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01.05.2018, 00:00 Uhr

Naturgefahr Starkregen

Vor dem Hintergrund der immer häufiger auftretenden Starkregenereignisse, die oft mit verheerenden Folgen verbunden sind, ist es erforderlich geeignete Maßnahmen zur Katastrophenabwehr zu entwickeln. Der Beitrag ruft einige Ereignisse in Erinnerung und zieht Schlussfolgerungen für Vorsorgemaßnahmen.

Quelle: Panther Media/ aiwendyl

Quelle: Panther Media/ aiwendyl

Ein Leben ohne Wasser ist unmöglich. Deshalb sind Regenfälle, zur rechten Zeit und in Maßen, in vielen Fällen äußerst willkommen. Zuviel Regen in zu kurzen Zeiträumen sind jedoch meist eine Katastrophe. Die Extreme sind das Problem. Zuwenig Regen verursacht Dürrekatastrophen, Bodenerosionen und Hungerkatastrophen, zuviel Niederschlag ruiniert Ackerflächen, Siedlungsgebiete und ggf. auch Industrieanlagen. Beide Extreme sind schlecht, jedoch beeinflussbar. Deichanlagen, Überflutungszonen und Schutzbauten gegen Hochwasser haben z.B. die Verluste reduziert. Wasserrückhaltebecken und Stauseen können Trockenperioden überbrücken. Durch Kenntnis der meteorologischen Zusammenhänge sind auch die Zeiträume einer erhöhten Gefährdung bekannt. Die Menschen in den betroffenen Regionen sind zumeist vorbereitet, bzw. sollten es sein. In den letzten Jahrzehnten hat sich jedoch ein offenbar neues Wetterphänomen auf die Problemliste gesetzt – der Starkregen. Der Beitrag ruft einige Ereignisse der jüngsten Vergangenheit in Erinnerung und wirbt für eine stärkere Aufmerksamkeit für Vorsorgemaßnahmen.

Gefahr erkannt, Gefahr gebannt?

Seit über 100 Jahren wird das Wetter systematisch beobachtet und statistisch erfasst. Zunächst war es die Seefahrt, die sich verlässliche Wettervorhersagen wünschte und die Errichtung und den Ausbau von Seewetterstationen veranlasste. Dann folgte der Luftverkehr, der auf eine verlässliche Wettervorhersage angewiesen war. Auch in der Forst- und Landwirtschaft und für den Weinanbau waren Voraussagen von Niederschlägen, Temperaturentwicklungen usw. höchst willkommen. Die Entwicklung der Wettervorhersage wurde ständig verbessert. Heutzutage unterstützen Wetterdaten aus allen Winkeln der Erde die Wettervorhersage, die Klimatologen werden durch ein Netz von Wettersatelliten zeitnah über jede Tief- und Hochdruckzonen informiert, sie leisten eigentlich eine hervorragende Arbeit. Trotzdem werden die Menschen immer wieder von den Folgen der sogenannten Wetterkapriolen, wie z.B. dem Starkregen überrascht. Aufgrund der kurzen Zeit und hohen Menge des Niederschlags, kann dieser nicht schnell genug versickern oder abfließen und wird darum zum Problem. Ortschaften werden verwüstet, Verkehrswege blockiert, sogar Menschenleben werden oftmals beklagt. In den Medien werden die Meteorologen mit ernster Mine befragt, ob die Wettervorhersage versagt hat. Aber die „Wetterfrösche“ trifft keine Schuld, das Problem besteht schon seit langem, nur die Randbedingungen haben sich geändert, was oftmals vergessen wird.

Starkregenereignisse – wie war es früher?

Der Zusammenhang von steigenden Temperaturen und die Zunahme von Extremniederschlägen wird von Klimaexperten weltweit anerkannt [1]. Auch über deren Ursachen, u.a. dem erhöhten Ausstoß von schädlichen Klimagasen, besteht weltweit Konsens. Durch die industrielle Revolution, das konti­nuierliche Wachstum der Weltbevölkerung, mit notwendigerweise zunehmender Landwirtschaft und wachsendem Verkehr, um nur einige Punkte zu nennen, muss der abgeschlossene „Lebensraum Erdball“ mit Klimaveränderungen reagieren. Dies sind z.B. steigende Temperaturen, das Abschmelzen der Eiskappen an den Polen und die Erwärmung der Meere. Dadurch kann mehr Wasserdampf in die Atmosphäre aufsteigen und in den Wolken gespeichert werden. Der Energieinhalt der Gewitterwolken (Cumulonimbus), einem riesigen, bis in 10 km Höhe reichenden Wasserdampfhaufen, ist enorm. Die Entladung, der Starkregen, erfolgt in einem relativ kurzen Zeitraum, unvorstellbare Wassermassen prasseln zu Boden. Aber dies kam in der Vergangenheit schon öfter vor. Im Unterschied zu früheren Zeiten haben sich jedoch die Niederschlagsmengen als auch die Häufigkeit der Niederschläge erhöht [2]. Ältere Nachschlagewerke können dies belegen, z.B. Meyers Konversations-Lexikon [3], aus dem Jahr 1897. Zum Thema Regen erfährt man dort: „Besonders starke Regen, wie sie bei Gewittern zuweilen gemeinschaftlich mit Hagel zu fallen pflegen, nennt man Platzregen oder Wolkenbruch.

