Wolkenimpfen entschlüsselt: Wie Silberiodid Regen entstehen lässt
Die TU Wien zeigt erstmals, wie Wolkenimpfen mit Silberiodid auf Atomebene funktioniert. Lässt sich mit diesem Wissen Regen künftig noch besser erzeugen?
Ohne Wolken kein Regen – und manchmal hilft ein wenig Silberiodid nach. Forschende der TU Wien haben untersucht, was dabei auf atomarer Ebene passiert.
Foto: Smarterpix / BalazsKovacs
Die TU Wien zeigt erstmals im Detail, warum Silberiodid Wolken zur Eisbildung bringt: Nur die silberreiche, sechseckig rekonstruierte Oberfläche dient als wirksamer Startpunkt. Mit Rasterkraftmikroskopie und Quantenrechnungen wird sichtbar, wie Wassermoleküle andocken und eine Eisschicht bilden. Das erklärt, warum Wolkenimpfen manchmal wirkt und manchmal nicht — und liefert Anhaltspunkte für bessere Materialien und Verfahren zur Niederschlagserzeugung.
Inhaltsverzeichnis
Den Wolken auf die Sprünge helfen
Regen beginnt mit winzigen Wassertröpfchen. Warme Luft steigt auf, kühlt ab und Feuchte kondensiert. Aus vielen Tröpfchen werden größere. Sie stoßen zusammen, vereinen sich und fallen schließlich als Regen. In kälteren Wolkenschichten bilden sich zuerst Eiskristalle. Diese wachsen, werden schwerer, schmelzen beim Fallen und erreichen Sie als Tropfen. So weit die Kurzfassung.
Manchmal helfen wir der Wolke auf die Sprünge. „Wolkenimpfen“ heißt die Methode. Dabei bringen Einsatzkräfte kleine Partikel, meist Silberiodid, in geeignete Wolken. Diese Partikel dienen als Startpunkte für Eiskristalle. Daraus wachsen Schneeflöckchen. Sie werden größer, kippen in Regen über oder kommen als Schnee unten an.
Warum gerade Silberiodid?
Silberiodid hat eine kristalline Ordnung, die gut zur Struktur von Eis passt. Diese Ähnlichkeit war lange die Standarderklärung für seine Wirkung. Klingt logisch, blieb aber vage. Es fehlte der Beweis auf atomarer Ebene, welche Seite des Kristalls wirklich „arbeitet“.
Genau das hat ein Team der TU Wien jetzt nachgeholt. Mit hochauflösender Mikroskopie und Quantenrechnungen zeigt es: Nur eine bestimmte Oberfläche von Silberiodid ist ein guter „Eiskeim“. Die andere bremst sogar.
Zwei Seiten, zwei Geschichten
„Silberiodid bildet hexagonale Strukturen mit derselben sechskantigen Symmetrie, die man auch von Schneeflocken kennt“, sagt Jan Balajka. „Auch die Abstände zwischen den Atomen ähneln jenen in Eiskristallen. Lange Zeit nahm man an, dass diese Ähnlichkeit der Struktur erklärt, warum Silberiodid ein so effizienter Kristallisationskeim für Eis ist. Eine genauere Untersuchung zeigt jedoch, dass der Mechanismus weitaus komplexer ist.“
Die Forschenden haben den Kristall aufgespalten und beide entstehenden Oberflächen betrachtet: eine silberreiche und eine jodreiche. „Wir haben herausgefunden, dass sich beide Oberflächen umordnen, allerdings auf völlig unterschiedliche Weise“, sagt Johanna Hütner. Die silberreiche Seite behält eine sechseckige Anordnung bei.
Sie ist eine ideale Vorlage für den Start einer Eisschicht. Die jodreiche Seite baut dagegen eine rechteckige Ordnung auf. Die passt nicht mehr zur sechskantigen Geometrie von Eis. „Nur die Silber-terminierte Oberfläche trägt zur Keimbildung bei“, so Balajka. Entscheidend ist also nicht das Innere des Kristalls, sondern die präzise Atomordnung an der Oberfläche.
Blick in die Atomebene: wie man das herausfindet
Das Team arbeitete unter Ultrahochvakuum und bei sehr niedrigen Temperaturen. Wasser wurde dosiert auf frische Silberiodid-Oberflächen aufgebracht. Mit nichtkontaktierender Rasterkraftmikroskopie sahen die Forschenden einzelne Atome und sogar die ersten Wassermoleküle in der Eisschicht. „Eine der größten Herausforderungen war, dass alle Experimente in völliger Dunkelheit stattfinden mussten“, erklärt Hütner.
Silberiodid reagiert stark auf Licht; nur gelegentlich half rotes Licht bei der Bedienung. Parallel dazu liefen Dichtefunktionaltheorie-Rechnungen und aufwendigere RPA-Berechnungen, um die günstigsten Anordnungen der Atome zu bestimmen. „Mit diesen Simulationen konnten wir berechnen, welche Anordnungen von Atomen energetisch am günstigsten sind“, sagt Andrea Conti.
Das Ergebnis: Auf der silberreichen Seite bildet Wasser ein zusammenhängendes, sechseckiges Muster. Es kann von dort Schicht für Schicht weiterwachsen. Auf der jodreichen Seite entstehen nur vereinzelte, dreidimensionale Inseln. Ein kontinuierlicher Eisteppich bildet sich dort nicht.
Was das fürs Wolkenimpfen bedeutet
Damit ist klar: Die „Keimkraft“ von Silberiodid hängt zentral an der richtigen Oberfläche. Die silberreiche, hexagonal rekonstruierte Seite stimmt geometrisch mit Eis überein und bietet stabile Andockstellen für Wassermoleküle. Die jodreiche, rechteckig rekonstruierte Seite stört dieses Matching.
Für die Praxis heißt das: Nicht jede AgI-Partikeloberfläche wirkt gleich. Entscheidend ist die atomare Topographie, die die Partikel unter realen Bedingungen zeigen. Ulrike Diebold erläutert: „Eigentlich ist es erstaunlich, dass man sich so lange mit einer eher vagen, phänomenologischen Erklärung für die Nukleationseffekte von Silberiodid zufriedengegeben hat.
Klar ist aber auch: Wolken lassen sich nicht nach Belieben steuern. Für Wolkenimpfen gelten enge meteorologische Fenster. Es braucht die richtige Wolkenart, die passende Temperatur und genügend Feuchte. Doch das neue Verständnis der AgI-Oberflächen öffnet Türen. Es könnte helfen, Materialien zu entwerfen, die gezielter Eisbildung auslösen. Oder Partikel so herzustellen, dass die „richtige“ Oberfläche möglichst oft nach außen zeigt.
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