier unglaubwürdig gewesen, aber nach Abzug einer Note wäre dann wenigstens ein „Gut“ übriggeblieben. Und auch bei der Schlussformulierung wäre mehr möglich gewesen – unter den gegebenen Umständen hätte der Entwurf in die Hand eines Profis gehört. Nun, das ist Geschichte, Sie müssen damit leben.
Realität und Erwartungen im Bewerbungsprozess nach Krankheit
Frage 2: Nach einem Klinikaufenthalt habe ich mich erst einmal voll und ganz auf meine Gesundheit konzentriert und konsequent daran gearbeitet, selbst verursachte Stressfaktoren zu eliminieren und meine Belastbarkeit zu steigern. Nun fühle ich mich wieder fit für den Wiedereinstieg. Die ersten Gehversuche als Bewerber haben mir aber klar gezeigt, dass das schwerer ist als ich es mir vorgestellt hatte.
Antwort 2: Das glaube ich gern. Zwar sieht das „System“ für Ausnahmefälle wie Ihren keine Standardlösung vor, dennoch gibt es Rahmenkonstellationen, innerhalb derer sich der einzelne Entscheidungsträger (Bewerbungsempfänger) mit hoher Wahrscheinlichkeit bewegt und orientiert:
a) Sehr viele Unternehmen sind trotz der stets dominierenden wirtschaftlichen Ziele und Interessen recht sozial eingestellt und leisten auf diesem Gebiet absolut Vorzeigbares. Aber: Sie sind dann, wenn sie so denken und handeln, sozial gegenüber den Menschen, die schon in diesem Unternehmen als Mitarbeiter beschäftigt sind, für die sie in ihrer Arbeitgeberfunktion bereits Verantwortung haben! Eine besondere soziale Einstellung gegenüber außenstehenden Menschen, die vielleicht als Bewerber auftreten, ist – ich formuliere einmal vorsichtig – deutlich weniger stark ausgeprägt. Ein Unternehmen fühlt sich in der Regel nicht berufen, soziale Probleme innerhalb der Gesellschaft zu lösen, es hat in dieser Hinsicht genug mit seinen Mitarbeitern zu tun.
b) Das bedeutet: Der außenstehende Bewerber darf generell kaum auf eine besondere positive Bewertung etwa wegen seines Schicksals (was immer das im Detail bedeutet) hoffen. Die an ihn gestellte Frage, die er beantworten muss, lautet: „Was bringst du gegenüber anderen Bewerbern mit, welche Vorteile habe ich, wenn ich dich einstelle?“
Es geht nicht darum, dass die betrieblichen Einstell-Entscheide etwa kein Verständnis hätten für die fatale Situation eines solchen Bewerbers – das haben sie durchaus –, es geht darum, dass sie gehalten sind, die mittelfristigen Interessen ihres Hauses an die erste Stelle ihrer Überlegungen zu setzen (etwa so wie Sie oben angeben, Ihre Gesundheit auf die Nr. 1 Ihrer Prioritätenskala gesetzt zu haben).
c) Es bleibt also dabei: Wer sich bewirbt, muss darstellen, dass er von vielleicht zwanzig Bewerbern dem Unternehmen den größten Nutzen für die Kosten verspricht, die bei einem solchen neuen Mitarbeiter anfallen (z. B. Gehalt).
d) Und dann gilt das „ewige Gesetz“ der Bewerberbeurteilung, bei der es im Gegensatz zum Strafrecht („Im Zweifel für den Angeklagten“) heißt: „Im Zweifel gegen den Bewerber.“
Für den Bewerbungsempfänger, der generell medizinischer Laie ist, bedeuten „unklare Krankheitsgeschichten“ mit ihrer unterstellten Wiederholungsgefahr pauschal sehr große Unsicherheiten und jede Art von psychischer Krankheit ruft besonders große Zweifel hervor. Der Entscheider ist gehalten, lieber die Finger von einer solchen Bewerbung zu lassen – es sei denn, der Bewerber liefert ihm Argumente, die alle diese Zweifel aufwiegen (siehe auch unten).
Vollzeit und Gesundheit
Frage 3: Ich bewerbe mich aktuell nur für eine 4-Tage-Woche. Ich habe das bisher klar in meinen Bewerbungen angegeben. Das Resultat war, das ich bisher keine einzige Einladung erhalten habe. Sie haben früher einmal geraten, den Wunsch nach Teilzeit erst im Vorstellungsgespräch anzusprechen. Ich hätte dann aber keinen Grund für meinen plötzlichen Teilzeitwunsch. Sich um eine Vollzeit-Anstellung zu bewerben, funktioniert gesundheitlich leider nicht.
Als Erklärung für mein Jahr Auszeit spreche ich im Lebenslauf von einer „beruflichen Auszeit aus privaten Gründen“, und ich würde erst im Gespräch von einer Krankheit erzählen – aber explizit betonen, dass ich geheilt und jetzt wieder fit bin (das passt doch nicht zu Ihrer 4-Tage-Woche; H. Mell).
Mir ist bewusst, dass ich in meiner Situation nicht wählerisch sein darf – nur dauerhaft umziehen möchte ich nicht. Dann möchte ich auch meine überdurchschnittlichen Fähigkeiten vergütet bekommen und mich nicht unter Wert verkaufen. Andererseits ist mir durchaus bewusst, dass ich bis zu einem gewissen Grad ein Risikokandidat bin – und Risiko wird nun einmal mit einem geringeren Gehalt kompensiert.