Den Begriff „Starkregen“ findet man im alten Lexikon nicht. Aber schon vor über hundert Jahren wusste man: „Von praktischer Wichtigkeit ist es, die Regenmenge kennen zu lernen, die während eines Wolkenbruchs in wenigen Stunden fallen kann. Nach Hellmann [Gustav Hellmann 3.7.1854 – 21.2.1939, Deutscher Meteorologe und Klimatologe, der Verf.] ist im ebenen Norddeutschland auf Stundenmaxima von 60–75 mm zu rechnen, z.B. fielen in Breslau [dem heutigen Wroclaw, d.Verf.] (am) 6. Aug. 1858 in 1 ½ Stunde 95 mm, in Trier (am) 17. Juni 1856 in 1 Stunde 73,2 mm Regen. Halten derartige Regenmengen selbst in geringem Maße längere Zeit an, so sind verheerende Überschwemmungen ihre notwendige Folge, wie z.B. die bedeutenden Überschwemmungen in Schlesien und Westpreußen im August 1888 durch die starken Regengüsse des Juni und Juli hervorgerufen wurden…. Die größte Niederschlagsmenge für einen Tag, 248 mm, wurde bei einem Wolkenbruch am 22./23. Juli 1855 zwischen Wernigerode und Elbingerode in nicht ganz 24 Stunden gemessen.“

In den Ausführungen des Lexikons ist auch eine Tabelle enthalten, in der die durchschnittlichen Niederschlagsmengen für die damaligen Länder aufgeführt sind, Tabelle 1.

Tabelle 1 Jährliche durchschnittliche Niederschlagsmengen in den Ländern des Deutschen Kaiserreichs.

Tabelle 1 Jährliche durchschnittliche Niederschlagsmengen in den Ländern des Deutschen Kaiserreichs.

Die Beobachtungszeiträume sind leider nicht vermerkt. Da jedoch die Extremwerte aus den Jahren 1855, 1856 und 1858 dokumentiert wurden, besteht Grund zur Vermutung, dass die in Tabelle 1 aufgeführten Durchschnittswerte aus einer längeren Beobachtungsperiode stammen, im Extremfall ab 1855 bis zur Drucklegung der Quelle, des Lexikons aus dem Jahr 1897, also maximal vier Jahrzehnte.

Die Länder des Deutschen Kaiserreichs lassen sich geografisch gut nachvollziehen und auf die heutige Situation spiegeln. Für einen Vergleich der Niederschlagsmengen nach „Meyer 1897“ und den Niederschlagsdaten aus dem Zeitraum von 1990-2016 [4] bieten sich die in Bild 1 eingezeichneten Messstellen an.

Bild 1 Ausgewählte Messstationen zum Vergleich der Niederschlagsmengen. Quelle: R. Konersmann

Bild 1 Ausgewählte Messstationen zum Vergleich der Niederschlagsmengen.

Foto: R. Konersmann

Es muss darauf hingewiesen werden, dass dieser Vergleich mit einigen Makeln behaftet ist: Zum einen ist die Grenzziehung zwischen dem „nördlichen und südlichen“ Bayern willkürlich erfolgt, dafür bittet der Autor um Nachsehen, zum anderen sind die Namen der Wetterstationen aus dem 19. Jahrhundert nicht bekannt und darum sehr wahrscheinlich mit den heutigen Messorten nicht mehr geografisch deckungsgleich. Diese Unschärfe scheint für diesen Aufsatz entbehrlich zu sein, da es sich hier nur um eine Trendanalyse handelt, die keiner exakten Komparabilität bedarf. Daraus ergibt sich das folgende Resultat, wie in Tabelle 2 dargestellt.

Tabelle 2 Vergleich von Niederschlagsmengen aus dem 19. und 20./21. Jahrhundert.

Tabelle 2 Vergleich von Niederschlagsmengen aus dem 19. und 20./21. Jahrhundert.

