Geoengineering-Lösungen in Polargebieten unter der Lupe
Studie zeigt: Fünf bekannte Geoengineering-Vorschläge für die Polarregion sind teuer, riskant und keine Lösung für die Klimakrise.
Mächtige Gletscher in der Antarktis – sie schmelzen schneller, als neue Geoengineering-Ideen wirken könnten.
Foto: PantherMedia / johnref
Die Arktis und die Antarktis sind Sehnsuchtsorte für Forschende – und Sorgenkinder zugleich. Dort liegt ein Großteil des weltweiten Eises, dort entscheidet sich das Schicksal des Meeresspiegels. Kein Wunder also, dass Ingenieure und Klimastrategen seit Jahren über technische Lösungen nachdenken, um das Schmelzen aufzuhalten.
Die Ideen klingen spektakulär: künstlich verdicktes Meereis, gigantische Vorhänge im Ozean oder Schwefelpartikel in der Atmosphäre. Eine aktuelle Bewertung, erschienen in Frontiers in Science, hat diese Ansätze nun auf den Prüfstand gestellt. Das Ergebnis ist ernüchternd: Keiner der Vorschläge kann die Krise lösen – viele würden sie sogar verschärfen.
„Diese Ideen sind oft gut gemeint, aber sie sind fehlerhaft“, sagt Prof. Martin Siegert von der Universität Exeter. „Die Umsetzung eines dieser fünf Polarprojekte würde sich wahrscheinlich nachteilig auf die Polarregionen und den Planeten auswirken.“
Inhaltsverzeichnis
Trick Nummer 1: Schwefelpartikel am Himmel
Stratosphärische Aerosolinjektionen, kurz SAI, sollen Sonnenlicht reflektieren. Winzige Partikel, meist Schwefel, würden in großer Höhe freigesetzt, um die Erde zu kühlen. Am Computer sieht das gut aus – in der Realität nicht.
Bislang gibt es nur Simulationen. Kein einziger großflächiger Test wurde durchgeführt. Forschende warnen: Mit den Partikeln könnten sich auch die chemischen Prozesse in der Atmosphäre ändern. Im schlimmsten Fall leidet die Ozonschicht, die uns vor UV-Strahlung schützt. Außerdem wäre der Effekt global – selbst Regionen ohne Zustimmung würden die Folgen spüren.
Und: Wer einmal mit dem Sprühen beginnt, darf kaum aufhören. Wird die Maßnahme abrupt gestoppt, droht ein sprunghafter Temperaturanstieg.
Trick Nummer 2: Vorhänge im Meer
Die Idee klingt nach Science-Fiction: Riesige flexible Wände, am Meeresboden verankert, sollen verhindern, dass warmes Wasser unter die Schelfeise strömt. So ließe sich das Schmelzen verzögern.
Doch die Bauten wären gigantisch. Für ein 80 Kilometer langes Bauwerk rechnen die Autor*innen der Studie mit Kosten von rund 80 Milliarden US-Dollar – über zehn Jahre. Und selbst das sei wohl zu niedrig geschätzt.
Neben den Kosten kommt ein ökologisches Problem: Meerestiere wie Wale, Robben und Seevögel wären in ihren Wanderungen gestört. Lebensräume würden zerschnitten. Statt Stabilität gäbe es Unsicherheit.
Trick Nummer 3: Eis dicker machen
Manche Vorschläge zielen direkt auf das Meereis. So könnte Wasser aus dem Ozean nach oben gepumpt und auf der Oberfläche verteilt werden. Im Winter gefriert es und macht die Eisschicht stärker. Andere Ideen setzen auf winzige Glaskügelchen, die das Sonnenlicht reflektieren und so das Schmelzen bremsen sollen.
Klingt clever, hat aber Tücken. Das zusätzliche Gewicht würde enorme Pumpanlagen erfordern – mitten in der unwirtlichen Arktis. Die Kügelchen könnten das Eis sogar verdunkeln, statt es heller zu machen. Außerdem wäre der Aufwand riesig. Für ein nennenswertes Ergebnis müsste die Fläche enorm groß sein.
