ESA bereitet Mission mit noch unbekanntem Komet als Ziel vor
Der Comet Interceptor ist eine europäische Raumsonde, die einen Kometen aus den Anfangszeiten des Sonnensystems untersuchen soll. Gebaut wird die Sonde jetzt. Starten soll die Mission in fünf Jahren.

Der Comet Interceptor der ESA wird die erste Mission sein, die einen Kometen aufsucht, der direkt aus den äußeren Bereichen des Sonnensystems kommt und Material mit sich führt, das seit der Entstehung der Sonne unberührt geblieben ist. Nach dem Start wird die Raumsonde im Weltraum „geparkt“, bevor sie einen geeigneten, unberührten Kometen abfängt. Sobald sich der Komet nähert, setzt die Hauptsonde zwei Sonden ab, um ihn gleichzeitig aus mehreren Richtungen zu beobachten.
Foto: ESA
In der Raumfahrt wird eigentlich nie eine Mission geplant und dann auf die Reise geschickt, wenn nicht von vornherein feststeht, wo es hingehen soll. Diesen erschreckend logischen Ablauf wollen die Europäer nun umdrehen: Sie bauen derzeit eine Sonde, wissen aber noch nicht, wohin sie sie schicken werden.
Kometen wie Halley oder Hale-Bopp sind ja ganz nett, aber nicht wirklich neu. Regelmäßig fliegen sie um die Sonne herum. Dabei lassen sie sich mit Fernrohren – oder sogar mit bloßem Auge – von Hobbyastronomen auf der Erde beobachten.
Jungfräulichkeit ist erwünscht
Aber bei jedem dieser Sonnenvorbeiflüge verändern sie sich. Der Sonnenwind bläst einen Teil ihrer porösen Hülle hinaus ins All. Deswegen haben sie längst den Großteil ihrer ursprünglichen Oberfläche verloren. Gleichzeitig lagern sich Staubteilchen aus dem Sonnensystem auf ihnen ab.
Dass nichts bleibt, wie es war, ist ein Problem für die Wissenschaftler. Denn was sie viel mehr reizen würde, wäre ein Komet außerhalb des Sonnensystems, der sich vielleicht sogar zum ersten Mal aufmacht in Richtung Sonne. „Es gibt Kometen, die sich seit den Anfängen des Sonnensystems nicht verändert haben“, betont Francesco Ratti vom europäischen Weltraumforschungszentrum ESTEC im niederländischen Noordwijk. Astronomen wüssten, dass sie da seien, denn bisweilen würden sie einen von ihnen auf seinem Weg ins innere Sonnensystem entdecken. „Aber wir konnten noch nie eines dieser Objekte aus der Nähe betrachten.“
Wenig Zeit zum Anlaufnehmen
Das könnte sich bald ändern – mit dem Comet Interceptor. Diese neue europäische Raumsonde soll solch einen Kometen untersuchen. „Denn diese Himmelskörper verraten uns, woraus das Sonnensystem am Anfang aufgebaut war“, so Ratti, der beim ESTEC als Nutzlastmanager die wissenschaftlichen Instrumente für den Comet Interceptor betreut. Das Problem bei diesem Vorhaben: Kometen von außerhalb des Sonnensystems bewegen sich rasend schnell. Zwischen ihrer Entdeckung und ihrer größten Annäherung an die Sonne liegen oft nur wenige Monate – zu wenig Zeit, um erst dann eine Raumsonde zu starten.
Lass dich überraschen!
Hinzu kommt: Bislang gibt es keinen Kometen, der jetzt schon für einen Besuch infrage käme. „Noch kennen wir keinen“, muss Francesco Ratti zugeben. „Wir werden sehen, was unser Ziel sein wird.“ Noch haben die Wissenschaftler fünf Jahre Zeit bis zum geplanten Start der Mission. „Und bis dahin dürften wir einige Kandidaten entdeckt haben“, hofft Ratti. Allerdings: Sie müssen erreichbar sein. Fliegen sie zu weit an der Erde vorbei, würde sie keine Sonde rechtzeitig erreichen.