Es ist zu erkennen dass sich die durchschnittliche Niederschlagsmenge innerhalb der letzten 100 Jahre, bis auf einen Ausreißer, in allen Landesteilen erhöht hat. Diese Tendenz sagt noch nichts über die damit verbundenen Konsequenzen aus. Eine Statistik der Starkregenfälle bzw. Wolkenbrüche bzw. Platzregen aus dem letzten Jahrhundert steht nicht unmittelbar zur Verfügung und müsste erst generiert werden, was zwar möglich, aber mit einem erheblichen Aufwand verbunden wäre [5].

Definition Starkregen

Wie schon eingangs erwähnt spricht man von einem Starkregen, wenn in bestimmten Zeiteinheiten große Niederschlagsmengen fallen die nicht mehr abfließen können und dadurch Überschwemmung verursachen. Oder ganz einfach ausgedrückt: wenn mehr zuläuft, als ablaufen, versickern oder aufgefangen werden kann. Merkmale sind überschwemmte Straßen, überflutete Keller und Tiefgaragen usw., dazu später. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) warnt vor Starkregen in 3 Stufen, wenn voraussichtlich folgende Schwellenwerte überschritten werden:

Regenmengen von 15 bis 25 l/m² in 1 Stunde, bzw. 20 bis 35 l/m² in 6 Stunden (Wetterwarnung) und Regenmengen > 25 l/m² in 1 Stunde oder > 35 l/m² in 6 Stunden (Unwetterwarnung). Die höchste Stufe, das extreme Unwetter, wird definiert bei einer Regenmenge von > 40 l/m² in 1 Stunde bzw. > 60 l/m² in 6 Stunden [6]. Die Meteorologen des DWD definieren aus Kenntnis von Langzeit-Messungen jede Aufzeichnung von über 30 l/m² als Starkregen. Das Problem ist, dass es bislang nicht möglich ist, einen Starkregen flächendeckend eindeutig nachzuweisen. Die dazu notwendigen engmaschigen Messstellen stehen noch nicht in ausreichender Anzahl zur Verfügung und die Radarwetterüberwachung sowie die satellitengestützte Wetterbeobachtung lassen, da sie noch nicht lange zur Verfügung stehen, keine Trendanalysen zu. Trotzdem sind sich die Wetterexperten einig, dass die Anzahl der Starkregenereignisse bzw. Extremniederschläge zugenommen hat und weiter zunehmen wird.

Mögliche Ursachen für Hochwasserschäden

Die enormen Schäden der Hochwasser von Elbe, Rhein und Oder hatten zur Folge, das in den Hochwasserschutz investiert wurde. Seitdem sind die durch Hochwasser verursachten Schäden zurückgegangen. Die Anrainer wissen, was ihnen drohen kann. An den Meeresküsten und Flussläufen sollte es darum eigentlich keine katastrophalen Schadensereignisse mehr geben. Auch die „Regenneigung“ in den verschiedenen Landschaftsregionen ist tendenziell bekannt, dennoch gibt es Überraschungen. Wolkenformationen sind nur die sichtbaren Teile eines chaotischen Systems, Luftströmungen und Temperaturschichtungen sind die unsichtbaren. Daher kann es vorkommen, dass Stadtteile „absaufen“ und in wenigen Kilometern Entfernung davon nichts bemerkt wird (z.B. Berlin Juni 2017). In vielen Fällen, nach einer tagelangen Trockenheit, regnen in wenigen Minuten bzw. Stunden gewaltige Wassermengen ab, die von einer Kanalisation nicht mehr aufgefangen werden können. Auch naturbelassene Flächen, Wiesen und Ackerböden, verwandeln sich in Wasserlandschaften. Starkregenereignisse gab es schon immer, problematisch ist es, wenn diese häufiger eintreten und es keine Möglichkeit einer sicheren Vorhersage gibt. Dadurch ist die Vorwarnung eines betroffenen Gebietes unmöglich. Eine hochwassersichere Bauweise für „gewässerferne“ Siedlungsgebiete kann im Ereignisfall zwar als vorausschauend bezeichnet werden, wird im Normalfall jedoch nicht in Betracht gezogen. Darum sollten vorwiegend Maßnahmen zur Verbesserung der Standfestigkeit der Verkehrsinfrastruktur umgesetzt werden.

Vergangene Ereignisse haben gezeigt, dass die Beeinträchtigung der Verkehrswege zu erheblichen Problemen führte. Blockierte oder zerstörte Schienennetze und Straßen verzögerten Rettungsmaßnahmen und die Instandsetzung der Versorgungsnetze. Eine „starkregensichere“ Verkehrsinfrastruktur ist daher eine wirksame Maßnahme zur Beherrschung von extremen Naturereignissen.

