Heiko Mell über den Einsatz von KI bei der Bewerbung
Bewerbung mit KI: legitim, aber nicht überall gern gesehen. Was 2025 empfohlen wird – und warum Inhalte wichtiger sind als perfekte Verpackung. Heiko Mell klärt auf.
Bewerbungen werden heutzutage eher selten mit der Schreibmaschine, dafür immer häufiger mit Hilfe von künstlicher Intelligenz geschrieben. Heiko Mell gibt Ratschläge, auf was es dabei zu achten gilt.
Foto: Smarterpix / kunertus
Inhaltsverzeichnis
- Ausgangsfrage: KI schreibt Bewerbungen auf Knopfdruck
- Antwort: Der Umbruch läuft – Regeln sind noch nicht gefestigt
- Deutungshoheit liegt bei den Bewerbungsempfängern
- Heterogene Empfänger: Warum es keine einheitlichen Maßstäbe gibt
- Empfehlung (Stand Ende 2025): Vorgehen in vier Schritten
- Inhalte vor Verpackung: Der Kern jeder Bewerbung
- Konkrete Empfehlung: Wo KI sinnvoll ist – und wo nicht
- Risiken: Ähnliche Texte, KI-Detektoren, Vertrauensverlust
- Schlussfazit und Zukunftsblick
Ausgangsfrage: KI schreibt Bewerbungen auf Knopfdruck
Die Kommunikations-KI erlaubt es heute, Dokumente wie Bewerbungsanschreiben, Lebenslauf und Motivationsschreiben quasi auf Knopfdruck zu erstellen. Die Ergebnisse haben hinsichtlich der Wortwahl und der Flüssigkeit im Schreibstil eine Qualität, wie man sie selbst als sprachbegabter Vielleser und –schreiber in der Regel nicht hinbekommt.
Aber: Ein geübter Leser, der täglich viele Bewerbungen erhält, müsste doch erkennen können, dass Dokumente von einer Maschine erstellt worden sind.
Meine Frage lautet deshalb, ob es als legitim angesehen wird, wenn man sich der Kommunikations-KI bedient. Oder hat man sich dann in den Augen des Bewerbungsempfängers nicht die erforderliche Mühe mit seiner Bewerbung gegeben?
Antwort: Der Umbruch läuft – Regeln sind noch nicht gefestigt
Antwort: Die KI ist gerade dabei, unsere bisherige Welt in vielen Bereichen zu erobern. Aber dieser Prozess hat erst begonnen. Die technischen Möglichkeiten dieses Instruments und die praktikablen Einsatzbereiche sowohl auf Bewerber- wie auf Bewerbungsempfänger-Seite werden absolut noch nicht ansatzweise erschöpfend genutzt. Es wird eine Zeit der Experimente geben, bis sich die Meinungsbilder auf beiden Seiten des Bewerbungs-Prozesses gefestigt und sich vermutlich auch neue Gepflogenheiten herausgebildet haben.
Deutungshoheit liegt bei den Bewerbungsempfängern
In Bewerbungsfragen liegt die „Deutungshoheit“ ganz klar bei den Bewerbungsempfängern. Diese entscheiden letztlich, was gewollt ist, was bevorzugt wird und was als nicht akzeptabel gilt.

Karriereberater Heiko Mell.
Heterogene Empfänger: Warum es keine einheitlichen Maßstäbe gibt
Nun ist die Gruppe der Empfänger ausgesprochen zahlreich und äußerst heterogen. Sie reicht vom hochrenommierten, auf hochrangige Führungskräfte spezialisierten Executive-Personalberater über die spezialisierten HR-Organisationen großer Konzerne bis hin zum suchenden Fachvorgesetzten im Mittelstand, der seine Auswahl in höchsteigener Verantwortung trifft (und gerade in diesen Fragen oft zu eher konservativen Beurteilungsgrundsätzen neigt).
