Arktische Tiefsee: Rekordfund aus Methan, Öl und Leben
3640 m tief: Expedition findet Methan, Öl und Leben am Meeresboden der Arktis. Bedeutung für Forschung und Governance.
Aufnahme eines teilweise eingestürzten Gashydrat-Hügels im Molloy Deep (Freya-Hügel), wo freiliegende Gashydrate unter der Sedimentdecke sichtbar sind.
Foto: UiT / Ocean Census / REV Ocean, Creative Commons BY-ND 4.0 (DE)
Die Tiefsee der Arktis gilt als einer der am wenigsten erforschten Räume des Planeten. Extreme Kälte, hoher Druck und monatelange Dunkelheit machen systematische Forschung schwierig. Dennoch wächst der Druck, diesen Raum besser zu verstehen. Denn unter dem Eis liegen Rohstoffe, sensible Ökosysteme und Prozesse, die den globalen Kohlenstoffkreislauf beeinflussen.
Während der Expedition „Ocean Census Arctic Deep – EXTREME24“ ist Forschenden nun ein Fund gelungen, der diese Gemengelage neu einordnet. In 3640 m Tiefe haben sie in der Grönlandsee die bislang tiefste bekannte Gas-Hydrat-Kaltquelle nachgewiesen. Der sogenannte Freya-Hydrat-Hügel liegt am Molloy Ridge, einer tektonisch aktiven Zone nahe der Framstraße.
Inhaltsverzeichnis
Ein Kaltquellensystem jenseits bisheriger Grenzen
Gas-Hydrat-Kaltquellen entstehen dort, wo Methan aus dem Untergrund austritt und sich unter hohem Druck und niedrigen Temperaturen mit Wasser zu eisähnlichen Strukturen verbindet. Solche Systeme waren bislang vor allem aus Tiefen von weniger als 2000 m bekannt. Der Fund in mehr als 3600 m verschiebt diese Grenze deutlich.
Die Expedition stand unter Leitung der UiT – The Arctic University of Norway. Das Team kartierte mehrere kuppelförmige Strukturen, aus denen Methan austritt. Zusätzlich registrierten die Messinstrumente Spuren von Rohöl. Geochemische Analysen deuten darauf hin, dass es sich um thermogenes Gas handelt, also um Methan, das bei hohen Temperaturen tief in der Erdkruste entstanden ist.
Damit rücken Prozesse in den Fokus, die weit unterhalb der Sedimente ablaufen. Der Untergrund der Region ist tektonisch geprägt. Risse und Störungszonen ermöglichen es Fluiden, über große Distanzen aufzusteigen.
Methanfackeln durchqueren die Wassersäule
Besonders auffällig sind die sogenannten Methanfackeln. Dabei handelt es sich um Gasblasen, die aus dem Meeresboden austreten und mehrere Kilometer durch die Wassersäule aufsteigen. An den Freya-Hydrat-Hügeln wurden Fackeln beobachtet, die mehr als 3300 m hoch reichen. Solche Dimensionen sind weltweit selten dokumentiert.
Ein Teil des Methans löst sich auf dem Weg nach oben im Wasser oder wird von Mikroorganismen umgesetzt. Dennoch gilt Methan als stark wirksames Treibhausgas. Ob und in welchem Umfang solche Tiefseequellen langfristig zum Methanbudget beitragen, ist offen. Genau hier setzt die aktuelle Forschung an.
Leben ohne Licht, aber mit Energie
Trotz der extremen Tiefe ist das Gebiet biologisch aktiv. Rund um die Austrittsstellen leben Gemeinschaften, die nicht auf Sonnenlicht angewiesen sind. Sie nutzen chemische Energie aus Methan und Schwefelverbindungen. Fachlich spricht man von chemosynthetischen Ökosystemen.