Aus heiterem Himmel

Eine unangenehme Eigenart der Starkregenfälle ist, dass sie sich plötzlich, überfallartig, quasi aus heiterem Himmel über einen Landstrich ergießen. In den meisten Fällen hat dies unangenehme Folgen, wie z.B. am 11. September 2009. Auf der linksrheinischen Bahntrasse, zwischen Werlau und St. Goar, entgleiste am besagten Tag der IC 2313 (Hamburg-Stuttgart) auf Grund einer Schlamm- und Gerölllawine, die sich aus den steilen Weinhängen des Rheintals löste und die Bahngleise verschüttete. Der Lokführer konnte keine Sicherheitsbremsung mehr durchführen. Er erlitt einen schweren Beinbruch, 10 Reisende und 4 Bahnmitarbeiter wurden leicht verletzt [7]. Das Triebfahrzeug und die ersten vier Wagen entgleisten mit allen Achsen und wurden erheblich beschädigt. An den Hanglagen des Rheintals wird seit Menschengedenken Wein angebaut. Die Hangwinkel betragen zwischen 30 und 60 Grad. Geröllabbrüche sind darum keine Seltenheit. An vielen Stellen sind darum Sicherungsmaßnahmen (Netze, Durchlasstunnel) installiert worden. Abrieselndes Geröll, Schlamm usw. soll dadurch aufgefangen bzw. gezielt abgeleitet werden. Am 11.09.2009 ging im Gebiet um St. Goar ein Starkregen nieder. Die dadurch ausgelöste Lawine war durch keine Sicherungsbauten aufzuhalten. In Bild 2 sind die der Unfallstelle am nächsten liegenden Wettermeßstationen dargestellt.

Bild 2 ICE – Unfall am 11.09.2011 nahe St. Goar. Quelle: R. Konersmann

Bild 2 ICE – Unfall am 11.09.2011 nahe St. Goar.

Foto: R. Konersmann

Die umliegenden Wetterstationen des Agrarmeteorologischen Messnetzes Rheinland-Pfalz wurden Anfang der 90er Jahre errichtet. Die dem Unfallort am nächsten liegende Station Oberwesel war im Jahr 2011 noch nicht einsatzbereit. Die in Bild 2 eingezeichneten Messstellen können die Niederschlagssituation darum nur qualitativ beschreiben. Es ist zu erkennen, dass an den Tagen vor dem Unfall in der Umgebung keine nennenswerten Niederschläge registriert wurden.

Die Messstation in Gondershausen, ca. 16 km vom Unfallort entfernt, zeichnete am 7.9. eine Niederschlagsmenge von 4,9 l/m² auf. Auch in den Vormittagsstunden des 11.09. deutete nichts darauf hin, dass mit einem Starkregenfall gerechnet werden musste, Bild 3.

Bild 3 Stündliche Niederschlagsmengen in der Region St. Goar am 11.09.2011. Quelle: R. Konersmann

Bild 3 Stündliche Niederschlagsmengen in der Region St. Goar am 11.09.2011.

Foto: R. Konersmann

In den Nacht- und Vormittagsstunden des 11.09. fiel kein nennenswerter Niederschlag. Dies änderte sich schlagartig ab 12 Uhr. In den folgenden zwei Stunden wurden an den Stationen Boppard 26,6 l/m² (19 + 7,6) und in Gondershausen 15,6 l/m² (11 + 4,6) l/m² Niederschlag gemessen. Die Niederschlagsmenge am ca. 11 km entfernten Messort Bacharach war wesentlich geringer. Der zweistündige Starkregen bewirkte einen starken Geländeabtrag (Murgang), der zu einer Verschüttung des am Rheinufer verlaufenden zweispurigen Schienenstrangs führte. Ein ähnlicher Fall ereignete sich am 25.06.2016, ebenfalls in der Region, zwischen den Stationen Oberwesel und Bacharach, Bild 4.

Bild 4 Unfall Regionalexpress 4251 am 25.06.2016 nahe Bacharach. Quelle: R. Konersmann

Bild 4 Unfall Regionalexpress 4251 am 25.06.2016 nahe Bacharach.

Foto: R. Konersmann

Der Regionalexpress 4251 war auf der linksrheinischen Strecke zwischen Koblenz und Frankfurt unterwegs, als ihn um 05:35 Uhr eine Schlamm -und Gerölllawine aus den Gleisen drückte [8].

Der entgleiste Triebwagen blockierte dabei auch das Nachbargleis. Auf einer Länge von ca. 100 m wurde die Oberleitung beschädigt. Auch bei diesem Unfall wurde der Lokführer schwer verletzt, neun weitere Personen erlitten leichtere Verletzungen. Dem Unfall vorausgegangen waren wieder starke Regenfälle in den Vortagen, Bild 5.