Diese Personen stehen generell nicht über die Firmengrenzen hinaus in einem permanenten Abstimmungsprozess, sie denken nicht unbedingt einheitlich – und werden nicht nur von ihrer eigenen Meinung, sondern auch von sachlichen Gegebenheiten beeinflusst, z. B. von der konkreten Situation auf dem Arbeitsmarkt: Wenn sich hundert Arbeitgeber um nur einen ganz besonderen IT-Spezialisten „reißen“, dann darf der gegebenenfalls seine „Bewerbung“ im Restaurant auf einer Serviette formulieren. Bemühen sich andererseits hundert gerade entlassene Sachbearbeiter aus Routine-Bereichen um nur einen ausgeschriebenen Job, dann gelten völlig andere Maßstäbe.
Empfehlung (Stand Ende 2025): Vorgehen in vier Schritten
Ich rate (Stand Ende 2025) in dieser Frage zu folgendem Vorgehen:
1. Informationsphase: beobachten, lernen, offen bleiben
Seien Sie sich der Tatsache bewusst, dass diese Dinge im Fluss sind, dass hier große Veränderungen zu erwarten sind und dass von Bewerbern gerade in der nächsten Zeit die Bereitschaft erwartet wird, sich auf diverse Neuerungen einzustellen, die heute noch gar nicht alle absehbar sind. Seien Sie also offen, informieren Sie sich, tauschen Sie sich aus. Ich nenne das die Informations-Phase.
2. Keine Vorreiterrolle: Zurückhaltung bei offensiver Nutzung
So sehr ich Ihnen raten kann, gem. Punkt 1 aktiv und offen zu sein, so sehr muss ich Zurückhaltung bei der offensiven Anwendung möglicher Neuerungen durch Sie als Vorreiter einer vermuteten Entwicklung empfehlen.
Die Berufswelt ist in maßgeblichen Bereichen doch recht konservativ. Und bedenken Sie: Die Entscheidung über die Einstellung eines Bewerbers trifft der künftige Vorgesetzte des einzustellenden Mitarbeiters. Da kann die eventuell mit jungen, fortschrittsorientierten Mitarbeitern besetzte HR-Abteilung in der Übergangszeit durchaus andere Maßstäbe anlegen als der suchende künftige Chef.
Wenn Sie aufgrund Ihres Informationsstandes sicher sein können, dass sich diese oder jene Neuerung in Bewerbungsprozessen durchgesetzt hat, akzeptiert oder mehr und mehr sogar erwartet wird, dann sollten auch Sie dabei sein.
Aber als einzelner Bewerber, der bei seiner Präsentation ein neues System anwendet oder entsprechende Instrumente einsetzt, ohne sich deren allgemeiner Akzeptanz sicher sein zu dürfen, gehen Sie ein hohes Risiko ein.
Bedenken Sie vor allem: Es geht nicht darum, was Sie über diese Frage denken, was aus Ihrer Sicht „sein müsste“ oder „besonders überzeugend wirken“ könnte – es geht allein um die Belange der Bewerbungsempfänger. Und solange Ihre Bemühungen gem. Punkt 1 („ich informiere mich über Neuerungen im Bereich der Bewerbungstechnik“) noch zu keinem neuen Ergebnis geführt haben, machen Sie nichts falsch, wenn Sie in bisher üblicher Form vorgehen. Und bei einer Bewerbung ist „nichts falsch zu machen“ schon die „halbe Miete“. Den Rest macht Ihre erkennbar werdende Qualifikation.
3. Ausnahmefälle: Offen deklarierte KI-Nutzung kann wirken – selten
Was gerade wegen jener so überaus heterogenen Gruppe der Empfänger auch gesagt werden muss: Bei diesen vielen einzelnen Personen kann man nichts ausschließen. Auch nicht, dass im Ausnahmefall der einzige Bewerber, der groß über seine Präsentation schreibt „Ich denke modern, bin veränderungsbereit und habe die komplette Bewerbung mit KI erstellt“, gerade deshalb bei einem speziellen Leser besonders gut ankommt. Aber das wäre derzeit noch ein Ausnahmefall. Und beachten Sie auch Punkt 4!
