Ich soll intern wechseln
Karriereberater Heiko Mell diskutiert mit seinen Lesern den komplexen Konflikt zwischen den Schwestergesellschaften A und B. Er beleuchtet Machtspiele, Reibungsverluste und persönliche Entscheidungsspielräume für Führungskräfte, die vor der Wahl zwischen Loyalität, Aufstieg oder externem Wechsel stehen.
Navigieren im Konzern-Dschungel.
Foto: panthermedia.net/BrianAJackson
Der Konflikt zwischen A und B
3.310. Frage/1:
Ich arbeite seit einer Reihe von Jahren in der Leitung einer Niederlassung eines mittelgroßen Ingenieurbüros (A) und habe u. a. Fachgebiets und Mitarbeiterverantwortung. Ein weiterer Aufstieg ist dort für mich nicht möglich, es bliebe dann nur noch die übergeordnete GF, aber dafür halte ich mich nicht geeignet. Ich bin im Großen und Ganzen zufrieden, meine derzeitigen GF sind es mit mir auch.
Über unserer Gesellschaft A gibt es noch eine Mutterfirma. Vor einiger Zeit ist aus A eine Schwestergesellschaft B ausgegründet worden. Es war von Anfang an die Erwartung der GF dieser neuen B, dass mein Fachgebiet mit mir zu ihnen wechselt. Dabei hatte sie gar keine genaue inhaltliche Kenntnis von dem, was wir tun, nur unsere Bezeichnung klang für sie entsprechend passend.
Aus methodischen Gründen habe ich das nicht für besonders sinnvoll gehalten und dem Wechsel in Einigkeit mit dem GF von A, jedoch zum großen Unmut der GF von B, nicht zugestimmt.
Obwohl wir mit B fachlich gut zusammenarbeiten, scheint meine Absage bei deren GF „gegärt“ zu haben.
Antwort/1:
Irgendetwas stimmt hier mit der Praktizierung üblicher „Konzern-“ (um es einmal so zu nennen) Vorgehensweisen nicht: Die Ausgangslage (B will Sie, Sie wollen nicht) ist noch relativ klar. Bei B will und soll(!) man etwas aufbauen, man hat Ziele zu erreichen, Vorgaben zu entsprechen. Jetzt braucht man noch Ihr Fachgebiet mit Ihnen an der Spitze, bekommt es aber wegen der „Halsstarrigkeit“ von Ihnen nicht. also ist man – verständlicherweise – sauer.
Was in meinen Augen dabei nicht stimmt? Das ist einmal die Haltung der GF von A, also Ihrer vorgesetzten „Dienststelle“. Ich interpretiere aus Ihrer Darstellung, dass die GF von A nur wegen Ihrer so konsequenten Ablehnung des Projekts eine Art von „hinhaltendem Widerstand“ leistet – aber nicht halb so entschieden gegen Ihre Versetzung ist wie die GF von B dieselbe fordert. Sprich: Wären Sie endlich zur Mitwirkung an der Ausgründung Ihres Gebiets von A nach B bereit, dann würde Ihre heute für Sie zuständige A-GF ihren Frieden damit machen.
Und dann: Über A und B gibt es eine gemeinsame Mutter. Was macht die eigentlich so den lieben langen Tag? Für die Lösung solcher Konflikte zwischen Töchtern ist sie zuständig! Das dauert nur ein paar Stunden: A und B tragen ihre Argumente vor, Sie werden der Form halber angehört, bekommen aber zu verstehen, was die Mutter will (wenn sie nichts will, ist sie überflüssig), und man erwartet, dass Sie dem Willen der Mutter folgen. Ende des Problems.
Das bedeutet: Sie mögen mit Ihrer „methodischen“ Begründung Ihrer Ablehnung sogar recht haben – aber seit wann kommt es bei Fragen der Konzernstrategie denn darauf an? Es geht um Machtpolitik, um das Durchsetzen von Eigeninteressen (natürlich verpackt als „zum Wohle des Ganzen“).
Doppelstrukturen und Reibungsverluste
Frage/2:
Inzwischen ist bekannt, dass die GF von B sich eine eigene Abteilung für „mein“ Fachgebiet aufbauen will und wird. Da es dazu einer hohen Spezialisierung bedarf und die Aufgaben viel Erfahrung in Einzelfällen benötigen, ist bei eigenem Kompetenzaufbau mit einer Zeit von fünf bis zehn Jahren zu rechnen, bis die Leistungen qualitativ den unseren ebenbürtig sind.
Antwort/2:
Ich nehme Ihnen ab, dass Sie das wirklich so sehen. Aber da niemand heute für (Ihre maximal genannten) zehn Jahre vorausplant, dürfte B mit einer deutlich geringeren Zeitspanne (z. B. mit zwei bis drei Jahren) planen.
Wie immer das ausgeht: Während dieser Kompetenz-Aufbauphase muss es zwangsläufig zu Reibungsverlusten zwischen A und B kommen. Die werden bis zur großen Mutter durchschlagen – und dann muss diese endlich reagieren. Und sie, die Mutter, wird ziemlich ungehalten sein über den oder die Schuldigen an der dann drohenden Misere („Ressourcenverschwendung“, „kostenintensiver Aufbau von Mehrfachkompetenzen“, „Irritationen im Markt / bei Kunden“). Wen wird man – insbesondere aufbauend auf der engagierten Darstellung der B-GF – wohl letztlich in Sachen „Schuld“ ausgucken? Na aber sicher: Sie mit Ihrer Halsstarrigkeit!
Was immer sachlich gegen Ihren Wechsel spricht: Ich fürchte, Sie haben keine Chance, mit Ihrem Widerstand auf Dauer durchzukommen!