Bild 5 Niederschlagsmengen an der Station Oberwesel im Juni 2016. Quelle: R. Konersmann

Bild 5 Niederschlagsmengen an der Station Oberwesel im Juni 2016.

Foto: R. Konersmann

Am 1. Juni wurde eine Tagesniederschlagssumme von 23,7 l/mm² gemessen. Dieser Niederschlag fiel innerhalb von 14 Stunden. Die Intensität verstärkte sich in den letzten 6 Tagesstunden erheblich. In den nächsten Tagen hielt der Regen an, nahm an Intensität jedoch ab. Es ist davon auszugehen, dass der Boden an den Hängen eine erhebliche Wassermenge aufgenommen hatte und die Bodenfeuchte während der gesamten Zeitspanne bis zum Unfallzeitpunkt, auch wegen der ständigen Niederschläge an den Folgetagen, bis zum Unfallzeitpunkt, konstant blieb. Am 24.6., gegen 11 Uhr, setzte wieder ein starker Niederschlag ein. Innerhalb von zwei Stunden fielen 24,9 l auf den Quadratmeter. Vor und zum Zeitpunkt der Zugentgleisung, am 25.6. um 05:35 Uhr, fiel eine Niederschlagsmenge von 16,2 l/m² innerhalb von 2,5 Stunden. Die Tagessumme von 34,3 l/m² verteilte sich auf 13 Stunden, Bild 6.

Bild 6 Stündliche Niederschlagsmengen an der Station Oberwesel am 25.06.2016. Quelle: R. Konersmann

Bild 6 Stündliche Niederschlagsmengen an der Station Oberwesel am 25.06.2016.

Foto: R. Konersmann

Die vielen Niederschläge an den Vortagen hatten, beginnend ab Anfang Juni, die Böden in den Hanglagen derart aufgeweicht, das punktuell große Mengen Erd- und Geröllmaterial abgleiten konnten. Auch im Elbtal sind Unterbrechungen des Eisenbahnverkehrs keine Seltenheit. Am 23.5. 2014 entgleiste auf der Strecke zwischen Dresden und Prag eine 84 t schwere Lok eines Güterzugs. Der auslösende Erdrutsch hatte eine Breite von ca. 150 m. An der nahe gelegenen Messstelle Lichtenhain/Mittelndorf wurde innerhalb von 2 Stunden eine Niederschlagsmenge von 42,1 l/m² gemessen.

Auch unsere Nachbarn in der Schweiz hatten ähnliche Probleme. Am 13.8.2013 verursachten starke Niederschläge (56 l/m² innerhalb von 24 Stunden) einen Erdrutsch auf der Eisenbahnstrecke zwischen Tiefencastel und Thusis, so dass ein Personenzug entgleiste. Ein Wagen stürzte ca. 20 m einen Steilhang hinunter. Es wurden acht Reisende schwer und weitere acht leicht verletzt. Eine der schwer verletzten Personen erlag seinen Verletzungen neun Tage nach dem Unfall [9].

Ergebnisse der Untersuchungen

Die beispielhaft skizzierten Unfälle sind keine Seltenheit. Allen Unfallereignissen war gemeinsam, dass ihnen lang anhaltende Regenfälle vorausgegangen waren. Daraus kann der Schluss gezogen werden, dass Unwetterwarnungen, gemessen an Niederschlagsmengen in definierten Zeiträumen, für Hanglagen meistens zu spät kommen. Nach den Wetterberichten in den Nachrichtenmedien scheint das Erkennen von Starkregengebieten mit einigen Tagen Vorlauf prinzipiell möglich zu sein. Die genaue Lage der davon betroffenen Regionen und die Menge der zu erwartenden Niederschläge in einem bestimmten Zeitraum scheinen hingegen noch nicht möglich zu sein. Die Unfallhergänge lassen jedenfalls den Schluss zu, dass dies auf Grund der Schnelligkeit der Abläufe und der Unvorhersehbarkeit der Niederschlagsraten, kaum möglich sein wird. Das zeitgleiche Zusammentreffen eines Lawinenabgangs mit einem Verkehrsmittel ist quasi als Zufallsereignis anzusehen.

Von der Idylle zum Katastrophengebiet

Hochwasser und Überschwemmungen werden im kollektiven Gedächtnis bislang hauptsächlich mit gewässernahen Regionen an Flussläufen oder Meeresküsten in Zusammenhang gebracht. Die Erfahrungen mit derartigen Ereignissen führten zu Verbesserungen beim Deichbau, der Raumplanung und Katastrophenvorsorge. Ort und Zeitpunkt zu erwartender Pegelhochstände waren und sind vorhersehbar. Die Bereithaltung und Installation von Spundwänden, Sandsackbarrieren und dgl. stellt zwar immer noch eine hohe logistische Kraftanstrengung dar, ist aber prinzipiell kein Problem mehr. Ganz anders sieht die Situation aber aus, wenn sich außergewöhnliche Regenmengen innerhalb eines kurzen Zeitraums über flache Landschaften ergießen die darauf nicht vorbereitet sind. Auch dazu einige Beispiele.

