Rentensystem: Müssen wir bald mehr und länger arbeiten?
Die Babyboomer-Generation geht in Rente – doch wer soll das bezahlen? Die Regierung hat Lösungen angekündigt. Die Bevölkerung wird immer älter, und das belastet die Sozialsysteme. Es gibt einige Ansätze, die sehr umstritten sind.
Jede*r Zweite geht vorzeitig in Rente – und es werden immer mehr.
Foto: PantherMedia / Kanghyejin
Wirtschaftsministerin Katherina Reiche hat dazu aufgerufen, dass die Menschen in Deutschland mehr und länger arbeiten. Mit diesem Vorschlag hat sie eine Diskussion ausgelöst. „Der demographische Wandel und die weiter steigende Lebenserwartung machen es unumgänglich: Die Lebensarbeitszeit muss steigen“, wird die CDU-Politikerin von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zitiert. „Es kann jedenfalls auf Dauer nicht gut gehen, dass wir nur zwei Drittel unseres Erwachsenenlebens arbeiten und ein Drittel in Rente verbringen“, sagte die Ministerin. Sie sagte, dass sich viele Menschen zu lange der demografischen Realität verweigert hätten. „Wir müssen mehr und länger arbeiten“.
Wirtschaftsministerin Reiche erklärte, dass es viele Beschäftigte in körperlich anstrengenden Berufen gebe. Gleichzeitig gebe es aber auch viele Menschen, die länger arbeiten wollten und dazu in der Lage seien. Reiche hat auch kritisiert, dass die Deutschen im internationalen Vergleich im Durchschnitt wenig arbeiteten.
„Boomer-Soli“ auf Renteneinkünfte
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) brachte vor kurzem in seinem Wochenbericht eine Sonderabgabe ins Spiel – einen sogenannten „Boomer-Soli“ auf Renteneinkünfte. Von der Union bis zu den Gewerkschaften kam viel Ablehnung – aber es gab auch einzelne Stimmen der Zustimmung. „Ein ‚Boomer-Soli‘ – eine Solidaritäts-Sonderabgabe auf sämtliche Alterseinkünfte – kann ein wichtiger Baustein zur Stabilisierung des Rentensystems in Deutschland sein“, zitierte die dpa aus dem Wochenbericht.
Nach dem Vorschlag des DIW sollen Rentner mit hohen Alterseinkünften eine mäßige Sonderabgabe zahlen. Damit könnten Rentner mit wenig Geld unterstützt und Altersarmut verringert werden, erklärt das Berliner Institut.
„Das Besondere an dem Konzept: Umverteilt würde ausschließlich innerhalb der älteren Generation, Jüngere blieben also weitgehend verschont – im Gegensatz zu steigenden Rentenbeiträgen und Steuerzuschüssen, die nach den Plänen der neuen Koalition künftig die zunehmend klammen Kassen der gesetzlichen Rente stabilisieren sollen“, erklärt das DIW.
Die CDU lehnt den Vorschlag entschieden ab. Gitta Connemann, Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung, warnte in der Sendung „Frühstart“ von RTL/ntv: „Jemand, der in die Rente eintritt, der sein Portfolio berechnet hat, (…) dem kann ich nicht so mal über Nacht sagen, ich nehme dir davon zehn Prozent weg“.
Lob kommt hingegen von Monika Schnitzer, der Vorsitzenden des Sachverständigenrats Wirtschaft. Sie hält den Grundgedanken des DIW für richtig. Ihrer Ansicht nach könne die Rentenlast der Babyboomer nicht allein den immer weniger werdenden jungen Beitragszahlern überlassen werden – auch die Babyboomer-Generation selbst müsse ihren Teil beitragen, sagte sie laut den Funke-Zeitungen.
So viele gehen in die Frührente
Fast jeder zweite Babyboomer ist bereits vor dem regulären Rentenalter in Rente gegangen. Laut einer neuen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) betrifft das rund 1,8 Millionen Menschen aus den geburtenstarken Jahrgängen, die bis 2023 rentenberechtigt wurden. Das entspricht 44 % ihres Jahrgangs – bei den neuen Rentnerinnen und Rentnern sogar über 55 %.
Wenn sich dieser Trend nicht ändert, werden ab 2025 jedes Jahr voraussichtlich über eine Million Babyboomer vor dem regulären Rentenalter in Rente gehen, so die IW-Studie. Obwohl das gesetzliche Rentenalter auf 67 Jahre steigt, hat das bislang kaum Auswirkungen auf das tatsächliche Eintrittsalter in die Rente.
Studienautorin Ruth Maria Schüler meint, Union und SPD sollten „konsequent sagen, wir beschränken die Möglichkeiten zum vorzeitigen Renteneintritt“. Doch die SPD hat im Wahlkampf versprochen, dass es die Rente ohne Abschläge nach 45 Beitragsjahren weiter geben soll – das steht auch so im Koalitionsvertrag.
Schon lange ist bekannt: Die Babyboomer werden die Rentenkasse stark belasten, weil viele gleichzeitig in Rente gehen, während weniger Menschen einzahlen. Wegen dieser schwierigen Lage kündigte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) im Bundestag eine „Rentenreformkommission“ an. Dieses Gremium ist noch nicht besetzt und soll laut Koalitionsvertrag bis zur Mitte der Legislaturperiode Vorschläge vorlegen.
Rentensystem vor Belastungsprobe: Höhepunkt 2031
Wie die dpa berichtet, könnten sich die Rentenausgaben bis 2045 mehr als verdoppeln – von aktuell 372 Milliarden Euro. Grund ist die alternde Bevölkerung. Das geht aus dem Entwurf der gescheiterten Rentenreform der früheren Ampelregierung hervor. Noch teurer wird es, wenn das Rentenniveau bei 48 % gehalten wird, wie es auch die schwarz-rote Koalition plant.