Ein Wechsel ohne Team, aber mit Druck
Frage/3:
Nun ist die GF von B nochmals auf mich zugekommen: Mein Fachgebiet müsse dort unbedingt aus eigenen Ressourcen angeboten werden können. Details (Gehalt, genauer Verantwortungsbereich) liegen noch nicht vor. Auch sollte ich meine heutigen Mitarbeiter nicht mitnehmen, sie sind für B uninteressant. Ich würde jedoch mehr Mitarbeiter führen als heute und könnte in meiner Niederlassung verbleiben, wäre dann aber für B tätig. Die Leitung der Muttergesellschaft ist über die Lage informiert, will oder kann aber keine Stellung nehmen.
Antwort/3:
Sie sehen also: Der Druck auf Sie wächst, das wird vorläufig nicht aufhören. Irgendwann gibt es Ärger, dann ist die Mutter gefordert (siehe oben). Vielleicht wartet man dort auch ganz bewusst ab, wer sich „da unten“ (aus Sicht der Mutter) durchsetzt. Auch das gibt es, die Devise heißt „Bloß nicht selbst Entscheidungen treffen“. Man kann aber hinterher viel leichter sagen, wer eigentlich wie hätte handeln müssen und das alles verursacht hat. Und das wird man dann auch.
Frage/4:
Aus meiner Sicht bieten sich folgende Alternativen: a) Ich bleibe bei A und warte, wie es mittelfristig mit der Konkurrenz im eigenen Haus so läuft. b) Wechsel zu B. Mit der großen Gefahr, dass trotz eines formalen Aufstiegs (endlich passiert etwas im Lebenslauf) aufgrund meiner dort fachlich stark begrenzten Mittel das Projekt zum Rohrkrepierer wird und/oder meine fachlichen Aufgaben deutlich weniger attraktiv sind als heute. Hardware- und Manpower-Unterstützung durch A hätte ich nicht mehr, eine Rückkehr in gleicher Hierarchieebene wäre ausgeschlossen. Meine derzeitigen Mitarbeiter würde ich im Stich lassen, sie aber jeden Tag am gleichbleibenden Standort sehen. c) Externe Bewerbungen, wobei Stellen wie meine nicht ausgeschrieben sind. Außerdem müsste ich umziehen und meinen Lebensmittelpunkt aufgeben.

Karriereberater Heiko Mell.
Zwischen A, B und dem Sprung nach außen
Antwort/4:
In Ihrer Bewertung von Variante a lassen Sie alle Möglichkeiten offen – auch die, dass es bei B auch ohne Sie gut laufen könnte. Und das, obwohl bei dieser Variante die armen Leute in B ohne den großen, total eingearbeiteten Super-Fachmann (Sie) auskommen müssten, der vermutlich sogar eher gegen sie arbeiten würde. Und wo bleibt die „große Gefahr“ bei a? Dass es nämlich zu großen Reibungsverlusten u.Ä. kommen könnte, die sich im ganzen „Konzern“ herumsprechen.
In Ihrer Darstellung von Variante b (der Super-Fachmann geht zu B) finden Sie jedoch lauter kleine „Haare in der Suppe“. Das ist unlogisch.
Machen Sie sich doch nichts vor: Mit Ihnen bei B würde die Sache dort doch fast garantiert „laufen“. Das Problem ist nur: Sie wollen nicht! Erkennen Sie, dass Sie letztlich keine andere Wahl haben – und tun Sie es nicht nur, sondern wollen(!) Sie es mit ganzer Kraft und vollem Engagement. Das bekommen Sie doch hin!
Wenn Sie sich weiter verweigern, riskieren Sie eine Niederlage. Die Mutter stützt heute Ihre Verweigerungshaltung nicht. Und Ihre A-GF steht auch nur halbherzig hinter Ihnen. Sie sind also ziemlich „allein gegen alle“.
Ich weiß, dass das Folgende schon ziemlich kitschig klingt und vermutlich schon sehr althergebracht ist – aber deshalb muss es ja nicht falsch sein. Und einen wahren Kern hat es meines Erachtens auf jeden Fall: Quält dich in tiefer Brust Das harte Wort „du musst“, setz an die Stelle frei und still das stolze Wort „ich will!“
Und was Ihre heutigen Mitarbeiter angeht: Das Argument ehrt Sie, ist aber im System nicht vorgesehen. Sie müssen (und jeder andere engagierte, ehrgeizige Angestellte muss es auch) vorrangig an sich und die eigene Karriere denken. Sie „verraten“ ja niemanden, Sie vollziehen nur einen ganz normalen Wechsel, bei dem Ihre Mitarbeiter einen neuen Chef bekommen – ein Standard-Risiko, das sie tragen müssen.
Zusätzlich haben Sie ja noch so tolle Argumente für eventuelle interne Diskussionen: Nicht Sie wollten, sondern man ist mehrfach mit hohem Nachdruck an Sie herangetreten. Und Ihr Wechsel dient ja dem Wohl des Unternehmens, wie Sie sich letztlich haben überzeugen lassen mussten. Dafür müssen Opfer gebracht werden.
Und seien Sie ehrlich: In Variante c spielen Sie mit einem externen Wechsel. Wenn es mehr entsprechende Angebote gäbe und Sie nicht umziehen müssten! Wo blieben denn dabei Ihre Mitarbeiter? Es geht also nur um Ihre spätere Begegnung mit denen am Arbeitsplatz. Da müssen Sie durch – und das geht auch. Niemand könnte Ihnen bösartiges oder auch nur falsches Vorgehen vorwerfen, solche Wechsel sind schlicht „systemimmanent“, damit werden sich schließlich alle abfinden.
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