Cockpit unter Stress – und Frauen schneiden besser ab
Pilotinnen bleiben unter Druck ruhiger und machen seltener Fehler – das zeigt eine neue Studie mit Simulatorflügen.

Laut einer neuen Studie von Forschern der University of Waterloo könnten Pilotinnen in Flugsituationen mit hohem Druck besser abschneiden als ihre männlichen Kollegen.
Foto: Smarterpix / 371819
Motorausfall, dichte Wolken, blinkende Warnleuchten – wenn es im Cockpit ernst wird, zählen kühler Kopf, klare Entscheidungen und präzise Handgriffe. Eine aktuelle Studie aus Kanada legt nun nahe, dass Pilotinnen in solchen Momenten oft besser abschneiden als ihre männlichen Kollegen.
Simulatorflüge unter Druck: Wer reagiert wie?
Im Zentrum der Untersuchung stand ein Flugsimulator. Zwanzig erfahrene Pilotinnen und Piloten – zehn Männer, zehn Frauen – absolvierten mehrere Übungsflüge. Darunter auch Szenarien mit unerwarteten Zwischenfällen wie Triebwerksausfällen oder komplizierten Landungen. Dabei trugen sie Eye-Tracking-Brillen, um ihren Blickverlauf zu analysieren.
„Wir können nicht davon ausgehen, dass zwei Piloten, die dasselbe sehen, auch gleich reagieren“, sagt Naila Ayala, Hauptautorin der Studie und Postdoktorandin an der University of Waterloo. Genau das untersuchte ihr Team: Wie reagieren Pilotinnen und Piloten, wenn Druck, Überraschung und Stress plötzlich Regie übernehmen?
Stresssituationen: Frauen mit stabilerer Flugleistung
Das Ergebnis: Obwohl beide Gruppen ähnlich lang geflogen sind und auf dieselben Anzeigen achteten, machten Frauen im Durchschnitt weniger Flugfehler, sobald das Stresslevel stieg. Ayala sagt: „Unsere Studie zeigt, dass Frauen in stressigen Flugsituationen möglicherweise besser in der Lage sind, die Kontrolle zu behalten und Entscheidungen zu treffen.“
Die Forschenden betonen, dass es dabei nicht um grundsätzliche Unterschiede im Können geht – sondern um reaktive Verhaltensmuster, die unter Druck zum Tragen kommen. Suzanne Kearns, Luftfahrtexpertin und Mitautorin der Studie, sieht in den Erkenntnissen eine Chance für die ganze Branche: „Wenn wir verstehen, wie verschiedene Menschen unter Druck reagieren, können wir bessere Trainingsprogramme für alle entwickeln.“
Warum bleiben manche kühler als andere?
Die Unterschiede in der Stressbewältigung führen zurück zu einem zentralen Begriff in der Luftfahrt: Situationsbewusstsein – oder englisch: situational awareness. Gemeint ist das Wissen darüber, wo man sich befindet, was gerade passiert und was als Nächstes geschehen könnte.
Dieses Bewusstsein lässt sich trainieren. Es wächst mit jeder Flugstunde, jeder bewältigten Aufgabe – und durch gezielte mentale Vorbereitung. So beschreiben es erfahrene Fluglehrerinnen und Fluglehrer: Wer typische Notfälle schon im Kopf durchgegangen ist, kann später schneller und klarer handeln.
Routine gegen Panik: Mentales Training zählt
Die Theorie hinter dem Verhalten in Stresssituationen lässt sich auch mit einem simplen Bild erklären: Wenn plötzlich eine Warnleuchte blinkt oder der Motor stottert, hilft es, innerlich einen Film ablaufen zu lassen – den Film, den man vorher „gedreht“ hat. Denn wer sich bereits gedanklich auf eine Notsituation vorbereitet hat, kann auf gespeicherte Abläufe zurückgreifen.
Ein Beispiel: Bei einem Triebwerksausfall kurz nach dem Start sollte die Pilotin oder der Pilot sofort wissen, welche Geschwindigkeit zum besten Gleitflug führt. Zeit, die Checkliste herauszuholen, bleibt nicht. Stattdessen müssen sogenannte Memory Items aus dem Kopf abrufbar sein – das sind zentrale Handgriffe, die man im Notfall automatisch abruft.
FORDEC: Entscheiden unter Druck
Ein in der Luftfahrt verbreitetes Modell zur Entscheidungsfindung ist das FORDEC-Modell. Es steht für:
- Facts: Was ist gerade passiert?
- Options: Welche Handlungsalternativen habe ich?
- Risks: Was sind die Risiken der einzelnen Optionen?
- Decision: Für welchen Weg entscheide ich mich?
- Execution: Wie setze ich ihn um?
- Check: Hat meine Entscheidung den gewünschten Effekt?
Gerade unter Druck hilft dieses Schema dabei, strukturiert zu denken – und nicht der Versuchung zu erliegen, sich in Sorgen oder Gedankenschleifen zu verlieren.
Lernen durch Simulation
Die kanadische Studie zeigt: Nicht alle Menschen reagieren gleich auf Druck. Doch alle können lernen, damit umzugehen. Auffrischungsflüge mit Fluglehrerinnen und Fluglehrern, das Durchspielen denkbarer Notsituationen oder das sogenannte Arm Chair Flying – also gedankliches Training im Sessel – gehören heute zu den anerkannten Methoden.
Und doch deuten die Daten darauf hin, dass Pilotinnen mit ihren Strategien in stressigen Momenten besonders effektiv agieren. Das wirft Fragen auf, wie das Training in Zukunft angepasst werden sollte.
Ausbildung braucht neue Maßstäbe
Die Studienautorinnen und -autoren fordern, dass die Pilotenausbildung nicht länger von einem einheitlichen Reaktionsmuster ausgehen sollte. Bisher wird in der Ausbildung oft das Verhalten des „durchschnittlichen Piloten“ als Maßstab genommen – was auch unbewusste Vorannahmen über Geschlecht enthalten kann.
„Diese Ergebnisse sind spannend, weil sie uns dazu zwingen, die Bewertung von Piloten zu überdenken“, sagt Ayala. Statt nur auf visuelle Aufmerksamkeit oder Flugstunden zu schauen, sollte künftig stärker auf Verhalten in Ausnahmesituationen geachtet werden – und auf die Fähigkeit, Ruhe zu bewahren.
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