Strom aus Braunkohle 06.07.2012, 11:00 Uhr

Braunkohlekraftwerke sollen flexibler werden

Die Energiewende hat die Stromerzeugung aus Braunkohle zuletzt befördert, weil die Leistung aus stillgelegten Kernkraftwerken zu ersetzen war. Um sich als „Partner der erneuerbaren Energien“ profilieren zu können, müssen sich die schwerfälligen Grundlast-Kraftwerke besser als bisher an die schwankende Einspeisung von Solar- und Windstrom anpassen.

Das Braunkohlekraftwerk Jänschwalde gehört zu den Gewinnern der Energiewende.

Das Braunkohlekraftwerk Jänschwalde gehört zu den Gewinnern der Energiewende.

Foto: Vattenfall

Das Braunkohle-Großkraftwerk Lippendorf bei Leipzig schickt seine mächtigen Wasserdampfwolken derzeit nur aus einem der beiden Kühltürme in den Himmel. Ein Kraftwerksblock steht still. Zwingt die zunehmende Einspeisung von Ökostrom ins Netz jetzt schon den Betreiber Vattenfall, seine Braunkohlekraftwerke teilweise abzuschalten? Keineswegs, ergibt eine Nachfrage. Vielmehr wird der dampflose Block S seit Anfang April einer Hauptrevision unterzogen. In diesen Tagen soll er wieder in Betrieb gehen und weiße Wolken in den Himmel schicken.

Vattenfalls Braunkohlekraftwerke profitieren von Energiewende

Vattenfalls Braunkohlekraftwerke in Lippendorf, Boxberg, Jänschwalde und Schwarze Pumpe gehören derzeit wohl sogar zu den Gewinnern der Energiewende. Im vergangenen Jahr 2011 produzierten sie 53 Mrd. kWh Strom. Das ist gegenüber 2010 ein Plus von 1,5 Mrd. kWh, gegenüber 2009 von 3 Mrd. kWh.

Der Energiekonzern erklärt dies allgemein mit „der Entwicklung des Strommarktes“. Ein Teil dieser Zuwächse dürfte auch darauf zurückzuführen sein, dass das Unternehmen seine Kernkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel bei Hamburg im Sommer 2007 wegen Sicherheitsmängeln stilllegen musste und seitdem mehr Grundlaststrom aus den Braunkohlekraftwerken braucht.

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Hinzu kam, dass mit dem Kernkraftmoratorium der Bundesregierung nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima im März 2011 weitere deutsche Kernkraftwerke abgeschaltet werden mussten. Dazu gehörten die beiden Blöcke des Energiekonzerns RWE im Kernkraftwerk Biblis.

Auch RWE reagierte mit einer steigenden Stromerzeugung in seinen Braunkohlekraftwerken, die von 2010 auf 2011 um 3 Mrd. kWh auf 68 Mrd. kWh zulegte. Dieser Trend gilt für die gesamte Branche: Insgesamt stieg die bundesweite Produktion von Braunkohlestrom um 5 % auf 153 Mrd. kWh, ermittelte der Statistikverein der Kohlenwirtschaft.

Braunkohlekraftwerke sind eigentlich auf stabile, hohe Leistung ausgelegt

Braunkohlekraftwerke sind eigentlich dafür ausgelegt, dass sie mit hoher Leistung stabil über einen langen Zeitraum gefahren werden. Mit dem Zubau von Ökostromanlagen, deren Strom vorrangig ins Netz gespeist werden muss, gerät dieses Grundprinzip ins Wanken. Denn nun müssen die konventionellen Kraftwerke ihre Leistung herunterfahren, wenn Solar- und Windanlagen viel Strom produzieren, und hochfahren, wenn an trüben Tagen kein Wind weht.

Aus technischer Sicht sind dafür eigentlich Gaskraftwerke am besten geeignet. Doch auch die Betreiber der weniger flexiblen Braunkohlekraftwerke wollen sich als „Partner der erneuerbaren Energien“ profilieren und so ihre Existenz sichern.

Mit welchen technischen Herausforderungen das verbunden ist, zeigt sich besonders deutlich im Netzgebiet von 50Hertz, das sich über Ostdeutschland und Hamburg erstreckt. Hier gibt es seit 2011 mehr erneuerbare als konventionelle Kraftwerkskapazitäten, wobei erneuerbare bereits 28 % des in der Regelzone verbrauchten Stroms erzeugten.

Um den gesetzlich verankerten Einspeisevorrang für Ökostrom zu gewährleisten, musste Vattenfall im Jahr 2011 in seinen drei Braunkohlekraftwerken Jänschwalde, Boxberg und Schwarze Pumpe 150-mal die Leistung absenken. 72-mal wurden Dampfkessel ganz abgeschaltet.

