Nach Kiekert-Insolvenz: Chinesischer Besitzer schießt quer
Kiekert ist insolvent. Der chinesische Eigentümer Lingyun blockiert Geld, will aber bleiben. Insolvenzverwalter prüft jetzt alle Optionen.
Tradition trifft Krise: Das Kiekert-Werk in Heiligenhaus kämpft nach der Insolvenz um seine Zukunft.
Foto: picture alliance / dpa | Nico Kurth
Der Traditionszulieferer Kiekert steckt tief in der Krise. Der Weltmarktführer für Autoschlösser hat Insolvenz angemeldet – und ausgerechnet der chinesische Eigentümer sorgt für zusätzlichen Zündstoff. Während in Heiligenhaus der Betrieb weiterläuft, tobt im Hintergrund ein Machtkampf um Kontrolle, Geld und Zukunft.
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Ein Schlosshersteller mit langer Geschichte – und großen Sorgen
Seit 168 Jahren stellt Kiekert in Heiligenhaus bei Düsseldorf Schließsysteme für Autos her. Was früher eine kleine Schlosserei war, ist heute ein internationaler Konzern mit 4.500 Beschäftigten weltweit. In fast jedem dritten Auto steckt Technik von Kiekert – von der Zentralverriegelung bis zu modernen Türmodulen. Auch Luxusmarken wie Rolls-Royce oder Aston Martin verbauen die Systeme des Unternehmens.
Doch nun wackelt der einst stabile Riegel. Ende September meldete die Kiekert AG Insolvenz an. Betroffen sind rund 700 Beschäftigte in Deutschland. Ihre Gehälter sind zwar bis Ende November über das Insolvenzgeld gesichert, doch die Verunsicherung wächst. „Alle Aufträge werden wie gewohnt produziert und ausgeliefert“, beruhigte Insolvenzverwalter Joachim Exner. Der Betrieb laufe stabil weiter, betonte er – doch die Zukunft ist ungewiss.
Der chinesische Eigentümer unter Druck
Hinter der Insolvenz steht ein Konflikt, der weit über Heiligenhaus hinausreicht. Kiekert gehört seit 2012 dem chinesischen Autozulieferer Lingyun. Dieser hatte damals versprochen, den deutschen Standort zu stärken und in neue Technologien zu investieren. Doch nun wirft das Kiekert-Management dem Eigentümer genau das Gegenteil vor.
„Die Insolvenz ist die Konsequenz daraus, dass der chinesische Gesellschafter keine weiteren Mittel bereitgestellt und seine finanziellen Verpflichtungen im dreistelligen Millionenbereich nicht erfüllt hat“, erklärte Vorstandschef Jérôme Debreu. Und weiter: „Der von Sanktionen betroffene Gesellschafter verwehrt uns den Zugang zu wichtigen Märkten und Finanzierungen, was unsere Geschäftstätigkeit erheblich gefährdet.“
Ein schwerer Vorwurf. Denn Lingyun ist selbst von internationalen Sanktionen betroffen – und blockiert laut Kiekert den Zugang zu Kapital. Damit, so Debreu, habe der Eigentümer die Handbremse angezogen, als das Unternehmen Geld für Investitionen am dringendsten brauchte.
Eigentümer will trotzdem bleiben
Doch Lingyun sieht die Lage ganz anders. Das chinesische Unternehmen hat inzwischen betont, es wolle nicht aussteigen, sondern Kiekert weiterführen. „Das Ziel ist es, die Insolvenz möglichst schnell aus der Welt zu schaffen“, sagte ein Lingyun-Sprecher der Deutschen Presse-Agentur. Man wolle einen „tragfähigen Zukunftsplan umsetzen, der die Zustimmung aller wichtigen Beteiligten findet“. Deutschland und der Standort in Nordrhein-Westfalen seien „absolut zentral“ für die Zukunft der Gruppe.
Was nach Versöhnung klingt, sorgt bei vielen Beteiligten eher für Stirnrunzeln. Denn bislang hatte Lingyun die finanziellen Verpflichtungen gegenüber Kiekert nicht erfüllt. Auch Insolvenzanwalt Exner prüft nun, wie das Unternehmen stabilisiert werden kann – ob mit einem neuen Investor oder über einen sogenannten Insolvenzplan. Dabei handelt es sich um eine Sanierungslösung, bei der sich Gläubiger und Unternehmen auf einen Vergleich einigen.
Großes Misstrauen gegenüber Lingyun
Wie groß das Misstrauen gegenüber dem chinesischen Eigentümer ist, zeigt der Ton in Heiligenhaus. Die IG Metall beobachtet die Entwicklung mit Skepsis, aber auch mit vorsichtigem Optimismus. „Ich habe bei einem Treffen mit dem Shareholder den Eindruck gewonnen, dass der Gesellschafter ernsthaft bemüht ist, das Unternehmen wieder zurückzubekommen“, sagte der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Velbert, Hakan Civelek. Gleichzeitig betonte er: „Bei Kiekert muss man sich jetzt mit der Frage befassen: Wie kam es zur Krise? Wo sind die Probleme?“
Denn die Ursachen liegen nicht nur in China. Auch geopolitische Spannungen und Sanktionen gegen chinesische Unternehmen haben Kiekert geschadet. Amerikanische Autohersteller sollen zugesagte Großaufträge zurückgezogen haben, weil Kiekert in chinesischer Hand ist. Banken und Rating-Agenturen stufen das Unternehmen seitdem als riskant ein. Kredite wurden verweigert – die Liquidität schwand.
Kampf um Vertrauen und Aufträge
Trotz der Schieflage zeigen sich viele Autohersteller loyal. „Sie wollen ja vom Weltmarktführer auch weiterhin ihre Teile haben, weil sie sie brauchen, aber auch mit allem zufrieden sind“, so Gewerkschafter Civelek. Der Marktanteil von Kiekert liegt laut IG Metall weltweit bei rund 25 %. Bei manchen deutschen Marken sei er sogar deutlich höher.
Das spricht für das Know-how und die Qualität der Beschäftigten. In Heiligenhaus arbeiten knapp 300 Menschen in der Produktion, mehr als 200 in der Entwicklung – der Rest in Vertrieb, IT und Verwaltung. Viele von ihnen sind seit Jahrzehnten im Unternehmen. Für sie geht es jetzt nicht nur um Arbeitsplätze, sondern auch um das Überleben eines Stücks deutscher Industriegeschichte.
Was kommt nach der Insolvenz?
Noch ist offen, wie es weitergeht. Insolvenzverwalter Exner prüft derzeit mehrere Szenarien. Möglich ist eine Übernahme durch einen neuen Investor – oder ein Neustart unter der bisherigen Eigentümerstruktur, falls Lingyun tatsächlich Geld nachschießt. „Wir prüfen alle Sanierungsoptionen“, so Exner. Klar ist: Nur wenn wieder Vertrauen in die Zukunft von Kiekert entsteht, kann der Neustart gelingen.
Die IG Metall zeigt sich offen: „Wir werden jedem die gleiche Chance geben, der den Standort Heiligenhaus entwickelt“, sagt Civelek. Selbst die Lingyun-Gruppe gehöre dazu. Entscheidend sei, dass das Unternehmen seine Schwachstellen erkenne und rasch handele. Die Beschäftigten hoffen, dass es nicht wieder an gebrochenen Versprechen scheitert.
(mit dpa)
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