Diversity-Management: Strategien gegen den Fachkräftemangel
Vielfalt gezielt nutzen, Talente gewinnen und Innovation fördern – wie Unternehmen mit strategischem Diversity-Management ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken können, erklärt Dr. Julien Bobineau.
Dr. Julien Bobineau bei der K-Messe.
Foto: Alexandra Ilina
Der Fachkräftemangel in Deutschland bleibt eine der größten Herausforderungen für Unternehmen. Engpässe zeigen sich besonders in technischen und kaufmännischen Berufen, aber auch in Ausbildungsstellen. Laut einer aktuellen Erhebung werden 2025 rund 66 % der Unternehmen weiterhin Schwierigkeiten haben, offene Stellen adäquat zu besetzen.
Dr. Julien Bobineau, Diversitätsmanager bei D2 – Denkfabrik Diversität in Würzburg, betont:
„Der Fachkräftemangel wird uns in den kommenden Jahren begleiten. Unternehmen, die Vielfalt strategisch nutzen, können ihre Wettbewerbsfähigkeit entscheidend stärken.“
Demografischer Wandel, Werteverschiebungen in der Arbeitswelt, Digitalisierung und der globale Wettbewerb um Talente verschärfen die Situation zusätzlich. Bobineau warnt: „Ohne Zuwanderung lässt sich der Bedarf an Fach- und Arbeitskräften nicht decken.“
Diversity als strategische Ressource
Für Bobineau ist Diversität weit mehr als ein moralisches Schlagwort oder Symbolpolitik. Im Zentrum steht die Nutzung individueller Stärken, Talente und Perspektiven, um den unternehmerischen Erfolg zu steigern.
„Wenn alle Mitarbeitenden gleich wären, könnten Unternehmen nicht funktionieren. Perspektivenvielfalt ist ein entscheidender Wettbewerbsvorteil.“
Die sogenannten Big Seven der Diversitätsdimensionen – Alter, ethnische Herkunft, Geschlecht, körperlich-geistige Fähigkeiten, Religion, sexuelle Orientierung und soziale Herkunft – bilden die Basis einer wertschätzenden Unternehmenskultur. Ihre aktive Förderung wirkt sich messbar auf Innovation, Produktivität und Mitarbeitendenzufriedenheit aus. Studien von Bitkom (2022) und McKinsey (2020) belegen, dass divers aufgestellte Unternehmen erfolgreicher sind als ihre weniger diversen Wettbewerber.
Diversity Management: Ein strategischer Hebel statt Symbolpolitik
Diversity Management ist längst kein theoretisches Konzept mehr, sondern ein strategisches Werkzeug, mit dem Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern können. Es geht dabei nicht nur um Quoten oder Symbolpolitik, sondern darum, die einzigartigen Stärken, Talente und Perspektiven aller Mitarbeitenden gezielt zu nutzen. Wer Vielfalt aktiv gestaltet, erweitert seinen Bewerberpool, fördert Innovation und sorgt dafür, dass Teams kreativer und leistungsfähiger werden.
Gleichzeitig ist Diversity Management ein Schlüssel für eine positive Unternehmenskultur. Unternehmen, die Wert auf Respekt, Inklusion und Chancengleichheit legen, steigern die Zufriedenheit ihrer Mitarbeitenden, senken Fehlzeiten und stärken ihr Employer Branding. Authentisches Storytelling, Role Models und sichtbare Diversity-Initiativen helfen dabei, dass Diversity nicht nur auf dem Papier existiert, sondern gelebt wird – und das spüren sowohl Mitarbeitende als auch Bewerber:innen.
Die sieben Kerndimensionen von Diversity
Im Diversity Management spricht man von den sogenannten Kerndimensionen, die den Kern der Vielfalt in Unternehmen bilden. Sie sind rechtlich geschützt und bilden die Grundlage für eine wertschätzende Unternehmenskultur. Zu den sieben klassischen Dimensionen gehören:
- Alter – unterschiedliche Generationen bringen verschiedene Erfahrungen, Perspektiven und Arbeitsstile ein.
- Geschlecht – Gleichstellung von Frauen, Männern und non-binären Personen fördert Chancengleichheit.
- Ethnische Herkunft – kulturelle und sprachliche Vielfalt erweitert das Verständnis für globale Märkte und Zielgruppen.
- Körperliche und geistige Fähigkeiten – Inklusion von Menschen mit Behinderungen stärkt Teamdynamik und Kreativität.
- Religion und Weltanschauung – unterschiedliche Glaubensrichtungen fördern gegenseitiges Verständnis und Offenheit.
- Sexuelle Orientierung – Akzeptanz verschiedener Lebens- und Beziehungsformen sorgt für ein inklusives Arbeitsumfeld.
- Soziale Herkunft – unterschiedliche Bildungshintergründe und Lebensumstände bringen neue Perspektiven und Talente ins Unternehmen.
