Steif und dennoch dämpfend 10.10.2024, 12:29 Uhr

Neues Verbundmaterial lässt Lärm und Vibrationen verstummen

Ein neues Verbundmaterial von der ETH Zürich dämpft Lärm und Vibrationen effektiv. Es vereint Steifigkeit mit Dämpfung und bietet vielseitige Anwendungsmöglichkeiten – nicht nur in der Industrie.

Ioanna Tsimouri hat ein dämpfendes und dennoch steifes Laminat erfunden, das sie zum Testen fallen lässt.

Ioanna Tsimouri hat ein dämpfendes und dennoch steifes Laminat erfunden, das sie zum Testen fallen lässt.

Foto: Michel Büchel / ETH Zurich

Lärm und Vibrationen stellen in vielen industriellen Anwendungen eine Herausforderung dar. Sie können nicht nur Maschinen schädigen, sondern beeinträchtigen auch das Wohlbefinden der Menschen in ihrer Umgebung. Ein neues Verbundmaterial, das steife und gleichzeitig dämpfende Eigenschaften kombiniert, könnte eine Lösung bieten. Die Anwendungsmöglichkeiten reichen von Fensterscheiben über Maschinengehäuse bis hin zur Luftfahrt, und das Material ist recycelbar und skalierbar.

Das Problem: Lärm und Vibrationen als technische Herausforderung

In vielen Maschinen und technischen Anwendungen, wie Kompressoren, Klimaanlagen oder Zügen, treten Lärm und Vibrationen auf, die störend und potenziell schädlich sind. Vibrationen können Strukturen und Materialien im Laufe der Zeit schwächen, was zu einem erhöhten Verschleiß und einer verkürzten Lebensdauer der betroffenen Teile führt. Doch auch der Lärm selbst ist ein Problem: Er beeinträchtigt das Wohlbefinden von Menschen und kann auf Dauer zu gesundheitlichen Problemen führen.

Bisherige Lösungen greifen auf dämpfende Materialien wie Gummi, Schaumstoffe oder mechanische Stoßdämpfer zurück. Doch diese Ansätze haben ihre Grenzen: Sie machen Geräte oft schwerer, teurer und voluminöser. Zudem ist es nicht immer möglich, Vibrationen durch nachträglich angebrachte Dämpfungselemente effektiv zu kontrollieren.

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Die Lösung: Ein Material mit außergewöhnlichen Eigenschaften

Ingenieure und Materialforscher stehen vor der Herausforderung, ein Material zu entwickeln, das gleichzeitig steif und dämpfend ist – zwei Eigenschaften, die sich traditionell ausschließen. Steife Materialien bieten Stabilität und Tragfähigkeit, während dämpfende Materialien dafür sorgen, dass Schwingungen reduziert und Geräusche gemindert werden. Die Lösung schien lange unerreichbar, bis Forschenden der ETH Zürich ein entscheidender Durchbruch gelang.

Ioanna Tsimouri, die an diesem Projekt im Rahmen ihrer Doktorarbeit arbeitete, erklärt: „Wir haben es geschafft, ein Verbundmaterial zu entwickeln, das zwei normalerweise unvereinbare Eigenschaften in sich vereint: Es ist steif und gleichzeitig stark dämpfend.“ Dieser Erfolg basiert auf einer präzisen Kombination von steifen Materialien, wie Glas oder Silizium, und extrem dünnen, gummiartigen Schichten, die zwischen diesen starren Schichten eingebettet sind.

Technische Umsetzung: Die Rolle der Polymerschichten

Das Herzstück des neuen Verbundmaterials sind die ultradünnen gummiartigen Schichten, die aus einer Polydimethylsiloxan (PDMS)-Mischung bestehen. Diese Schichten übernehmen die Dämpfungsfunktion, indem sie Schwingungen absorbieren. Die Herausforderung bestand darin, die richtige Dicke dieser Schichten zu finden, um die optimale Balance zwischen Steifigkeit und Dämpfung zu erreichen.

In Zusammenarbeit mit dem Materialphysiker Andrei Gusev konnte das Team durch computergestützte Modelle berechnen, dass die gummiartigen Polymerschichten weniger als ein Prozent des gesamten Materialvolumens ausmachen dürfen. „Wenn die Polymerschicht zu dünn ist, ist der Dämpfungseffekt sehr gering. Wenn sie zu dick ist, verliert das Material seine Steifigkeit“, erläutert Tsimouri. Diese präzise Balance war der Schlüssel zur erfolgreichen Entwicklung des Materials.

Erfolgreiche Experimente im Labor

Nachdem die Berechnungen abgeschlossen waren, setzte das Team die Ergebnisse im Labor um. Die ersten Prototypen bestanden aus Glas- oder Siliziumplatten mit einer Dicke von 0,2 bis 0,3 Millimetern. Diese starren Schichten wurden durch wenige hundert Nanometer dünne gummiartige Schichten miteinander verbunden.

Die mechanischen und akustischen Eigenschaften des Materials wurden in umfangreichen Tests untersucht. In einem einfachen, aber aussagekräftigen Test ließ Tsimouri die Laminatplatten aus einer Höhe von 25 cm auf einen Tisch fallen und verglich die Dämpfungseigenschaften mit einer gleich großen Glasplatte. Das Ergebnis: Das neue Verbundmaterial dämpfte die Geräusche erheblich, während die Glasplatte laut auf den Tisch schlug und abprallte. „Mit diesem Test konnte ich zeigen, dass das Laminat Vibrationen und Lärm hervorragend dämpft“, sagt Tsimouri.

Potenzielle Anwendungen des neuen Verbundmaterials

Die vielseitigen Anwendungsmöglichkeiten des Materials sind beeindruckend. Es könnte in Fensterscheiben verwendet werden, um Lärm von außen zu reduzieren, oder in Maschinengehäusen, um Vibrationen zu minimieren. Besonders in der Luft- und Raumfahrt sowie in der Automobilindustrie sind Materialien gefragt, die sowohl leicht als auch dämpfend sind.

Auch im Bereich der Sensortechnik, wo empfindliche Messgeräte oft durch Vibrationen gestört werden, könnte das neue Material eine wichtige Rolle spielen. „Der globale Markt für Dämpfungsmaterialien ist riesig“, betonen die Forschenden, und sehen großes Potenzial in der Kommerzialisierung dieser Technologie.

Nachhaltige und skalierbare Lösung

Ein weiterer Vorteil des Materials ist seine Nachhaltigkeit. Sowohl Glas als auch Silizium sind recycelbar, und die verwendeten Polymerschichten bestehen aus so geringen Mengen, dass sie den Recyclingprozess nicht beeinträchtigen. Auch die Temperaturbeständigkeit des Materials ist bemerkenswert. Erst bei extrem niedrigen Temperaturen unter minus 125 Grad Celsius verliert das Polymer seine Dämpfungseigenschaften.

Zudem ist der Herstellungsprozess des Materials skalierbar. Walter Caseri, Professor an der ETH Zürich, erklärt: „Hersteller mit den richtigen Maschinen können das Laminat auch in Platten mit Abmessungen von mehreren Quadratmetern herstellen. Der Herstellungsprozess ist nicht so kompliziert.“

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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