Viele Menschen aus den besonders geburtenstarken Jahrgängen – den Babyboomern der Jahrgänge 1954 bis 1969 – haben das reguläre Rentenalter bereits erreicht. Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) bezogen 2023 bereits 4,5 von 19,5 Millionen Babyboomern eine Altersrente – „davon 0,9 Millionen, obwohl sie das gesetzliche Renteneintrittsalter noch nicht erreicht haben“, so das IW. Den Höhepunkt der Babyboomer-Welle erwartet das IW im Jahr 2031, wenn der besonders starke Jahrgang 1964 die Regelaltersgrenze erreicht.
„Ziel der Politik sollte es sein, die geburtenstarken Jahrgänge möglichst lange im Erwerbsleben zu halten, um die demografische Welle zu glätten“, zitiert die dpa aus der IW Studie. SPD und Union möchten, dass ältere Menschen länger arbeiten. Dafür planen sie eine sogenannte „Aktivrente“, die aus dem Wahlprogramm der Union stammt: Wer nach Erreichen des gesetzlichen Rentenalters freiwillig weiterarbeitet, soll bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei verdienen können.
Ehrenamt für Babyboomer: Chancen für Engagement nach der Rente
Wie bereits erwähnt, stehen viele Babyboomer kurz vor dem Eintritt in die Rente. Während sich viele auf diese neue Lebensphase freuen, gibt es auch einige, die Bedenken haben. Zwar bringt der Ruhestand viel Freizeit mit sich, doch viele fühlen sich gleichzeitig voller Energie und dem Drang, diese Zeit sinnvoll zu nutzen. Wie wäre es also, sich in dieser Phase ehrenamtlich zu engagieren?
Die meisten Personen im Alter von 55 bis 65 Jahren sind bereit, sich im Ruhestand ehrenamtlich zu engagieren, sofern die Bedingungen dafür passend sind. Dies zeigt eine repräsentative Umfrage, die das Sozialforschungsinstitut aproxima im Auftrag der Körber-Stiftung durchgeführt hat.
Fachkräftemangel in kommunalen Verwaltungen
In den nächsten 10 Jahren gehen viele Babyboomer in Rente. Dies stellt die kommunalen Verwaltungen vor die Herausforderung, gut ausgebildete Arbeitskräfte zu ersetzen. Gleichzeitig gibt es Bedenken, wie der steigende Bedarf an Versorgung für die wachsende Zahl älterer Menschen mit dem aktuellen Fachkräftemangel und knappen Haushaltsbudgets gedeckt werden kann. Die Lebensqualität und Teilhabe von Senioren hängt stark von den lokalen Infrastrukturen und Netzwerken ab.
Während die Verwaltungen sich auf die Herausforderungen des Renteneintritts der Babyboomer konzentrieren, sehen viele dieser Personen den Ruhestand nicht als Ende ihrer aktiven Zeit, sondern als Beginn eines neuen Lebensabschnitts. Sie bringen Erfahrung, Engagement und den Wunsch nach sinnvollen Aufgaben mit.
Win-win-Situation
Hier könnte eine Win-win-Situation entstehen: Viele Angebote in Städten und Gemeinden wären ohne das ehrenamtliche Engagement der Bürger nicht möglich. Könnten die Babyboomer eine wertvolle Ressource für diese ehrenamtliche Arbeit in den Kommunen sein?
Ehrenamtliches Engagement spielt eine wichtige Rolle bei der Bewältigung dieser Aufgaben und hilft, die kommunalen Versorgungsstrukturen aufrechtzuerhalten. Die Umfrage zeigt, dass sich mit dem bevorstehenden Renteneintritt der Babyboomer neue Möglichkeiten für die Kommunen ergeben, denn 60 % der Befragten können sich ein Engagement im Ruhestand vorstellen. Die beliebtesten Bereiche für ehrenamtliche Tätigkeiten sind Umwelt- und Naturschutz (43 %) sowie Stadtteil- und Nachbarschaftshilfe (41 %). Besonders im ländlichen Raum ist die Bereitschaft groß: Hier plant jede dritte Person, sich ehrenamtlich zu engagieren.
Für die meisten Befragten ist es offensichtlich, dass zivilgesellschaftliches Engagement für die eigene Gemeinde von Bedeutung ist. Etwa ein Drittel der Babyboomer (30 %) engagiert sich bereits aktiv, hauptsächlich in der Stadtteil- und Nachbarschaftshilfe. Zudem möchten 84 % derjenigen, die sich bereits engagieren, ihr Ehrenamt auch im Ruhestand fortführen.
Flexibilität im Ehrenamt ist wichtig
Die Umfrage zeigt, dass Flexibilität im Ehrenamt für die Babyboomer-Generation von großer Bedeutung ist: Zwei Drittel der Befragten (66 %) ziehen Engagements ohne feste Verpflichtungen vor. Daher müssen Kommunen flexible Modelle für ehrenamtliches Engagement entwickeln, die auf die Bedürfnisse der älteren Generation abgestimmt sind.
Auch die Ansprache spielt eine wichtige Rolle: Die Mehrheit der Babyboomer wünscht sich persönlichen Kontakt und informiert sich am liebsten über traditionelle Kanäle wie Gemeindeblätter (49 %) und Lokalzeitungen (46 %).
„Feste Pläne für ein Engagement nach dem Eintritt in die Nacherwerbsphase haben nur wenige. Aber eine Mehrheit kann sich ein zukünftiges Ehrenamt vorstellen. Mit höherem Bildungsabschluss steigt die Bereitschaft zum Engagement und besonders hoch ist sie im ländlichen Raum“, heißt es in der Studie.
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