Die Charta der Vielfalt: Vielfalt als Selbstverständlichkeit
Die Charta der Vielfalt e. V. ist Deutschlands größte Initiative für Diversity und Inklusion am Arbeitsplatz – und das schon seit 2006. Sie setzt sich dafür ein, dass jede:r Mitarbeitende unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder Lebensentwurf wertgeschätzt wird. Mit mehr als 6.500 Unterzeichnenden, die zusammen rund 14,7 Millionen Beschäftigte repräsentieren, ist die Charta ein zentraler Impulsgeber für gelebtes Diversity Management in Deutschland. Wer die Charta unterzeichnet, verpflichtet sich nicht nur zu einer respektvollen Unternehmenskultur, sondern bekommt auch konkrete Unterstützung, um Diversity-Initiativen praktisch umzusetzen
Vielfalt messen und verstehen
Der erste Schritt im Diversity-Management ist die Analyse der eigenen Belegschaft. Unternehmen sollten prüfen, welche Gruppen vertreten sind, welche Perspektiven fehlen und wie Talente unterschiedlichster Art optimal genutzt werden können. Datenerhebung muss dabei datenschutzkonform erfolgen, besonders wenn es um sensible Merkmale wie Geschlecht, Herkunft oder Behinderung geht.
Bobineau unterstreicht: „Nur wer seine Ausgangssituation kennt, kann gezielt Maßnahmen entwickeln, die Wirkung entfalten.“
Recruiting und inklusive Stellenanzeigen
Ein zentrales Instrument ist das Recruiting. Hierbei geht es nicht nur um Reichweite, sondern auch um Sprache, Ansprache und Gestaltung von Prozessen. Inklusive Formulierungen wie „Mitarbeitende aller Geschlechter willkommen, Teilzeit- und Gleitzeitoptionen möglich, Unterstützung beim Einstieg vorhanden“ wirken deutlich attraktiver auf eine breite Bewerbergruppe.
Gleichzeitig sollten Unternehmen sicherstellen, dass ihre Auswahlprozesse fair und unvoreingenommen ablaufen. Anonymisierte Bewerbungen, das Vier- oder Sechs-Augen-Prinzip und Schulungen zu unbewussten Vorurteilen („Unconscious Bias“) reduzieren das Risiko, dass Talente übersehen werden.
„Die schönste Stellenanzeige nützt nichts, wenn sie auf dem falschen Kanal landet“, erklärt Bobineau. Die Wahl der Plattformen – von Social Media bis zu klassischen Jobportalen – sollte auf die Zielgruppe abgestimmt sein.
„Inklusive Stellenanzeigen sind mehr als Textarbeit, sie sind ein Indikator dafür, ob ein Unternehmen Vielfalt als Prinzip seiner Kultur versteht oder als Marketinginstrument“, sagt auch Kalle Kadir, Talent Attraction & Diversity Management beim VDI.
Unternehmenskultur und Employer Branding
Neben der Gewinnung neuer Mitarbeitender ist die interne Unternehmenskultur entscheidend. Authentisches Storytelling, Role Models und die Darstellung realer Mitarbeitergeschichten erhöhen die Glaubwürdigkeit und wirken auf Bewerber attraktiv. Gleichzeitig muss Tokenism vermieden werden – also einzelne Mitarbeitende nicht stellvertretend für ganze Gruppen darstellen.
Bobineau nennt Beispiele erfolgreicher Praxis: „Unternehmen, die authentisch zeigen, wie vielfältig ihre Teams sind, schaffen Vertrauen und stärken die Bindung aller Mitarbeitenden. Role Models geben nicht nur Orientierung, sie machen Diversity erlebbar.“
Weitere Faktoren einer inklusiven Kultur sind Maßnahmen wie flexible Arbeitszeiten, barrierefreie Arbeitsplätze, Gebetsräume oder die Bereitstellung alternativer Verpflegung. Diese Signale signalisieren Wertschätzung und erhöhen die Mitarbeitendenzufriedenheit.
Die Vorteile von Diversity
Strategisch gemanagte Vielfalt wirkt sich in mehreren Bereichen positiv aus:
- Erweiterung des Bewerberpools und Zugang zu neuen Talenten
- Förderung von Innovation und kreativen Lösungsansätzen
- Erhöhung der Mitarbeitendenzufriedenheit und Reduktion von Fehlzeiten
- Risikominimierung durch weniger Diskriminierung und damit verbundenen Kosten
„Diversität heißt nicht, dass alle gleich sind. Es bedeutet, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu erkennen, wertzuschätzen und als Ressource zu nutzen“, fasst Bobineau zusammen.
Unternehmen, die Diversity als strategisches Instrument begreifen, erhöhen ihre Wettbewerbsfähigkeit, stärken ihre Innovationskraft und schaffen eine Unternehmenskultur, in der Mitarbeitende langfristig motiviert und produktiv bleiben.
Ein Beitrag von: