Eine Mexikanerin erhält 40 Absagen trotz Qualifikation
Eine in Deutschland anerkannte Wirtschaftsingenieurin aus Mexiko schildert ihre Erfahrungen mit 40 Absagen trotz Fachkräftemangel. Ihr viraler LinkedIn-Beitrag zeigt Herausforderungen, strukturelle Hürden und die Bedeutung von Netzwerken für internationale Fachkräfte.
40 Bewerbungen, 40 Absagen – trotz Fachkräftemangel: Eine Mexikanerin fragt, wie offen Deutschland wirklich für internationale Talente ist.
Foto: Lyssette Villegas Zetina
In Deutschland fehlen Fachkräfte, und viele Expertinnen und Experten sind sich einig: Fachkräfte aus dem Ausland können einen wichtigen Beitrag leisten. Dafür müssen jedoch geeignete Wege geschaffen, Verfahren vereinfacht und das Interesse am Standort Deutschland gezielt gefördert werden. Diese Einschätzung teilen zahlreiche Fachleute – es handelt sich keineswegs um eine Einzelmeinung.
40 Bewerbungen – 40 Absagen
Umso bemerkenswerter – und sogar erstaunlich – war ein Beitrag auf LinkedIn, der viral ging: über 400 Kommentare, Hunderte Likes. Worum ging es? Eine Mexikanerin stellte die Frage, ob es in Deutschland wirklich einen Fachkräftemangel gibt. Der Grund: Sie hatte 40 Bewerbungen geschrieben – und 40 Absagen erhalten.
„Nach über 40 individuell formulierten Motivationsschreiben und 40 Bewerbungen für Traineeprogramme und technische Positionen frage ich mich langsam, ob der Ruf nach internationalen Talenten tatsächlich so ernst gemeint ist“, schreibt Lyssette Villegas Zetina in ihrem Linekdin-Beitrag.
In dem Beitrag erklärt die Bewerberin weiter, sie sei Wirtschaftsingenieurin mit Führungserfahrung, spreche Deutsch auf Verhandlungsniveau, ihr Abschluss sei in Deutschland anerkannt, und sie befinde sich derzeit im Chancenkarte-Prozess.
Trotzdem erhalte sie ausschließlich automatische Absagen – oftmals ohne überhaupt zu einem Gespräch eingeladen zu werden.
Durchhaltevermögen oder Systemhürden?
Sie stellt die Frage, ob es einfach nur an Durchhaltevermögen liege – oder ob es strukturelle Hürden gebe, die qualifizierten Fachkräften aus dem Ausland den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erschweren.
Abschließend bittet sie um Erfahrungsberichte, Tipps oder ehrliches Feedback von Menschen, die diesen Weg bereits gegangen sind.
Die Bewerberin erhielt viel Zuspruch. Zahlreiche Kommentare boten Tipps, verwiesen auf Podcasts, berichteten von eigenen Erfahrungen – einige äußerten sich jedoch auch kritisch.
So wurde ihr Mut gelobt, auf LinkedIn so offen zu fragen. Es wurde betont, dass es in Deutschland zwar eindeutig einen Fachkräftemangel gebe – insbesondere in Pflegeberufen, im Handwerk, in der Gastronomie, Hotellerie und Logistik – jedoch nicht im akademischen Bereich, mit Ausnahme der IT und Softwareentwicklung.

Anerkannt, erfahren, motiviert – und dennoch abgelehnt.
Foto: Lyssette Villegas Zetina
Was die LinkedIn-Community Fachkräften aus dem Ausland empfiehlt
Mehrere Personen rieten ihr, den Fokus auf persönliches Netzwerken zu legen – weniger über soziale Medien, sondern durch direkte Kontakte. Zudem wurde empfohlen, sich nicht bei großen Unternehmen zu bewerben, da dort häufig KI-basierte Vorauswahlverfahren genutzt würden, die Bewerbungen vorschnell aussortieren könnten.
Einige schilderten eigene Erfahrungen: Zwei Drittel der Bewerbungen blieben unbeantwortet, der Rest werde mit dem Hinweis auf Überqualifikation abgelehnt. Über Personalvermittlungen seien zumindest erste Gespräche zustande gekommen, auch wenn es letztlich nicht zur Anstellung führte.
Andere empfahlen strategisches Vorgehen: Bei automatisierten Absagen solle man das Anschreiben oder sogar die E-Mail-Adresse ändern und sich erneut bewerben – bei mehrfacher Einreichung steige die Chance auf eine Einladung.
Mehrfach wurde auf die schwierige wirtschaftliche Lage hingewiesen – viele Unternehmen optimierten und digitalisierten, statt neue Mitarbeitende einzustellen. Teilweise handle es sich bei Stellenanzeigen um Scheinangebote, um Geschäftstätigkeit zu suggerieren oder bereits intern vergebene Stellen zu tarnen.
Als mögliche Alternative wurde ein persönlicher Bewerbungsweg genannt – etwa durch ein Bewerbungsvideo oder eine direkte Vorstellung vor Ort mit individuell gestalteten Unterlagen. Dies könne auffallen – sei jedoch nicht für jedes Unternehmen geeignet.
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Warum will sie nach Deutschland?