Inhalte vor Verpackung: Der Kern jeder Bewerbung
Wir dürfen nicht vergessen, worum es bei der Abfassung einer Bewerbung eigentlich geht, was Sinn und Zweck der jetzt fälligen und möglichen Aktivitäten ist:
4.1 Inhalte sind entscheidend – Verpackung ist zweitrangig
Es geht hier mit absolutem Vorrang um Inhalte, um die Substanz, um Qualifikationen, Dienstzeiten, Renommee der Arbeitgeber, Positionsbezeichnungen, Aufgaben und Erfahrungswerte – also um Fakten! Die Bewerbungstechnik dient nur der Verpackung.
Nun kann eine perfekte Verpackung mittelprächtige Inhalte etwas aufhübschen und ganz bestimmt kann sie hervorragende Inhalte wirksam unterstreichen. Es ist sogar möglich, den eigentlich sehr interessanten Inhalt durch eine sehr lieblose, völlig falsch aufgebaute Verpackung herabzusetzen – aber bei einem kritisch zu sehenden Inhalt mit einer „Super-Verpackung“ wesentliche Punkte gutzumachen, gelingt kaum.
Es kommt also zwar auch darauf an, wie man sich präsentiert, aber von noch wesentlich größerer Bedeutung sind die werdengangrelevanten Daten und Fakten, die in der „Verpackung“ drinstecken. Vergessen wir das nicht.
Es sind – einzelne! – Bewerbungsempfänger bekannt geworden, die haben erklärt, sie läsen keine Anschreiben und/oder Zeugnisse mehr, sie schauten nur noch auf die Fakten des Lebenslaufes und dort insbesondere auf die heutige bzw. letzte Position – und dann entschieden sie, wen sie zum Vorstellungsgespräch bäten. Der partielle Fachkräftemangel mag hier Pate gestanden haben. Verlassen dürfen Sie sich nicht darauf, an einen solchen Entscheider zu geraten.
Fazit: Der Bewerber wird wenn, dann immer noch wegen der „Inhalte“ seiner Zuschrift geschätzt, wobei eine als angemessen oder positiv empfundene „Verpackung“ hochwillkommen ist. Aber der Ausspruch eines Bewerbungsempfängers in Richtung „miserable Qualifikation, unmöglicher Werdegang, mehr Fragen als Antworten – aber ein toller Bewerbungsaufbau, also her mit dem Bewerber“ ist bisher kaum bekannt geworden.
4.2 Schreiben vs. Lesen: Zeitdruck beim Empfänger
Vergessen Sie auch nie, dass es zwischen dem Verfassen und dem Lesen einer Bewerbung noch einen großen Unterschied gibt:
Sie als Verfasser sind eine einzelne Person, für Sie stehen zwangsläufig Ihre Belange und Gegebenheiten im Mittelpunkt. Sie denken vielleicht stundenlang darüber nach, wie Sie dieses noch hervorheben und jenes etwas unterdrücken können. Das ist gut so und soll auch so sein.
Aber am Zielort, beim Bewerbungsempfänger, sind Sie vermutlich einer von 30 Kandidaten, alle mit denselben Ansprüchen. Ihre Unterlagen liest der überlastete HR-Mitarbeiter vielleicht an 18. Stelle, und er hat erfahrungsgemäß für diesen ersten, durchaus vorentscheidenden Durchgang weniger als eine Minute Zeit. Ihm geht es dabei vor allem um Inhalte – solange die Verpackung nicht stört oder gar abstößt, ist sie in einer breiten möglichen Spanne für ihn akzeptabel.
