Intelligente Wälder 26.05.2025, 11:15 Uhr

So kommunizieren Fichten vor einer Sonnenfinsternis

Fichten reagieren nicht nur auf Sonnenfinsternisse – sie synchronisieren ihre Signale Stunden zuvor und warnen so den gesamten Wald.

Fichtenwald

Bereits Stunden vor einer Sonnenfinster synchronisieren Fichten ihre Signale. Der übrige Wald weiß dann, dass bald das Licht weg ist.

Foto: PantherMedia / alexkoral (YAYMicro)

Wie reagieren Bäume auf den plötzlichen Lichtverlust während einer Sonnenfinsternis? Diese Frage stand im Zentrum einer ungewöhnlichen internationalen Studie. Das Ergebnis überrascht: Fichten senden bereits Stunden vor dem Ereignis bioelektrische Signale aus – und zwar nicht zufällig, sondern synchron. Ein ganzer Wald scheint sich regelrecht abzustimmen. Das legt nahe, dass Bäume nicht nur individuell auf Umweltveränderungen reagieren, sondern sich auch gegenseitig warnen und aufeinander abstimmen können.

Die Studie: Ort, Methode, Team

Das Forschungsteam setzte in einem Waldgebiet der italienischen Dolomiten spezielle Sensoren ein. Diese zeichneten die elektrische Aktivität mehrerer Fichten auf – sowohl vor, während als auch nach einer Sonnenfinsternis. Entwickelt wurden die robusten Messgeräte von einem Team um Professor Alessandro Chiolerio vom Italian Institute of Technology sowie Forschende aus Großbritannien, Spanien und Australien.

„Im Grunde genommen beobachten wir das berühmte ‚Wood Wide Web‘ in Aktion“, sagt Professor Monica Gagliano von der australischen Southern Cross University.

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Was genau wurde gemessen?

Bei der Untersuchung ging es nicht um den Austausch chemischer Stoffe über Wurzeln oder Pilznetzwerke. Stattdessen stand die bioelektrische Aktivität im Fokus. Pflanzen erzeugen Spannungsunterschiede – beispielsweise an der Blattoberfläche oder im Stamm. Diese elektrischen Muster verändern sich bei Reizen wie Licht, Temperatur oder Luftfeuchtigkeit.

Vor der Sonnenfinsternis wurden die gemessenen Signale zunehmend synchroner – die elektrischen Aktivitäten einzelner Bäume glichen sich also messbar an. Während der Finsternis war die Synchronisation besonders stark ausgeprägt.

Der Wald als System – nicht als Summe von Einzelbäumen

Professor Chiolerio bringt es auf den Punkt: „Wir sehen den Wald nun nicht mehr als eine bloße Ansammlung von Individuen, sondern als ein Orchester phasenkorrelierter Pflanzen.“ Das bedeutet: Die Bäume handeln nicht unabhängig voneinander, sondern verhalten sich wie ein abgestimmtes Ensemble. Ein äußerer Impuls – wie das bevorstehende Abdunkeln durch eine Sonnenfinsternis – löst eine Art kollektive Reaktion aus, lange bevor das Ereignis tatsächlich eintritt.

Warum reagieren manche Bäume früher?

Besonders auffällig: Ältere Bäume begannen deutlich früher mit ihrer Reaktion. Das legt nahe, dass sie über eine Art Umweltgedächtnis verfügen. Die Forschenden vermuten, dass sie frühere Finsternisse „erinnert“ haben könnten und somit jüngere Exemplare im Umfeld beeinflussen – etwa durch elektrische Impulse oder feine Schwankungen im elektromagnetischen Umfeld.

Professor Gagliano betont: „Die Tatsache, dass ältere Bäume zuerst reagieren und möglicherweise die kollektive Reaktion des Waldes steuern, spricht Bände über ihre Rolle als Speicher für vergangene Umweltereignisse.“

Kommunikation ohne Worte – wie funktioniert das?

Die genaue Art der Signalweitergabe ist nicht abschließend geklärt. Klar ist jedoch: Es findet kein klassischer Stoffaustausch statt. Stattdessen arbeiten die Forschenden mit Konzepten der Komplexitätstheorie und sogar der Quantenfeldtheorie, um die beobachtete Synchronisation zu beschreiben.

Es geht um feine elektrische Impulse und Muster, die sich innerhalb von Minuten bis Stunden über mehrere Bäume hinweg angleichen. Vergleichbare Phänomene sind aus der Neurobiologie bekannt – dort spricht man von Phasenkopplung neuronaler Netzwerke.

Was bedeutet das für den Walderhalt?

Die Ergebnisse liefern neue Argumente für den Schutz alter Wälder. Diese sind nicht nur Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten, sondern möglicherweise auch „Gedächtnisträger“ des Ökosystems. Alte Bäume könnten als Informationsspeicher fungieren und jüngeren Bäumen beim Umgang mit Umweltveränderungen helfen.

„Diese Entdeckung unterstreicht die Bedeutung des Schutzes älterer Wälder, die als Säulen der Widerstandsfähigkeit des Ökosystems dienen“, so Professor Gagliano.

Wenn Akazien vor Giraffen warnen

Nicht nur Fichten kommunizieren miteinander, sondern auch andere Bäume. So warnen Akazien ihre Artgenossen vor möglichen Fressfeinden, indem sie einen speziellen Duftstoff freisetzen.

Nehmen andere Akazien diesen Duft war, lagern sie Bitterstoffe in ihren Blättern ein. Diese werden dann für Giraffen und andere Pflanzenfresser ungenießbar. Solche Duftwarnsysteme wurden auch bei anderen Baumarten weltweit beobachtet

 

Pflanzenverhalten ähnelt dem von Tieren

Seit Jahren zeigen verschiedene Studien, dass Pflanzen auf Reize nicht nur reagieren, sondern sich dabei anpassen, lernen und sogar erinnern können. Die aktuelle Studie erweitert dieses Bild um ein neues Element: kollektive Reaktion durch bioelektrische Kommunikation – ohne zentralen Sender, ohne sichtbare Verbindung.

Dieses Verhalten erinnert an Tiergruppen, etwa Vogelschwärme oder Fischschwärme, die sich blitzschnell koordinieren, obwohl kein offensichtlicher Anführer vorhanden ist.

Konsequenzen für Forschung und Praxis

Für Ingenieur*innen, Biotechnolog*innen und Umweltplanende ergeben sich aus diesen Erkenntnissen spannende Fragen:

  • Wie lässt sich das Prinzip bioelektrischer Kommunikation technisch nutzbar machen?
  • Können solche pflanzlichen Netzwerke als natürliche Frühwarnsysteme dienen?
  • Welche Rolle spielen alte Bäume in urbanen Grünräumen?

Die Studie fordert dazu auf, Wälder nicht nur als Holzlieferanten oder CO₂-Speicher zu sehen, sondern als komplexe biologische Netzwerke mit interner Abstimmung und kollektiver Intelligenz.

Hier geht es zur Originalpublikation

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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