Was die Kläranlage von Mörfelden-Walldorf besser als andere kann
Kläranlage Mörfelden-Walldorf: Vierte Stufe entfernt Spurenstoffe und schützt Trinkwasser im Hessischen Ried.
Der Unterschied, den die vierte Reinigungsstufe ausmacht, ist im Kontrollbecken gut zu erkennen. Links ist das Wasser nach der dritten Reinigungsstufe zu sehen, was der üblichen Reinigung in den meisten Kläranlagen entspricht. Rechts ist das Wasser nach der vierten Reinigungsstufe zu sehen.
Foto: picture alliance/dpa | Lando Hass
Die Stadt Mörfelden-Walldorf im Rhein-Main-Gebiet steht für eine Klärtechnik, die über das Übliche hinausgeht. Während die meisten kommunalen Anlagen mit drei Reinigungsstufen arbeiten, hat die Kommune eine vierte Stufe eingebaut. Sie entfernt Spurenstoffe wie Arzneimittelreste, Kosmetika oder Pestizide. Damit schützt die Stadt nicht nur Flüsse, sondern auch das Grundwasser im Hessischen Ried. Fachleute sprechen inzwischen vom „MöWa-Verfahren“.
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Wie eine Kläranlage arbeitet
Bevor das Besondere in Mörfelden-Walldorf sichtbar wird, lohnt ein Blick auf das Grundprinzip. Jede kommunale Kläranlage arbeitet nach einem mehrstufigen Verfahren. Ziel ist es, Wasser so weit zu reinigen, dass es wieder in natürliche Gewässer eingeleitet werden darf.
- Zuerst folgt die mechanische Stufe. Rechen halten groben Müll zurück, Sandfang und Vorklärbecken trennen schwerere Partikel wie Kies oder Schlamm ab. Rund 30 % der Schmutzlast lassen sich so entfernen.
- Es schließt sich die biologische Stufe an. Hier arbeiten Mikroorganismen in Belebungsbecken. Unter Sauerstoffzufuhr bauen sie organische Stoffe wie Kohlenhydrate oder Fette ab. Anschließend sinken sie in Nachklärbecken als sogenannte Belebtschlammflocken ab. Das Ergebnis: etwa 90 % Reinigung.
- Die dritte Stufe nutzt chemische Verfahren. Mit Fällungsmitteln wie Eisen(III)chlorid lassen sich Phosphate und andere Stoffe ausfällen. Sie binden sich an Schlamm und können abgetrennt werden. Schwermetalle und weitere Substanzen werden ebenfalls entfernt.
Der dabei entstehende Schlamm wird in Faultürmen behandelt. Dort wandeln Bakterien ihn unter Luftabschluss in Methan und Kohlendioxid um. Das Gas liefert Energie für die Anlage. So wird aus Abfall ein Rohstoff.
Spurenstoffe – klein, aber gefährlich
Trotz dieser drei Stufen bleiben viele chemische Rückstände im Wasser. Medikamente wie Schmerzmittel oder Blutdrucksenker sind biologisch nur schwer abbaubar. Sie reichern sich in der Umwelt an und können Organismen schädigen.
Antibiotika fördern zum Beispiel Resistenzen bei Bakterien. Pestizide oder Korrosionsschutzmittel belasten Flüsse und Seen. Auch wenn es sich nur um kleinste Mengen handelt – in Fachkreisen spricht man von Spurenstoffen –, können die Auswirkungen erheblich sein.
„Bei Spurenstoffen geht es um kleinste Mengen. Wir holen rund fünf Tropfen aus einem Schwimmbecken heraus“, erklärt Mathias Stief, Abteilungsleiter Abwasser bei den Stadtwerken Mörfelden-Walldorf.
Die vierte Reinigungsstufe in Mörfelden-Walldorf
Genau hier setzt das „MöWa-Verfahren“ an. Die vierte Stufe ist äußerlich unscheinbar – eine Halle mit Silos und Becken. Doch im Inneren steckt aufwendige Technik.
Das Wasser durchläuft drei zusätzliche Schritte:
- Ozonung – Ozon spaltet chemische Verbindungen auf.
- Aktivkohlefilter – Spurenstoffe bleiben an der Oberfläche der Kohle hängen.
- Tuchfiltration – Reststoffe werden mechanisch zurückgehalten.
Mit dieser Kombination lassen sich mehr als 80 % des Schmerzmittels Diclofenac entfernen. Beim Korrosionsschutzmittel Benzotriazol sind es über 90 %.
„Wir wollen das Grundwasser und damit auch das Trinkwasserreservoir vor Spurenstoffen schützen“, sagt Bürgermeister Karsten Groß (CDU).
Warum gerade hier?
Mörfelden-Walldorf liegt im Hessischen Ried. Diese Region ist ein zentrales Trinkwasserreservoir für das Rhein-Main-Gebiet. Bis zu 40 % des Wassers stammen von hier. Gelangen Schadstoffe aus Kläranlagen in Flüsse, können sie ins Grundwasser sickern.
Deshalb waren die Anforderungen besonders hoch. Für die Kommune bedeutete das eine Investition von mehr als zehn Millionen Euro.
Seltene Technik – noch
Von rund 700 kommunalen Kläranlagen in Hessen arbeitet bisher nur eine Handvoll mit einer vierten Stufe. Neben Mörfelden-Walldorf ist Bickenbach dabei. Weitere Standorte wie Büttelborn, Langen und Weiterstadt bauen derzeit nach.
Bundesweit liegt der Anteil an Anlagen mit vierter Stufe bei gerade einmal 0,1 bis 0,2 %.
Nutzen und Kritik
Fachleute der Energie- und Wasserwirtschaft sehen die zusätzliche Reinigung positiv. Sie warnen aber auch vor einer Scheindebatte. „Mit jeder vierten Reinigungsstufe und der damit erreichten Verbesserung der Gewässerqualität wird die Diskussion von der eigentlich für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft entscheidenden Frage abgelenkt – wie können wir umweltverträglich produzieren und konsumieren?“, sagt Sebastian Exner vom Landesverband Hessen/Rheinland-Pfalz.
Die Sorge: Industrie und Gesellschaft könnten die Verantwortung für Schadstoffeinträge allein auf die Kläranlagen abwälzen.
Blick auf die EU
Auch auf europäischer Ebene spielt das Thema eine Rolle. Die Wasserrahmenrichtlinie schreibt einen „guten Zustand“ der Gewässer bis spätestens 2027 vor. Die kommunale Abwasserrichtlinie legt die Basis für Reinigungspflichten.
Eine Überarbeitung der Richtlinie sieht strengere Grenzwerte für Stickstoff und Phosphor vor. Neu ist auch die Pflicht zur vierten Reinigungsstufe – zunächst für große Anlagen, später auch für kleinere in sensiblen Gebieten. (mit dpa)
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