Jänschwalde wurde in den 80er-Jahren errichtet und verfügt in seinen sechs Blöcken über eine installierte Leistung von insgesamt 3000 MW. Die Mindestleistung eines 500-MW-Blocks in Jänschwalde gibt Vattenfall mit 180 MW an, wenn einer der beiden Kessel des Blocks abgeschaltet ist. Damit könnte das gesamte Kraftwerk maximal bis auf 1080 MW abgesenkt werden, ohne dass ein Block ganz außer Betrieb genommen werden müsste.

Es dauert etwa 1 h, bis ein 500-MW-Block von voller Leistung auf 180 MW heruntergefahren werden kann. Der umgekehrte Prozess ist schwieriger: Zwar braucht der Block nur 25 min, bis er mit dem noch aktiven Kessel eine Leistung von 270 MW erreicht, doch es sind 4 h nötig, bis auch der abgeschaltete zweite Kessel wieder voll in Betrieb ist und der Block mit voller Last gefahren werden kann.

Einsatz von Trockenbraunkohle soll Braunkohlekraftwerke flexibler machen

Eine Möglichkeit, seine Braunkohlekraftwerke besser regelbar zu machen, sieht Vattenfall im verstärkten Einsatz von Trockenbraunkohle, deren Heizwert zweieinhalbmal so hoch sein soll wie bei Rohbraunkohle. Um die Rohbraunkohle zu Trockenbraunkohle zu veredeln, wird Heizdampf aus dem Kraftwerksprozess genutzt. Die Techniker wollen den energiereicheren Brennstoff für das Stützfeuer im Kessel einsetzen und so die Mindestleistung eines 500-MW-Blockes auf bis zu 90 MW senken. Eine Investitionsentscheidung dafür hat Vattenfall allerdings bisher noch nicht getroffen.

Die moderneren Braunkohleblöcke des Unternehmens in Boxberg, Schwarze Pumpe und Lippendorf lassen sich schneller regeln, haben aber auch eine höhere Mindestlast als die Blöcke in Jänschwalde. So kann der Boxberger Block Q, der im Jahr 2000 in Betrieb gegangen war, von seiner Höchstlast bei 900 MW nur auf 630 MW heruntergefahren werden. Danach müsste er ganz abgeschaltet werden. Der neue Boxberger Block R, der voraussichtlich im Oktober den Dauerbetrieb aufnimmt, ist da schon besser: Vattenfall geht derzeit davon aus, dass sich der Block innerhalb von 20 min von der Höchstlast bei 675 MW auf eine Mindestlast von 330 MW herunterfahren lässt. Ebenso schnell soll er wieder seine Höchstlast erreichen.

Ähnlich flexibel hat RWE seine neuen Braunkohleblöcke mit optimierter Anlagentechnik (Boa) in Niederaußem und Neurath ausgelegt, die ihre Leistung mit einer Geschwindigkeit von 30 MW/min bis auf die Hälfte reduzieren können. Dabei ist der Boa-Block Niederaußem mit 1000 MW seit 2003 in Betrieb, die beiden gleich großen Boa-Blöcke in Neurath sollen den Dauerbetrieb bis Mitte August aufnehmen.

Wenn Ökostrom ins Netz drängt, gilt es konventionelle Kraftwerke zu drosseln

Auch RWE muss mitunter seine Braunkohlekraftwerksleistung in Nordrhein-Westfalen stark anpassen, wenn viel Ökostrom ins Netz drängt. Als Ende Januar eine Sturmfront für viel Windstrom sorgte, fuhr der Konzern den Anstieg und den Rückgang der Windeinspeisung mit seinen Anlagen nach. So reduzierte er am frühen Morgen des 22. Januars seine einsetzbare Braunkohleleistung von 8900 MW auf 4000 MW. Gleichzeitig senkte er die Kernkraftwerksleistung von 2588 MW auf 900 MW. Seine Steinkohle- und Gaskraftwerke hatte er komplett zurückgefahren, die Pumpen der Speicherkraftwerke komplett eingesetzt.

Insgesamt ist die Situation in Nordrhein-Westfalens Stromnetzen aber offenbar entspannter als in Ostdeutschland: Anders als Vattenfall muss RWE derzeit keine Dampfkessel wegen hoher Ökostromeinspeisung vollständig abschalten.

 

Ein Beitrag von:

  • Stefan Schroeter

    Stefan Schroeter verfasst fachjournalistische Berichte über die Energiewirtschaft.

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