Antwort 3: Also Sie haben es mit klassischen Bewerbungen und einer vermeintlich geschickten Argumentation versucht – es ist nichts dabei herausgekommen.
Sie brauchen so schnell wie möglich eine halbwegs zu Ihrer Qualifikation passende Anstellung, das muss für Sie unbedingt „Priorität 1“ haben, alles andere darf erst auf niederen Rangstufen Ihrer Prioritätenskala folgen. Dazu gehören die klare Umzugsbereitschaft (bundesweite Bewerbungen) und die Hintanstellung der Gehaltsfrage.
Um wettbewerbsfähig auf dem Arbeitsmarkt zu sein, müssen Sie dem Bewerbungsempfänger etwas bieten, was er von anderen Kandidaten nicht bekommt. Etwa, weil er in einer als total unattraktiven Region sitzt, für die es beim herrschenden „Fachkräftemangel“ kaum Mitbewerber gibt. Oder weil Sie eine genau passende, auf großer einschlägiger Erfahrung beruhende Spezial-Qualifikation mitbringen.
Weil der Empfänger wenigstens alles verstehen muss, was mit Ihrer Situation zusammenhängt, sollten Sie in der Bewerbung ganz offen pauschal eine „Krankheit“ als Grund angeben. Diese muss, damit Sie überhaupt eine Chance haben – „geheilt“ sein, es darf kein besonderes Rückfallrisiko bestehen.
Dem steht Ihre 4-Tage-Woche entgegen! Als medizinischer Laie glaube ich ohnehin nicht, dass jemand vorhersagen kann, Sie seien für vier Tage fit, für fünf aber nicht. Das klingt nach einer äußerst fragilen Belastungssituation. Ich sehe zwei Möglichkeiten für Sie:
Entweder Sie akzeptieren eine übliche 5-Tage-Woche klaglos – oder Sie bewerben sich von Anfang an offen um eine echte „Halbtagsstelle“. Das versteht dann wenigstens jeder. Beispiel für Ihre Argumentation: „Meine Krankheit ist ausgeheilt, die volle Belastbarkeit wieder gegeben. Die Ärzte raten mir jedoch, zur problemlosen Wiedereingliederung nach der Zwangspause mit einer Halbtagstätigkeit zu beginnen. Ich gehe davon aus, dass nach spätestens einem Jahr eine Ausweitung meiner Arbeitszeit auf eine Voll-Beschäftigung problemlos möglich sein wird.“
Aber: Viele Frauen, die wegen der Kinderbetreuung verzweifelt Halbzeit-Jobs suchen, wissen inzwischen, wie schwer das zu realisieren ist. Aber warum Sie genau 80% (4 statt 5 Tage) belastbar sein sollten, versteht niemand – und es ist im Hinblick auf Ihre uneingeschränkte Einsetzbarkeit höchst „verdächtig“.
Bleibt man ein „Risiko“?
So und dann kommt der entscheidende Punkt: Geheilt oder nicht, Sie bleiben ein besonderes Risiko. Also empfehle ich, in der Bewerbung etwa zu schreiben (und auch so zu denken):
„Für den Fall, dass Sie in meiner Bewerbung ein besonderes Risiko sehen, bin ich gern bereit, einen wesentlichen Teil davon selbst zu tragen. So wäre ein zunächst befristetes Arbeitsverhältnis ebenso denkbar wie ein Einstieg etwa als Selbstständiger oder auch über ein mehrmonatiges Praktikum. Ich bin sicher, Sie in jedem Fall von meiner wieder hergestellten Einsatz und Leistungsfähigkeit überzeugen zu können. Die Gehaltsfrage steht für mich gerade am Anfang nicht im Mittelpunkt – ich weiß, dass ich erst mögliche Vorbehalte ausräumen muss.“
Es gibt keine Garantie, dass Sie auf diesem Wege spontan zum Erfolg kommen. Aber man kann nahezu garantieren, dass Ihr bisheriges Vorgehen vom Arbeitsmarkt nicht akzeptiert werden dürfte.
Versetzen Sie sich in die – schwierige – Situation des einstellentscheidenden künftigen Chefs eines solchen Bewerbers. Geht es mit dem Engagement dieses immer risikobehafteten Kandidaten in dem neuen Unternehmen irgendwie schief, dann ist der Chef-Chef mit Vorwürfen schnell bei der Hand: „Wie konnten Sie denn auch diesen Mann mit dieser Vorgeschichte einstellen!“ Dieses Risiko scheut Ihr potenzieller Chef. Zum Ausgleich müssen Sie ihm etwas bieten, was andere Bewerber nicht haben – z. B. die Bereitschaft, einen Job anzunehmen, für den Sie eigentlich überqualifiziert sind und schlecht bezahlt werden (geringe Kosten aus der Sicht des Unternehmens). Es wird leider kein leichter Weg werden. Wir sind eine Leistungsgesellschaft – und Leistung setzt u. a. Belastbarkeit voraus. Auf Wirtschaftlichkeit getrimmte Unternehmen sind dabei schwierige Partner. Versuchen Sie es ggf. auch einmal im öffentlichen Dienst.
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