„Nur eine rasche Dekarbonisierung kann dies ohne zusätzliche Risiken erreichen“, betonen die Autoren der Studie.
Trick Nummer 4: Wasser unter dem Eis abpumpen
Unter vielen Gletschern sammelt sich Wasser. Es wirkt wie Schmieröl und beschleunigt den Eisfluss ins Meer. Eine Idee lautet daher: Abpumpen und so das Gleiten verlangsamen.
Doch schon kleine Pilotversuche zeigen die Schwierigkeiten. Bohrungen ins Eis sind teuer, Treibstoff müsste in entlegene Regionen gebracht werden. Ein Leck würde das empfindliche Ökosystem unter dem Eis mit Schadstoffen belasten. Außerdem bleibt die Frage, wohin mit dem abgepumpten Wasser.
Trick Nummer 5: Dünger im Ozean
Kleine Algen im Meer – das sogenannte Phytoplankton – nehmen CO₂ auf. Stirbt es ab, sinkt ein Teil davon in die Tiefe. Warum also nicht nachhelfen und Eisen ins Wasser kippen? Damit könnte man das Wachstum anregen und so mehr Kohlenstoff binden.
Versuche gibt es seit Jahren. Doch die Ergebnisse sind unklar. Manche Arten gedeihen, andere verschwinden. Das Gleichgewicht der Ozeane gerät durcheinander. Zudem bleibt unsicher, wie viel CO₂ tatsächlich langfristig im Tiefenwasser gespeichert bleibt.
Milliarden für wenig Wirkung
Die Studie rechnet vor: Keine der Ideen ist derzeit praktisch erprobt. Gleichzeitig würde jede mindestens 10 Milliarden US-Dollar kosten, bevor sie überhaupt Wirkung zeigen könnte. Die Autor zweifeln, dass dieser Aufwand rechtzeitig hilft, um die Klimaziele bis 2050 zu erreichen.
Hinzu kommt: Solche Projekte könnten als Ausrede dienen. Politiker*innen oder Unternehmen könnten sich zurücklehnen und sagen: Wir brauchen weniger Emissionssenkung, schließlich gibt es ja technische Lösungen.
„Die Mitte des Jahrhunderts rückt näher, aber unsere Zeit, unser Geld und unser Fachwissen sind zwischen evidenzbasierten Netto-Null-Bemühungen und spekulativen Geoengineering-Projekten aufgeteilt“, warnt Prof. Siegert.
Politik und Recht hinken hinterher
Auch das internationale Regelwerk passt nicht. Für die Aerosolinjektionen und das Meereismanagement gibt es keine klare Zuständigkeit. Ozeandüngung wird zwar teilweise durch UN-Regeln eingeschränkt, aber nicht in dem Maßstab, wie er für einen ernsthaften Effekt nötig wäre.
Neue Strukturen wären erforderlich, ebenso wie internationale Abkommen. Doch allein solche Verhandlungen dauern Jahre – Zeit, die das Klima nicht hat.
Fokus auf das, was funktioniert
Die Autoren betonen: Forschung zu Geoengineering ist nicht verboten. Aber sie darf nicht ablenken. „Es ist entscheidend, dass wir sofortige, evidenzbasierte Klimaschutzmaßnahmen nicht durch noch unbewiesene Methoden ersetzen“, sagt Dr. Heidi Sevestre vom Arctic Monitoring and Assessment Programme.
Was wirkt, ist längst bekannt: fossile Energien reduzieren, erneuerbare Energien ausbauen, Wälder schützen. „Die globale Erwärmung wird sich wahrscheinlich innerhalb von 20 Jahren nach Erreichen der Netto-Null stabilisieren“, sagt Prof. Siegert.
Das klingt wenig spektakulär – ist aber der sicherste Weg.
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