Die Sprache der Sonne: Solar Orbiter übersetzt Elektronen in klare Signale
Solar Orbiter enthüllt zwei Wege, wie die Sonne Elektronen ins All schickt – ein Rätsel, das Raumfahrt und Weltraumwetter betrifft.
Sonneneruption oder Massenauswurf? Solar Orbiter enthüllt, wie die Sonne Elektronen beschleunigt.
Foto: Smarterpix / vampy1
Manchmal wirkt die Sonne friedlich wie ein gemütliches Lagerfeuer am Himmel. In Wahrheit ist sie aber ein unruhiger Riese, der ständig Teilchen ins All schießt. Winzige Elektronen rasen dabei fast so schnell wie das Licht – und genau diese unsichtbaren Geschosse interessieren die ESA-Forschenden. Mit der Sonde Solar Orbiter haben sie die Spur der Elektronen zurückverfolgt. Ergebnis: Die Sonne hat gleich zwei Tricks auf Lager, um ihre Teilchen loszuwerden.
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Zwei Spuren führen ins Innere der Sonne
Die Daten zeigen: Es gibt nicht nur eine Sorte dieser Elektronen, sondern gleich zwei. Eine entsteht bei Sonneneruptionen – das sind explosionsartige Ausbrüche kleinerer Regionen auf der Sonnenoberfläche. Die andere kommt bei sogenannten koronalen Massenauswürfen (CMEs) zustande. Dabei schleudert die Sonne riesige Gaswolken ins Weltall.
„Wir sehen eine klare Trennung zwischen ‚impulsiven‘ Teilchenereignissen, bei denen diese energiereichen Elektronen in Form von Sonneneruptionen in Schüben von der Sonnenoberfläche abgeschossen werden, und ‚allmählichen‘ Ereignissen, die mit ausgedehnteren CMEs verbunden sind, bei denen über einen längeren Zeitraum eine größere Menge an Teilchen freigesetzt wird“, erklärt Alexander Warmuth vom Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP).
Ein Blick näher heran
Dass es diese beiden Gruppen gibt, war zwar schon länger bekannt. Doch erst Solar Orbiter konnte das klar bestätigen. Der Grund: Die Sonde wagt sich näher an die Sonne heran als frühere Missionen.
„Wir konnten diese beiden Gruppen nur identifizieren und verstehen, indem wir Hunderte von Ereignissen in unterschiedlichen Entfernungen von der Sonne mit mehreren Instrumenten beobachteten – etwas, das nur Solar Orbiter leisten kann“, sagt Warmuth. „Indem wir so nah an unseren Stern herankamen, konnten wir die Teilchen in einem ‚unberührten‘ frühen Zustand messen und so genau bestimmen, wann und wo sie an der Sonne entstanden sind.“
Wenn Elektronen trödeln
Überraschend war eine weitere Beobachtung: Elektronen lassen sich manchmal erst mit Verzögerung messen. Obwohl der Ausbruch schon stattgefunden hat, erreichen sie die Instrumente oft erst Stunden später.
„Es hat sich herausgestellt, dass dies zumindest teilweise damit zusammenhängt, wie sich die Elektronen durch den Weltraum bewegen – es könnte sich um eine Verzögerung bei der Freisetzung handeln, aber auch um eine Verzögerung bei der Erkennung“, erklärt ESA-Stipendiatin Laura Rodríguez-García. „Die Elektronen stoßen auf Turbulenzen, werden in verschiedene Richtungen gestreut und so weiter, sodass wir sie nicht sofort erkennen. Diese Effekte verstärken sich, je weiter man sich von der Sonne entfernt.“
Der Weltraum ist also keineswegs leer. Der Sonnenwind rauscht ständig durch das Sonnensystem und zieht das Magnetfeld der Sonne mit sich. Elektronen müssen sich durch dieses bewegte, chaotische Umfeld kämpfen. Klar, dass sie dabei abgelenkt, verzögert oder sogar ganz ausgebremst werden.
Was das für uns bedeutet
Für die Forschung sind diese Unterschiede entscheidend. Denn nicht alle Elektronen sind gleich gefährlich. Vor allem die, die bei CMEs entstehen, sind massenhaft vorhanden. Sie können Satelliten beschädigen oder sogar eine Gefahr für Astronautinnen und Astronauten werden.
„Dank Solar Orbiter lernen wir unseren Stern besser kennen als je zuvor“, sagt Daniel Müller, Projektwissenschaftler bei der ESA. „Während seiner ersten fünf Jahre im Weltraum hat Solar Orbiter eine Fülle von Ereignissen mit hochenergetischen Elektronen beobachtet. Dadurch konnten wir detaillierte Analysen durchführen und eine einzigartige Datenbank für die weltweite Gemeinschaft zusammenstellen.“
Vorhersagen für Sonnenstürme
Das Ziel dieser Arbeit liegt auf der Hand: bessere Vorhersagen für das sogenannte Weltraumwetter. Denn wie bei einem Gewitter auf der Erde gilt: Wer den Sturm früh erkennt, kann sich besser schützen.
„Erkenntnisse wie diese aus dem Solar Orbiter werden dazu beitragen, andere Raumfahrzeuge in Zukunft zu schützen, indem sie uns ein besseres Verständnis der energiereichen Teilchen der Sonne vermitteln, die unsere Astronauten und Satelliten bedrohen“, betont Müller.
Neue Missionen im Anflug
Die ESA denkt schon weiter. 2031 soll die Mission „Vigil“ starten. Sie wird von der Seite auf die Sonne blicken, die wir von der Erde aus nie sehen können. So könnten gefährliche Ausbrüche schon erkannt werden, bevor sie in unsere Richtung zeigen.
Noch früher, schon im nächsten Jahr, beginnt die Mission „Smile“. Sie soll untersuchen, wie die Erde auf den ständigen Sonnenwind reagiert – und wie unser Magnetfeld uns dabei schützt.
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