Ingenieur.de hat daraufhin direkt bei der Bewerberin nachgefragt. Ihr Statement:
„In Deutschland zu arbeiten war ein Traum von mir, seit ich mit 18 Jahren ein Austauschjahr in Ettlingen gemacht habe. Es war eine herausfordernde, aber äußerst bereichernde Erfahrung. In dieser Zeit habe ich die deutsche Kultur, Sprache, Geschichte und das beeindruckende technische Entwicklungsniveau des Landes kennengelernt. Seitdem habe ich eine besondere Verbindung zu Deutschland aufgebaut.“
In dem Gespräch erklärte sie weiter, Deutschland sei für sie längst mehr als nur ein Traum – es sei ein konkretes Ziel geworden. Der Weg dorthin sei jedoch mit großen Herausforderungen verbunden gewesen und habe sowohl akademisch als auch finanziell erhebliche Investitionen erfordert. Besonders in Lateinamerika sei der Zugang zu Bildung oft mit hohen wirtschaftlichen Hürden verknüpft. Dennoch habe sie sich ganz bewusst für diesen Weg entschieden.
Ihr Traumberuf
Dann erklärte Lyssette Villegas Zetina, dass ihr Traumberuf im Bereich des Wirtschaftsingenieurwesens liege. Sie strebe eine Position als technische Assistentin oder Projektmanagerin an – idealerweise in den Bereichen Prozessoptimierung oder Digitalisierung. Besonders interessiere sie sich für Unternehmen aus der Technologie-, Logistik- oder Fertigungsbranche.
„Ich sehe mich in technischen Positionen, als Ingenieurassistentin, im Projektmanagement, in der Qualitätssicherung, Prozessoptimierung, im technischen Kundenservice oder in der Logistik. Ich bin offen dafür, in einer Einstiegsposition zu beginnen, mit dem Ziel, mich innerhalb eines Unternehmens in Deutschland beruflich weiterzuentwickeln.“, sagte Lyssette Villegas Zetina gegenüber ingenieur.de. Sie bringt multidisziplinäre Erfahrung aus den Bereichen Energie, Automobilindustrie und technischer Handel mit, hat ein Diplom in Projektmanagement abgeschlossen und spricht fließend Deutsch (B2.2) sowie Englisch (C1)
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Zwischen Visumsängsten und Vorurteilen
Doch was ist schiefgelaufen? Sind deutsche Unternehmen wenig offen für ausländische Fachkräfte? Immer wieder wird gefordert, die Einreiseverfahren zu vereinfachen und bürokratische Hürden abzubauen – doch offenbar reicht das allein nicht aus. „In den meisten Fällen habe ich keine direkte Begründung erhalten. Ich habe jedoch festgestellt, dass das Thema Visum bei einigen Unternehmen für Unsicherheit sorgt. Oft wird angenommen, dass der Prozess langwierig oder kompliziert sei, obwohl die Verfahren dank digitalisierter Dienstleistungen heutzutage deutlich schneller und effizienter ablaufen“.
Außerdem berichtete sie, man habe ihr gelegentlich die Frage gestellt, warum sie – obwohl sie bereits ein eigenes Unternehmen gegründet habe – nicht einfach in Mexiko bleibe und sich dort weiter engagiere. „Wer die wirtschaftliche Realität meines Landes nicht kennt, kann oft schwer nachvollziehen, dass viele Menschen aus finanzieller Notwendigkeit heraus den Schritt in die Selbstständigkeit wagen. Ich schätze diese unternehmerische Erfahrung sehr, aber mein Wunsch ist es, mich als Fachkraft in Deutschland weiterzuentwickeln und dort mein Leben langfristig aufzubauen – in einem Land, das vielfältige Chancen für persönliches und berufliches Wachstum bietet“, sagt Lyssette Villegas Zetina.
Die Integration internationaler Fachkräfte in Deutschland gestaltet sich weiterhin schwierig – laut einer Studie stoßen viele von ihnen am Arbeitsplatz noch immer auf Vorbehalte.
Ein Appell aus erster Hand
„Ich würde mir wünschen, dass deutsche Unternehmen offener dafür wären, das Potenzial und die Kompetenzen von Fachkräften aus Lateinamerika – insbesondere aus Mexiko – kennenzulernen. Wir sind engagierte, qualifizierte und anpassungsfähige Menschen mit viel Motivation“, resümiert Lyssette Villegas Zetina, die in Deutschland als Wirtschaftsingenieurin anerkannt ist und über einen offiziellen Ingenieurtitel der Ingenieurkammer Baden-Württemberg in Stuttgart verfügt.
Nun bleibt abzuwarten, wie sich die Situation weiterentwickelt. Man hat in den Kommentaren ihr geraten, vor allem auf persönliches Netzwerken zu setzen. Der Beitrag ging viral, was darauf schließen lässt, dass viele Personalverantwortliche aus verschiedenen Branchen darauf aufmerksam geworden sind.
Dies bestätigt auch Lyssette Villegas Zetina selbst: Nachdem sie ihren Beitrag auf LinkedIn veröffentlicht hatte, habe sie mehrere Einladungen zu Gesprächen erhalten, was ihr neue Hoffnung gegeben habe. Davor hingegen, so berichtet sie, habe sie sich ausschließlich über die Karriereseiten der Unternehmen beworben und dabei nur Absagen oder gar keine Rückmeldungen erhalten.
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