Klimaschutz per Sonnenschirm: Das riskante Spiel mit dem Himmel
Sonnenschutz für den Planeten? Partikel in der Stratosphäre sollen die Erde kühlen. Warum der Plan riskanter ist, als viele denken.
Kampf gegen die Erderwärmung: Wie schwer ist es, die Sonne zu verdunkeln und vor allem, welche Risiken bestehen dabei?
Foto: PantherMedia / Rott70
Die Idee wirkt wie aus einem Roman: Wir kühlen die Erde, indem wir winzige, sonnenlichtstreuende Partikel hoch oben in der Atmosphäre verteilen. Stratosphärische Aerosolinjektion, kurz SAI, heißt der Ansatz. Modellrechnungen gibt es zuhauf. Viele rechnen mit idealen Partikeln, idealen Mengen, idealen Einsatzorten. Doch der Weg von dieser Reißbrettwelt in die echte Stratosphäre ist steinig. Forschende der Columbia University betonen: Wer SAI ernsthaft erwägt, unterschätzt, wie schwer die Umsetzung wird – technisch, politisch und wirtschaftlich.
„Selbst wenn Simulationen von SAI in Klimamodellen ausgefeilt sind, sind sie zwangsläufig idealisiert. Die Forscher modellieren perfekte Partikel mit perfekter Größe. Und in der Simulation geben sie genau die Menge ein, die sie wollen, und zwar genau dort, wo sie sie haben wollen. Wenn man jedoch bedenkt, wo wir tatsächlich stehen, im Vergleich zu dieser idealisierten Situation, wird deutlich, wie unsicher diese Vorhersagen sind“, sagt V. Faye McNeill von der Columbia Climate School und Columbia Engineering.
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Wo, wann, wie viel? Der Einsatz entscheidet über die Wirkung
SAI ist kein globaler „Dimmer“, den Sie einfach herunterdrehen. Ort, Jahreszeit, Höhe und Menge beeinflussen die Wirkung stark. Besonders heikel ist der Breitengrad. Partikel über den Polarregionen könnten tropische Monsune aus dem Takt bringen. Ein Fokus auf den Tropen wiederum kann den Jetstream und die großen Luftströmungen verschieben, die Wärme in Richtung Pole transportieren. Das Timing zählt außerdem: Einsätze zu „falschen“ Jahreszeiten könnten regionale Wetterphasen empfindlich treffen.
„Es geht nicht nur darum, fünf Teragramm Schwefel in die Atmosphäre zu bringen. Es kommt auch darauf an, wo und wann man das tut“, sagt McNeill. Aus wissenschaftlicher Sicht bräuchte es also eine zentrale, koordinierte Steuerung. Realistisch ist das kaum: Weltpolitik, Interessen, Haftungsfragen – all das spricht gegen eine reibungslose globale Governance.
Der Vulkan als Vorbild – und als Warnung
Die meisten Studien orientieren sich am Vorbild Vulkan: Schwefelhaltige Gase bilden nach Oxidation und Kondensation Sulfataerosole, die Sonnenlicht streuen. Das funktioniert – kurzfristig. Nach dem Ausbruch des Pinatubo 1991 sank die globale Temperatur für einige Jahre um knapp 1 °C. Dieses Beispiel wird oft als Beleg genannt, dass SAI prinzipiell greifen kann.
Aber: Der „natürliche Feldversuch“ hatte Nebenwirkungen. In Südasien schwächte sich der Monsun ab, die Stratosphäre erwärmte sich, die Ozonschicht wurde dünner. Übertragen auf SAI heißt das: Wir handeln uns Risiken ein, die wir nicht einfach wegmoderieren. Saure Ablagerungen, Bodeneffekte, chemische Reaktionen in der Stratosphäre – das Paket kommt mit.
Plan B: Mineralische Alternativen – mit Haken
Um solche Risiken zu mindern, schlägt die Forschung alternative Materialien vor. Auf der Liste stehen Calciumcarbonat, Alpha-Aluminiumoxid, Titandioxid (Rutil/Anatas), Zirkoniumoxid und sogar Diamant. Optisch – also in Sachen Lichtstreuung – sehen einige Kandidaten attraktiv aus. Doch an anderer Stelle klemmt es.
„Wissenschaftler haben die Verwendung von Aerosolkandidaten diskutiert, ohne dabei zu berücksichtigen, inwieweit praktische Einschränkungen die Möglichkeit beeinträchtigen könnten, jährlich tatsächlich große Mengen davon zu injizieren“, sagt Miranda Hack, Aerosolwissenschaftlerin an der Columbia University. „Viele der vorgeschlagenen Materialien sind nicht besonders reichlich vorhanden.“
Diamant? Theoretisch gut, praktisch knapp. Zirkonia und Rutil-Titandioxid? Das Angebot könnte reichen, aber steigende Nachfrage würde Lieferketten und Preise stressen. Calciumcarbonat und Alpha-Aluminiumoxid? Hier gäbe es Reserven – doch die Technik spielt nicht mit.
Das kleine-große Problem: Partikel klumpen
Für SAI braucht es Partikel im Submikrometer-Bereich. In dieser Größenklasse verhalten sich mineralische Stäube ungern vorbildlich. Sie neigen zum Aggregieren, also zum Zusammenklumpen. Solche Aggregate streuen Licht anders – und oft weniger günstig – als fein verteilte Einzelpartikel. Dazu kommt: Über die Klimawirkung solcher Aggregate wissen wir noch weniger als über die von Sulfaten.
„Anstelle dieser perfekten optischen Eigenschaften hat man etwas viel Schlechteres. Im Vergleich zu Sulfat glaube ich nicht, dass wir unbedingt die diskutierten Klimavorteile sehen würden“, sagt Hack. Im Klartext: Selbst wenn das Rohstoff- und Kostenproblem lösbar wäre, bleibt die Frage, ob die physikalische Realität der Partikel das gewünschte „Verdunkeln“ überhaupt bringt.
Technik trifft Politik trifft Ökonomie
SAI ist nicht nur eine Ingenieuraufgabe. Es ist ein Governance-Projekt mit eingebautem Streitpotenzial. Wer entscheidet über Einsatzorte? Wer haftet für Dürren oder Überschwemmungen, die möglicherweise als Nebenwirkung auftreten? Wie verhindern Sie, dass einzelne Länder oder Akteure vorpreschen? Und wie sichern Sie Finanzierung, Logistik und langfristige Betreuung? All das sind offene Baustellen.
„Bei der solaren Geoengineering geht es vor allem um Risikoabwägungen“, sagt Gernot Wagner, Klimaökonom an der Columbia Business School. Seine Einschätzung zu den bisherigen Modellwelten ist nüchtern: „Es wird nicht so kommen, wie es 99 % dieser Studien modellieren.“
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