Nach dem Start wird die Raumsonde im Weltraum „geparkt“, bevor sie einen geeigneten, unberührten Kometen abfängt. Sobald sich der Komet nähert, setzt die Hauptsonde zwei Sonden ab, um ihn gleichzeitig aus mehreren Richtungen zu beobachten.
Foto: Thales Alenia Space
Stillhalten bis zum Einsatz
Nach seinem Start soll der Comet Interceptor an einem Punkt im Sonnensystem, an dem sich die Anziehungskräfte von Erde, Sonne und Mond die Waage halten, ausharren und warten – so lange, bis etwas vorbeikommt. Dann erst beginnt die eigentliche Mission.
Europas Weltraumforscher vertrauen darauf, dass irgendwann ein Komet auftaucht, der von den Außenbereichen des Sonnensystems in Richtung Sonne fliegt und dabei an der wartenden Sonde vorbeikommt. Sobald dies geschieht, soll sich der Comet Interceptor dem Kometen auf etwa 1000 km annähern. „Im Weltraum ist das weniger als ein Katzensprung“, erklärt Troelz Denver von der Weltraumabteilung der Technischen Universität Dänemark, der an den Vorbereitungen der Mission beteiligt ist.
Beobachtungen unter Zeitdruck
Die 1000 km wähle Europas Weltraumagentur ESA aus Sicherheitsgründen. Denn um einen Kometen herum geht es drunter und drüber. Es werden Gas und Eispartikel ausgestoßen. „Sich in deren Nähe aufzuhalten, dürfte keine gute Idee sein“, findet Denver. „Trifft ein solches Objekt von nur wenigen Zentimetern Größe mit einer Geschwindigkeit von bis zu 300.000 km/h die Sonde, ist das ihr Ende.“
Genau das ist auch die Geschwindigkeit der Sonde. Sie und der Komet fliegen so schnell, dass sie nicht abbremsen kann, um ihn zu umkreisen und in Ruhe zu untersuchen. Die Zeit für Beobachtungen ist daher sehr knapp bemessen. „Wir haben weniger als eine Minute lang optimale Beobachtungsbedingungen, nur zum Zeitpunkt der größten Annäherung“, schränkt Troelz Denver ein. Zwar werde die Sonde auch kurz vorher und kurz danach Messungen anstellen. „Aber die wirklich interessanten Dinge müssen sehr schnell passieren.“

Der Comet Interceptor der ESA wird die erste Mission sein, die einen Kometen besucht, der aus den äußeren Bereichen des Sonnensystems kommt und Material mit sich führt, das seit der Entstehung des Sonnensystems unberührt geblieben ist.
Foto: ESA
Drei sehen mehr als eine
Um aus dieser kurzen Begegnung möglichst viel herauszuholen, soll der Comet Interceptor zwei Tochtersonden entlassen, die sich näher an den Kometen heranwagen würden. „Das Mutterschiff ist uns am wertvollsten“, versichert Francesco Ratti. Es sei am teuersten und es übertrage alle Daten zur Erde. Deswegen bleibe es in sicherer Entfernung. „Aber die beiden kleinen Sonden sind mutiger“, so der ESTEC-Wissenschaftler. Das Team wolle sie bis auf 400 km an den Kern des Kometen heranschicken. „Das ist zwar riskant, verspricht aber eine höhere wissenschaftliche Ausbeute.“
Die drei Sonden sollen den Kometen zeitgleich aus drei verschiedenen Perspektiven untersuchen: die Muttersonde in sicherer Entfernung und die beiden Tochtersonden in seiner Nähe. Dabei werden alle drei vor allem Bilder aufnehmen, das Magnetfeld des Kometen und seine Wechselwirkung mit dem Sonnenwind untersuchen.
Recycelbare Raumsonde?
Da die beiden kleineren Sonden außer einer Bordbatterie weder eine eigene Energieversorgung noch einen eigenen Antrieb haben, wird ihr Einsatz nur von kurzer Dauer sein. „Nach dem Vorbeiflug werden wir die kleinen Sonden verlieren“, glaubt Ratti. Das Mutterschiff aber sollte überleben. Vielleicht werden die Ingenieure es dann zu einem anderen Objekt schicken. „Wenn es noch funktionsfähig ist, könnten wir es erneut einsetzen.“
Noch nie zuvor hat die europäische Weltraumagentur ESA eine Mission mit so vielen Unbekannten gestartet. Der Comet Interceptor wird derzeit an mehreren europäischen Standorten zusammengebaut. Er soll noch im Laufe dieses Jahrzehnts ins All starten und dann – so die Hoffnung – in den 2030er-Jahren irgendeinen jungfräulichen Komet vom Rand des Sonnensystems vor die Linse bekommen. Ehrgeizige Ziele also für diese Weltraummission, die jetzt nur noch eins braucht – ein Ziel.
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