Baiersdorf, 21. Juli 2007

Die mittelfränkische Kleinstadt Baiersdorf, gelegen nördlich von Erlangen, erlebte in der Nacht vom 21.7 (Samstag) zum 22.7.2007 quasi einen Weltuntergang. Ein Unwettertief brachte schon in den vorausgehenden Tagen für die gesamte Region starke Regenfälle. Das Gewittersystem in der Region um Baiersdorf setzte immer wieder starke Regenfälle frei, die in kurzer Zeit fast an der gleichen Stelle niedergingen. An der Wetterstation Möhrendorf-Kleinseebach wurden am 21.7., innerhalb von drei Stunden, 73,5 l/m² Regen gemessen. Diese Station liegt jedoch nicht im Kerngebiet [10]. Die tatsächlichen Niederschlagsmengen konnten nur geschätzt werden. Eine weitere Quelle beziffert die Wassermenge auf mehr als 200 l/m² in vier Stunden [11]. Auf dieses Extremereignis waren die Bewohner nicht vorbereitet. Es gab in der Vergangenheit kein vergleichbares Ereignis, die Gelände­topographie lies keinerlei Gefährdung vermuten, z.B. durch eine Tallage. Die Schadenshöhe von 100 Millionen Euro bedeutete für die Kleinstadt den totalen finanziellen Ruin. Mehr als 1000 Keller wurden überflutet, ca. 500 Häuser erheblich beschädigt und mehr als 20 000 Liter Chemikalien und Heizöl traten aus. Die nahe gelegene Autobahn A 73 wurde zeitweise bis zu 1,5 Meter überflutet. Die Feuerwehren waren mit der Personenrettung, dem Löschen von Bränden, als Folge von Kurzschlüssen und mit der Bekämpfung von freigesetztem Öl und Chemikalien bis zur Erschöpfung ausgelastet. Ein besonderes Problem von Überflutungen ist das entstehende Gemisch aus Wasser, freigesetztem Heizöl und Haushaltschemikalien, abgeschwemmten Fäkalien und Komposthaufen. Das derart kontaminierte Wasser dringt in alle Bereiche vor und verursacht beim Menschen Entzündungen an Risswunden und Kratzern. Die Probleme, die durch eine derartige Katastrophe verursacht werden, können durch keinen Kurzbericht beschrieben werden. Einen ungefähren Eindruck von der Dramatik gibt der lesenswerte Einsatzbericht der Freiwilligen Feuerwehr Baiersdorf [12].

Simbach, 1. Juni 2016

Das Jahr 2016 wird den Katastrophenschützern noch lange in Erinnerung bleiben. Besonders die Tage zwischen dem 26. Mai bis 8. Juni und dem 17. bis 28. Juni hatten es in sich. Fast ganz Deutschland wurde von schweren Unwettern mit Starkregen, Sturm und Hagel verwüstet. In mehreren Landkreisen Baden-Württembergs und Bayerns wurde Katastrophenalarm ausgelöst. Die zerstörerische Kraft von Starkregenfällen hatte u.a. in Simbach, einer Kleinstadt im niederbayerischen Landkreis Rottal-Inn, schwerwiegende Auswirkungen. Auch diese Katastrophe wurde dadurch begünstigt, weil die Unwetterzellen lange über der Region festsaßen und eine enorme Größe aufwiesen. Durch die beachtlichen Niederschlagsmengen stieg der Pegel des gleichnamigen Simbachs innerhalb kurzer Zeit um fünf Meter an so dass mehrere Dämme brachen. Die drei bis vier Meter hohe Flutwelle überschwemmte die vorbeilaufende Bundesstraße 12 und machte sie durch mitgeführtes Schwemmgut lang Zeit unpassierbar. Die in Simbach gemessenen Niederschlagsmengen (siehe Bild 7) waren zwar sehr hoch, erreichten jedoch nicht die in Deutschland gemessenen Rekordwerte [13].

Bild 7 Einige Starkregenereignisse von 1855 – 2017. Quelle: R. Konersmann

Bild 7 Einige Starkregenereignisse von 1855 – 2017.

