Batteriefabrik in Heide: Neue Chance nach dem Northvolt-Aus?
Heide hofft nach Northvolt-Pleite: Übernimmt Lyten die Batteriefabrik? Chancen und Risiken für die Region im Überblick.
Das Versprechen steht noch: In Heide sollte eine der modernsten Batteriefabriken Deutschlands entstehen. Ob es mit Lyten gelingt, ist offen.
Foto: picture alliance/dpa | Markus Scholz
Es ist noch gar nicht lange her, da wurde bei Heide der Grundstein für ein gigantisches Projekt gelegt. Kanzler Olaf Scholz und Vizekanzler Robert Habeck waren im Frühjahr 2024 persönlich angereist, um den Startschuss für eine Batteriefabrik zu geben. Die Pläne klangen ehrgeizig: Batteriezellen für eine Million Elektroautos pro Jahr, Tausende Arbeitsplätze, ein Symbol für die Energiewende.
Doch schon wenige Monate später folgte der Absturz. Der schwedische Hersteller Northvolt, der die Anlage bauen wollte, geriet in Finanznot und meldete Insolvenz an. Auf der Baustelle mit dem großen Schild „Moin! Hier entsteht Deutschlands nachhaltigste Batteriezellfabrik“ herrschte Stillstand.
Jetzt kommt Bewegung in die Sache. Das US-Unternehmen Lyten aus San Jose hat angekündigt, alle verbleibenden Northvolt-Standorte zu übernehmen – auch den bei Heide. Ob das die Rettung ist, bleibt offen. Aber es gibt wieder Hoffnung.
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Zwischen Ernüchterung und neuer Zuversicht
Vor Ort herrscht keine Euphorie, sondern eher Zurückhaltung. „Also bei uns an den beiden Standorten ist die Stimmung völlig ruhig“, sagt Kai Tange, Bürgermeister von Lohe-Rickelshof. „Gelassen und ohne jede große Euphorie. Einfach deswegen, weil wir ja ganz wenig wissen.“
Auch direkte Kontakte mit Lyten habe es bislang nicht gegeben. Für Tange ist das kein Wunder: „Das ist schätzungsweise ja auch viel zu früh.“ Gleichzeitig erinnert er daran, dass auch Northvolt ein junges Unternehmen mit wenig Eigenkapital war – Parallelen seien also da.
Die Entwicklungsagentur der Region Heide sieht die Sache deutlich optimistischer. Deren Vorstand Dirk Burmeister betont: „Das ist eine Riesenchance. Lyten mit Sitz im Silicon Valley, das ist nun mal eine der besten Denkfabriken der Welt.“ Dass die Fundamente schon gelegt sind, sei ein Vorteil. „Wo gibt es sonst 100 Hektar Land mit Baurecht im Industriemaßstab?“
Ein Magnet für die Region?
Auch die Wirtschaft vor Ort zeigt sich abwartend, aber grundsätzlich positiv. Thomas Bultjer von der IHK Flensburg sagt: „Wir glauben weiterhin an den Standort.“ Viele Firmen hätten schon jetzt von Aufträgen rund um die Baustelle profitiert – und alle seien bezahlt worden.
Darüber hinaus könnte die Fabrik weitere Betriebe anlocken. „Daraus kann noch immer eine Erfolgsgeschichte für die Westküste werden“, so Bultjer.
Milliarden aus öffentlichen Kassen
Klar ist: Ohne staatliche Unterstützung wird auch Lyten in Heide nicht bauen. Schon bei Northvolt floss reichlich öffentliches Geld. Über eine Wandelanleihe erhielt das Unternehmen rund 600 Millionen Euro von der staatlichen Förderbank KfW. Ein Teil davon wurde bereits für das Projekt genutzt, der Rest liegt weiterhin in der Projektgesellschaft in Deutschland – zweckgebunden für eine Batteriefertigung in Heide.
Zusätzlich genehmigte die EU-Kommission Fördermittel in Höhe von rund 700 Millionen Euro – davon 137 Millionen vom Land Schleswig-Holstein und 564 Millionen vom Bund. Ausgezahlt wurde davon bislang nichts.
Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) verweist auf die laufenden Gespräche: „Dazu gehört, dass sich Bund und KfW nun mit Lyten auf den Realisationsrahmen der deutschen Aktivitäten rund um das Projekt Northvolt Drei in Heide einigen.“
Politische Auseinandersetzungen
Die Pleite von Northvolt hat längst politische Debatten entfacht. CSU-Generalsekretär Martin Huber fordert einen Untersuchungsausschuss. „Ob Northvolt, Intel oder Wolfspeed, bei Habeck jagte ein Skandal den nächsten“, sagt er. Es müsse geklärt werden, wie der damalige Wirtschaftsminister mit Milliarden an Steuergeldern umging.
Auch in Schleswig-Holstein selbst gibt es Kritik. Die SPD wirft der schwarz-grünen Landesregierung vor, das Parlament beim Northvolt-Deal unzureichend eingebunden zu haben. Abgeordneter Kianusch Stender sagt: „Sie stützte ihre Entscheidung über Hunderte Millionen Euro allein auf ein PwC-Gutachten, das auf dünnster Datenbasis erstellt wurde.“
Gleichzeitig betont er: „Nun bekommt Schleswig-Holstein durch den Vorverkaufsvertrag von Lyten womöglich eine zweite Chance für die größte Industrieansiedlung seiner Geschichte.“
Wer entscheidet am Ende?
Am Ende dürften es aber nicht allein Bund und Land sein, die den Weg freimachen. Auch die Gemeinden haben ein Mitspracherecht. Schon Anfang 2024 mussten Lohe-Rickelshof und Norderwöhrden entscheiden, ob die Baupläne genehmigt werden. In Lohe-Rickelshof fiel das Votum einstimmig positiv aus, in Norderwöhrden dagegen denkbar knapp mit vier zu drei Stimmen.
Sollten die Pläne angepasst werden, könnte es erneut Abstimmungen geben. Bürgermeister Tange glaubt nicht, dass das einfach wird: „Das wird schwieriger und sicher kein Selbstgänger.“
Risiko für Steuerzahler
Viele Menschen fragen sich, was mit den öffentlichen Geldern geschieht, falls auch Lyten scheitern sollte. Das Bundeswirtschaftsministerium versucht, zu beruhigen. Demnach sind die bisher verbauten Mittel zweckgebunden und nicht Teil der Insolvenzmasse in Schweden.
Allerdings gibt es Risiken. Schon 2020 hatte der Bund eine Finanzierungstranche von 525 Millionen US-Dollar mit einer Garantie abgesichert, um die deutsche Automobilindustrie mit Batterien zu versorgen. Laut Ministerium beläuft sich die aktuelle Risikoposition auf 376 Millionen US-Dollar. Ex-Minister Habeck soll im Bundestag bestätigt haben: „Im Zweifel ist dieses Geld im Feuer.“
Lyten – Hoffnungsträger mit Fragezeichen
Lyten ist in Europa kaum bekannt, im Silicon Valley aber durchaus eine Größe. Das Unternehmen arbeitet an neuartigen Batterietechnologien, darunter Lithium-Schwefel-Zellen. Diese sollen leichter und leistungsfähiger sein als klassische Lithium-Ionen-Batterien. Ob sich diese Technik allerdings im großen Maßstab durchsetzen lässt, ist noch nicht bewiesen.
Genau hier liegt die Unsicherheit: Lyten ist kein etablierter Großkonzern, sondern eher ein Start-up. „Es gibt Parallelen zu Northvolt“, sagt Bürgermeister Tange nüchtern.
Zwischen Zukunftsvision und Skepsis
Für die Region ist das Projekt eine Wette auf die Zukunft. Tausende Jobs, Milliardeninvestitionen, ein Energiestandort mit internationaler Strahlkraft – das ist das große Versprechen. Gleichzeitig bleibt das Risiko, dass erneut viele Millionen an Steuergeldern verloren gehen.
Die Menschen vor Ort wirken weniger aufgeregt als die Politik in Kiel oder Berlin. „Die Menschen haben hier auch vor den Plänen schon gut gelebt“, sagt Tange. Für ihn ist klar: Selbst ohne Gigafactory sei die Lebensqualität hoch. (mit Material der dpa)
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