Konkrete Empfehlung: Wo KI sinnvoll ist – und wo nicht
Nun vermissen Sie nur noch eine konkrete Antwort auf Ihre Eingangsfrage. Nach dem derzeitigen Stand rate ich konkret und im Detail:
Für den extrem wichtigen, erfolgsentscheidenden Lebenslauf mit seiner werbenden Darstellung von Fakten und tatsächlichen Gegebenheiten, der im Idealfall auf die konkrete Zielposition ausgerichtet sein sollte, brauchen Sie keine künstliche Intelligenz, da reicht Ihre natürliche.
Beim Anschreiben dürfen Sie sich ggf. durchaus einen Entwurf als Denkanstoß durch KI erstellen lassen. Die Versuchung dafür ist einfach zu groß. Aber dann sollten Sie dieses Konzept unbedingt Satz für Satz durcharbeiten, möglichst viel darin verändern, an Ihre Gegebenheiten anpassen und so Ihre individuelle Persönlichkeit darin zum Ausdruck bringen. Übernehmen Sie keine Formulierung, die Sie nicht als gut sowie in Ihrem Sinne empfinden.
Risiken: Ähnliche Texte, KI-Detektoren, Vertrauensverlust
Ja und dann denken Sie an dieses derzeit nicht ganz auszuschließende Risiko: Wie groß ist eigentlich die Gefahr, dass unter den 30 Mitbewerbern etwa fünf in grundsätzlich vergleichbarer Situation mit ähnlichen Werdegängen sind – die alle demselben KI-Programm den Auftrag gegeben haben, ein Bewerbungsanschreiben zu formulieren?
Kommen da ganze Sätze oder gar Absätze in auffällig ähnlicher Form vor oder gleicht nie ein Wort dem anderen? Oder wie groß ist die Gefahr, dass der Empfänger jene vorliegenden 30 Bewerbungen durch ein Testprogramm jagt: „Wurde hier KI eingesetzt?“ Und selbst dann wüssten Sie noch nicht, ob der Bewerbungsempfänger ein mögliches positives Testergebnis schön findet oder kritisch sieht.
Fest steht: Sollten sich ganze Absätze mehrerer Anschreiben textlich gleichen, wird das für alle Beteiligten sehr negativ gesehen – das war schon bei Klassenarbeiten in der Schule so.
Schlussfazit und Zukunftsblick
Verlieren wir nicht das Ziel einer Bewerbung aus den Augen: Sie soll Ihre individuellen Gegebenheiten, insbesondere Ihre einzigartige Persönlichkeit, so überzeugend darstellen, dass der dies lesende Mensch (noch, aber wie lange noch?) davon positiv angetan ist.
Die KI hingegen liefert Problemlösungen auf der Basis extrem vieler ähnlich gelagerter vorhandener Vorbilder, erarbeitet also in diesem Zusammenhang eine Art „überzeugender Durchschnittslösung“ – wobei sie, da stimme ich Ihnen zu, durchaus im Detail beeindrucken kann. Aber so ganz passt das zu einer Bewerbung, wie wir sie heute noch definieren, ja nicht.
Und wenn Sie mir den Blick in eine durchaus mögliche Zukunft erlauben, die mir eher eine Horror-Vision zu sein scheint: Der Mensch holt sich dort vor jeder beruflich relevanten Entscheidung ein KI-basiertes Lösungskonzept, fertigt Bewerbungen dann per KI-Einsatz ohne viel eigenes Zutun – und auf der Empfängerseite werden die Bewerbungen per KI sortiert und eines Tages vielleicht sogar entschieden.
Will das jemand? Soll ich „Wehret den Anfängen“ rufen – oder lieber versuchen, die Niagara-Fälle mit der linken Hand aufzuhalten? Seien wir gewarnt: Wenn KI eines – denkbaren – Tages über Menschen entscheidet, ist der Weg zum „durchschnittsorientierten Einheitstyp“ als zentralem, vorrangig gesuchtem Standard nicht mehr weit.
Also appelliere ich bei der Gelegenheit: Lasst (nur) Menschen über Menschen entscheiden, für die KI gibt es genügend andere sachorientierte Prozesse, bei denen sie Großartiges leisten kann.
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