Foto: R. Konersmann

Der Extremwert für das Jahr 2016 wurde am 23. Juni 2016 in der Gemeinde Groß Berßen (Landkreis Emsland), also am entgegengesetzten Ende Deutschlands, erreicht. Hier fielen innerhalb eines Tages 150,7 l/m² Regen. Die Schäden blieben jedoch überschaubar. Die ca. 700 Einwohner hatten hauptsächlich mit voll gelaufenen Kellern Probleme. Die Ernteausfälle der Landwirte auf den Mai- und Kartoffelanbauflächen waren beträchtlich [14].

Fazit

In Bild 7 sind die im Text beschriebenen Starkregenereig­nisse sowie einige herausragende Ereignisse dargestellt. Dazu wird das sogen. doppellogarithmische Matsumoto-Diagramm verwendet. Dadurch können kleine und große Werte zusammen in einem Diagramm dargestellt werden.

Die in Meyers Lexikon von 1897 aufgeführten Wolkenbrüche, die hinsichtlich ihrer Intensität als bemerkenswert herausgestellt wurden, würden in einer aktuellen Auflage, 120 Jahre später, keine Erwähnung mehr finden. In unserem Jahrhundert müssen wir konstatieren, dass Starkregenfälle keine seltenen Ereignisse sind, und, was noch schlimmer ist, in den meisten Fällen mit einer zerstörenden Intensität über uns hereinbrechen. Bemerkenswert ist das Starkregenereignis vom 25.05.1920 in Füssen. Seinerzeit wurde innerhalb von nur acht Minuten eine Niederschlagsmenge von 126 l/m² gemessen. Den Tagesrekord hält jedoch das Städtchen Zinnwald im Erzgebirge. Am 12.8.2002 fielen dort innerhalb eines Tages 342 Liter Regenwasser auf einen Quadratmeter [14]. 15 Jahre später, am 29.6.2017, wurde an der Wetterstation Oranienburg-Lehnitz, nördlich von Berlin, eine Tagesmenge von 260,6 l/m² gemessen. Zur selben Zeit fielen in Leegebruch, ca. 7 km Luft­linie entfernt, 250 l/m², allerdings in nur 10 Stunden [15].

Der bisher in Deutschland gemessene Extremwert für den Zeitraum von 24 Stunden war 260 mm (gemessen in Zeithain/Kr. Riesa am 06.07.1906 und in Stein/ Kr. Rosenheim am 07.07.1954). Es ist jedoch müßig, die Extremwerte zur Klassifizierung eines Starkregens heranzuziehen, ebenso entscheidend sind die Zeiträume, in denen sie fallen. Am 15.9.1968 fielen in Miltzow/MV, innerhalb einer Stunde 200 l/m.² Nicht minder dramatisch sind die Werte aus dem Ruhrgebiet: In Dortmund ergossen sich am 15.6.1968 innerhalb von drei Stunden 119 mm auf das Pflaster. In Gelsenkirchen wurden am 3.7.2010 innerhalb von 90 Minuten 96,2 mm gemessen und im Jahr 2013, am 20. Juni, musste wieder die Stadt Dortmund mit 45,6 l/m² innerhalb einer Stunde den Notstand ausrufen. Im Jahr 2014 geriet die Stadt Münster in die Schlagzeilen. Das Unwetter im Juli ist in Bild 7 mit drei Messwerten vertreten: 220 l/m² in 1,5 Stunden, 264 l/m² in zwei und 292 l/m² in sieben Stunden. Die in Bild 7 aufgeführten Ereignisse stellen nur einen kleinen Ausschnitt dar.

Handlungsmöglichkeiten – Was ist zu tun?

