Enttäuscht vom neuen Chef
In seiner bekannten Karriereberatung greift Heiko Mell erneut einen Fall aus dem Arbeitsalltag vieler Fachkräfte auf: Ein neues Führungsgesicht im Team, interne Beförderung, allgemeine Verunsicherung und das Gefühl, dass „da oben“ Entscheidungen fallen, die „unten“ keiner versteht.
Enttäuschung im Team: Ein neuer Chef stellt vertraute Gewissheiten auf den Kopf.
Foto: PantherMedia / focuspocusltd
Frage: Als Allererstes möchte ich mich bei Ihnen für Ihre Karriereberatung herzlich bedanken. Nach zehn Jahren Berufserfahrung kann ich das von Ihnen geschilderte Denken und Handeln der Menschen im beruflichen Alltag nur bestätigen.
Vor einiger Zeit bekam unser Team einen neuen Leiter, wobei die Stelle intern besetzt wurde. Gemessen am Studium, an der Promotion und bisherigen Berufserfahrung hat unser neuer Teamleiter einen weiteren(!) wilden Sprung getan – von einem „roten Faden“ im Lebenslauf ist bei ihm definitiv nicht die Rede. Das hat meine Kollegen und mich kalt erwischt, denn unser Team ist tief in der fachlichen Technologieentwicklung tätig.
Nach einem ersten Schock haben wir uns alle zusammengesetzt und wollten dann dem neuen Chef eine Chance geben (nichts anderes wäre auch von uns erwartet worden). Leider wurden wir von ihm immer wieder enttäuscht. Die Stimmung bei uns ist schlecht und wird zunehmend schlechter. Viele Kollegen schauen sich bereits nach einem internen Wechsel um.
Die Karten werden neu gemischt
Antwort:
„Ein neuer Chef? Alles zurück auf Anfang!“ Mit dem Erscheinen eines neuen Chefs werden die Karten völlig neu gemischt. Ihr möglicherweise sehr gutes Blatt aus dem letzten „Spiel“ ist jetzt ohne Wert. Mit und bei dem neuen Chef fangen Sie völlig neu an.“
Dieser Text enthält praktisch schon alles, was grundsätzlich zu Ihrer Frage zu sagen ist. Sie alle, das Team und sein Leiter, hatten sich bisher so schön arrangiert, alles lief in Ihren Augen prächtig und reibungslos – und jetzt hat Ihnen jemand Sand in Ihr schönes Getriebe gestreut. Zumindest sehen Sie das so, aber es gibt natürlich auch noch die Sicht einer anderen „Partei“, nämlich jener über Ihnen.
Ich halte es für möglich, dass man „höheren Ortes“, also vielleicht sogar auf Ebenen über Ihrem Abteilungsleiter, mit der früheren Gesamtkonstellation bei Ihnen gar nicht mehr so zufrieden war wie Sie es „da unten“ waren. Es geht, wie Sie wissen, überhaupt nicht darum, ob diese möglichen Vorbehalte gegen Ihren bisherigen Teamleiter (auch Sie deuten im weiteren Verlauf Ihres Briefes so etwas an) richtig oder falsch sind – in hierarchischen Systemen hat recht, wer die Macht hat. Und an Ihnen ist es, sich darauf mit positivem Engagement einzustellen. Alles andere war gestern.
Völlig zweifelsfrei kann Ihr Arbeitgeber, vertreten durch Ihren Abteilungsleiter und dessen Chef, Ihnen einen Teamleiter eines ganz „neuen Typs“ dahinsetzen, ob Sie das nun schön finden oder nicht. Sie haben, um es einmal einfach, aber deutlich auszudrücken, keinerlei Anrecht darauf, dass die bisherige Situation, in der Sie sich so behaglich eingerichtet hatten, ewig so weiterbestehen wird.
Einmal frischen Wind wehen lassen
Mir scheint es so als hätte „weiter oben“ jemand beschlossen, „bei denen da unten einmal frischen Wind wehen zu lassen und die aus ihrem Wohlfühlbereich in den Kampfmodus zu führen“ (oder so ähnlich).
Sie und Ihre Kollegen könnten nun versuchen, in- oder extern zu wechseln. Aber es wäre nur ein neuer Fehler, denn Sie würden vor etwas weglaufen, statt auf etwas Erstrebenswertes zuzugehen. Denn Sie wissen zwar, was Sie aufgeben, aber nicht, was Sie am neuen Platz erwartet.
Also lautet mein Vorschlag: Träumen Sie im Kollegenkreis ruhig beim abendlichen Bier von den guten alten Zeiten, drücken aber symbolisch den „Reset“-Knopf und lassen sich alle gemeinsam auf den offensichtlich von Ihrem Arbeitgeber gewollten Neuanfang ein. Das gehört zum Berufsleben dazu. Und fragen Sie sich gar nicht erst, ob das alte System nicht auch für das Unternehmen etwas besser gewesen wäre. Dazu dürfen Sie zwar eine Meinung haben, aber in Ihrer Zuständigkeit liegt diese Frage nicht.
Oder auch: Der Arbeitgeber kann ggf. so viele Fehler machen wie er möchte. Wobei Sie mit der Definition „Fehler“ sehr vorsichtig sein sollten.
Diese Zusammenhänge gehen sogar so weit, dass beispielsweise ein maßgeblicher (Mehrheits-)Gesellschafter, wenn ihm danach ist, Entscheidungen treffen darf, die jedes Expertengremium als eindeutig „gegen die Interessen des Unternehmens gerichtet“ einordnen würde. Und die Führungskräfte des Unternehmens sind letztlich „verlängerte Arme“ dieses Gesellschafters (oder der maßgeblichen Gesellschafter-Gruppe).
Also gilt: Ihre Motive sind (vermutlich) edel, Ihr Denkansatz jedoch ist falsch.
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