Dokumentiert wurden unter anderem Röhrenwürmer aus der Gruppe der Sibogliniden, grabende Maldaniden, Schnecken und Amphipoden. Diese Organismen bilden komplexe Lebensgemeinschaften, die sich klar von der umgebenden Tiefsee abheben.

Freya-Gashydrat-Hügel mit unterschiedlichen Morphologien.
Foto: UiT / Ocean Census / REV Ocean, Creative Commons BY-ND 4.0 (DE)
Ein zentrales Ergebnis der Expedition ist die biogeografische Nähe zu hydrothermalen Quellen in der Arktis. Arten, die bislang nur dort vermutet wurden, tauchen auch an den Freya-Hydrat-Hügeln auf. Die Analyse leitete Jon Copley von der University of Southampton.
„Es gibt wahrscheinlich noch mehr sehr tiefe Gashydrat-Kaltquellen wie die Freya-Hügel, die in dieser Region darauf warten, entdeckt zu werden“, sagte Copley. „Die Zusammenhänge, die wir zwischen dem Leben an dieser Quelle und hydrothermalen Quellen festgestellt haben, deuten darauf hin, dass diese inselartigen Lebensräume geschützt werden müssen.“
Dynamische Strukturen statt stabiler Lagerstätten
Lange galten Hydratvorkommen als relativ stabile Gebilde. Die Beobachtungen am Molloy Ridge zeichnen ein anderes Bild. Hochauflösende Aufnahmen zeigen Hügel in verschiedenen Entwicklungsstadien. Einige wachsen, andere zeigen Anzeichen von Zerfall. Hydrate bilden sich, destabilisieren sich und brechen wieder zusammen.
Die Dokumentation erfolgte mit einem ferngesteuerten Unterwasserfahrzeug des Forschungsschiffs REV Ocean. Das ROV „Aurora“, betrieben von REV Ocean, ermöglichte präzise Probenahmen und Bildaufnahmen direkt am Meeresboden.
„Dies sind keine statischen Ablagerungen“, sagte Giuliana Panieri, Professorin an der UiT. „Es handelt sich um lebende geologische Strukturen, die auf tektonische Vorgänge, tiefen Wärmefluss und Umweltveränderungen reagieren.“
Ein natürliches Labor für den Kohlenstoffkreislauf
Die Freya-Hydrat-Hügel gelten aus Sicht der Forschenden als natürliches Labor. Hier lässt sich untersuchen, wie Methan unter extremen Bedingungen freigesetzt, gebunden oder umgesetzt wird. Das ist relevant für Modelle des globalen Kohlenstoffkreislaufs.
Besonders die Framstraße steht im Fokus. Sie verbindet den Arktischen Ozean mit dem Nordatlantik. Veränderungen der Wassertemperatur oder der Strömungen könnten langfristig auch ultra-tiefe Hydratsysteme beeinflussen. Ob sich dadurch Freisetzungsraten verändern, ist bislang ungeklärt.
Bedeutung für Arktis-Governance und Rohstoffdebatten
Der Fund fällt in eine Phase wachsender geopolitischer und wirtschaftlicher Interessen an der Arktis. Rohstoffe, neue Schifffahrtsrouten und mögliche Tiefseebergbau-Projekte rücken näher. Gleichzeitig fehlt für viele Regionen eine belastbare ökologische Datengrundlage.
Die Freya-Hydrat-Hügel liegen in einer Zone, die künftig für Exploration interessant werden könnte. Genau deshalb betonen die Beteiligten die Bedeutung vorsorglicher Regulierung.
„Das Verständnis dieser einzigartigen Lebensräume ist für den Schutz der biologischen Vielfalt und für verantwortungsvolle Entscheidungen in den Polarregionen notwendig“, betonte Panieri.
Programme wie der Nippon Foundation‑Nekton Ocean Census sollen genau diese Wissenslücken schließen. Ziel ist es, bislang unbekannte Lebensräume zu erfassen, bevor wirtschaftliche Nutzung Fakten schafft.
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