Nach vielen Hochwasserkatastrophen an Flussläufen und Küsten wurde der Hochwasserschutz verbessert und optimiert. Durch wirkungsvolle Schutzmaßnahmen wurden die Risiken beherrschbar. Durch Fortschritte bei der Wetterbeobachtung und –vorhersage, z.B. durch Wettersatelliten, konnte auch der Katastrophenschutz optimiert werden, d.h. Abwehrmaßnahmen können i.d.R. rechtzeitig eingeleitet werden. Gegen einige Naturereignisse kann man sich jedoch nur bedingt schützen, z.B. gegen Erdbeben. Aber auch in diesem Fall gibt es Möglichkeiten der Vorsorge, z.B. durch eine erdbebensichere Bauweise. Man kann damit zwar das Ereignis nicht verhindern, jedoch deren Wirkungen minimieren. Mit Starkregenereignissen ist es ähnlich. Sie sind in den meisten Fällen auf eine kleine Fläche beschränkt und nicht genau lokalisierbar. Es ist nicht möglich vorherzusagen, wann und wo eine Region Schäden durch dieses Extremereignis befürchten muss. Die bisherigen Erfahrungen mit Starkregenfällen haben gezeigt dass es schwierig ist, die Infrastruktur und die Versorgungssicherheit wieder zeitnah herzustellen. Durch blockierte und zerstörte Verkehrswege, durch eine unterbrochene Stromzufuhr, um nur einige Punkte zu nennen, sind Rettungsmaßnahmen langwierig und kompliziert. In vielen Fällen musste festgestellt werden, dass die Kapazitäten der Feuerwehren nicht ausreichten und die zur Verfügung stehenden Rettungsmittel (Notstromaggregate, Pumpen usw.) nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung standen bzw. während des Einsatzes durch Überlastung versagten. Um gegen unvorhersehbare Ereignisse gewappnet zu sein, ist es darum sinnvoll zu analysieren, welche Umstände und Gegebenheiten den bisherigen Rettungsmaßnahmen im Wege standen und diese unnötig verzögerten. Dies könnte z.B. durch eine ständige Kontrolle des Baumbewuchses an Verkehrswegen geschehen. Nicht selten treten in Verbindung mit Starkregenfällen auch hohe Windlasten auf. Ein hoher Zeitaufwand muss bei Katastropheneinsätzen regelmäßig auf die Beseitigung umgestürzter Bäume oder heruntergerissener Oberleitungen verwendet werden. Auch Beschaffungsvorgaben für Straßenbauten hinsichtlich der Ableitung von Niederschlagswasser könnten zu einer Entlastung führen. Die wichtigste Aufgabe des Katastrophenschutzes ist jedoch die Rettung von Menschenleben. Oftmals müssen darum zuallererst sensible öffentliche Gebäude (Krankenhäuser, Heime usw.) evakuiert werden, vor allen Dingen darum, weil die u.a. Energieversorgung unterbrochen ist. Eine „hochwasserresistente“ Energie- und Medienversorgung würde die Rettungskräfte wirkungsvoll entlasten und für andere wichtige Aufgaben freistellen. Extremwetterereignisse können nicht verhindert werden. Fachleute gehen davon aus, dass sich die Anzahl der Extremwetterlagen weiter erhöhen wird. Um die Schäden so gering wie möglich zu halten, muss darum die Resistenz der Infrastruktur erhöht werden. Dazu gehört auch eine bestmögliche Ausstattung der sogen. Ersthelfer, also der Feuerwehren und des Technischen Hilfswerks.  TS658

 

 

 

Literaturverzeichnis

[1] Reimer,N., Lüdemann,D.: Ja, das ist der Klimawandel, ZEIT ONLINE, 27. Juli 2017.

[2] Süddeutsche Zeitung vom 27.12.2017: Schadensummen verdreifacht, Interview mit Prof. Dr. Peter Höppe.

[3] Meyers Konversations-Lexikon, Fünfte Auflage, Bibliographisches Institut, Leipzig und Wien, 1897.

[4] https://www.wetterkontor.de

[5] Fabig, I.: Die Niederschlags- und Starkregenentwicklung der letzten 100 Jahre im Mitteldeutschen Trockengebiet als Indikatoren möglicher Klimaänderungen, Dissertation, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 31.01.2007.

[6] https://www.dwd.de/DE/service/lexikon/Functions; https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages.

[7] Eisenbahn-Unfalluntersuchungsstelle des Bundes: Untersuchungsbericht Zugkollision 11.09.2011, Werlau-St. Goar, Bonn, 12.06.2013.

[8] www.rhein-zeitung.de: Regionalexpress entgleist, 25.06.2016.

[9] Schweizerische Sicherheitsuntersuchungsstelle SUST: Schlussbericht über die Entgleisung eines Personenzuges nach einem Erdrutsch, Reg.-Nr.: 2014081301.

[10] https://www.unwetter-franken.de

[11] Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe: Die unterschätzten Risiken

„Starkregen“ und „Sturzfluten“, Ein Handbuch für Bürger und Kommunen, Bürgerinformation

Ausgabe: 1, Stand: Dezember 2015

[12] Freiwillige Feuerwehr der Stadt Baiersdorf (www.feuerwehr-baiersdorf.de): Besondere Einsätze, Die Sturzflut im Juli 2007.

[13] Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) Freising; DWD, Weihenstephan; TU München, Freising: Starkregen, Bodenerosion, Sturzfluten-Beobachtungen und Analysen im Mai/Juni 2016, Schriftenreihe der LfL, März 2017.

[14] EMS-Zeitung online, https://www.noz.de, 2.1.2017.

[15] https://www.rbb24.de/panorama: Leegebruch steht noch immer unter Wasser, 03.07.17.

Von Dr.-Ing. Rainer Konersmann

Dr.-Ing. Rainer Konersmann, ehem. Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) Berlin.