Comeback der Klimasatelliten: Besuch im Reinraum von OHB
Donald Trump will Kohlendioxid-Messungen aus dem Weltall unterbinden. Die EU baut nun ihrerseits die nötigen Fähigkeiten auf. Ein Besuch im Reinraum des Satellitenbauers OHB.
CO2M-Satellit im Reinraum: Jonathon Komadina (li.) ist Chefingenieur für das Programm beim Satellitenbauer OHB, Andrew Stock ist für Montage und Tests verantwortlich.
Foto: OHB
Leise surrt die dunkle runde Box vor sich hin. Ringsum sind auf einem großen Tisch Kabel verlegt und dünne Rohre, hier ein Controller, da ein kleiner Computer. Wie in einer Bastelwerkstatt – oder bei der Modelleisenbahn.
Nur hat das hier mit Zügen und Weichen nichts zu tun. Stattdessen mit Sternensensoren und Flugmechanik. Der Tisch steht im obersten Stockwerk eines Gebäudes beim Bremer Satellitenbauer OHB. Und die Installation auf dem Tisch ist ein sogenanntes Engineering Model, mit dem OHB die Funktionen der späteren Satelliten gewissermaßen in Trockenübungen simulieren kann. Die surrende Box ist ein Drallrad, mit dem ein Satellit im Orbit seine Orientierung ändern kann. Sie gaukelt dem Board-Computer vor, dass sich der Satellit aktuell dreht.

Wie in einer Bastelwerkstatt: Das sogenannte Engineering Model der CO2M-Satelliten ähnelt eher einer Modelleisenbahn als einem Satelliten. Das Modell wird für Trockenübungen genutzt.
Foto: OHB
Inhaltsverzeichnis
- Engineering Model dreht seine ersten Runden
- CO2M-Satelliten könnten US-Instrumente ersetzen
- Vermessung der Erde in zwei Tagen
- Was menschengemachtes Kohlendioxid entlarvt
- Parallelisierung in der Montage
- Testen, testen, testen – und bloß die Batterie schonen
- Standardplattform für Erdbeobachtungssatelliten
- Treibstoffreserven für den kontrollierten Absturz
- Erste Daten zur COP33
Engineering Model dreht seine ersten Runden
Das Engineering Model gehört zu den CO2M-Satelliten, die in den Bremer Computern ihre ersten Runden um die Erde drehen. Mit dem 620 Mio. € teuren CO2M-Trio, das auch Teil des Erdbeobachtungsprogramms Copernicus ist, will die EU Kohlendioxid in der Erdatmosphäre messen.
Nacheinander sollen drei Satelliten gestartet werden – und eine Lücke füllen, die der US-Präsident Donald Trump gerade in die Klimaforschung reißt.
Trump hat der US-Weltraumagentur Nasa befohlen, Abschaltpläne für die aktuell wichtigsten CO2-Messinstrumente im Weltraum zu entwickeln. Das sogenannte Orbiting Carbon Observatory (OCO) besteht aus einem Satelliten und einem Instrument, das an der Internationalen Raumstation installiert ist. Die OCO-Daten gelten in der Klimaforschung als Goldstandard; Trump, der Gold sonst nicht verachtet, passen sie offensichtlich nicht in die Agenda.
CO2M-Satelliten könnten US-Instrumente ersetzen
Die CO2M-Flotte ist keine Reaktion auf Trump; ihre Entwicklung ist lange vor Beginn der zweiten Präsidentschaft beschlossen worden. Aus Sicht der Klimaforschung ist das Datum der Inbetriebnahme – ab Ende 2027 – aber eine glückliche Fügung. Der OCO-Verlust wiegt jetzt etwas weniger schwer. „CO2M kann OCO vollumfänglich ersetzen und den Job schneller erledigen“, sagt Jonathon Komadina, der OHB-Chefingenieur für das Projekt.
Das Plus an Geschwindigkeit erklärt sich durch die größere Schwadbreite der CO2M-Satelliten. Darunter versteht man in der Satellitenindustrie die Breite des vom Sensor aufgenommen Bereichs. Bei CO2M sind das 250 km gegenüber 10,3 km bei OCO.
Vermessung der Erde in zwei Tagen
Ein weiterer Grund für die bessere Abdeckung liegt darin, dass drei Instrumente mehr sehen als zwei. Wenn der erste Satellit Ende 2027 den Betrieb aufnimmt, soll er alle elf Tage die gesamte Erdoberfläche scannen. Wenige Monate später – mit dann zwei Satelliten – soll das in fünf bis sechs Tagen möglich sein. Und 2029, nach dem Start des letzten Satelliten, in zwei bis drei Tagen. So können die Satelliten ständig vergleichsweise aktuelle Daten liefern, auch wenn bei einem Überflug mal eine Wolkendecke die Messungen verhindert.
Damit in diesem Fall nicht Datenmüll prozessiert, gespeichert und zur Erde hinuntergeschickt wird, sind die Satelliten jeweils mit dem Wolkensensor Clim ausgestattet. Dieser detektiert Wolken in den unteren und oberen Atmosphärenschichten über dem Schwad des Spektrometers. Wenn die Wolkendecke zu dick oder zu dicht ist, werden die Messungen automatisch gelöscht. Das spart Rechenpower auf den Satelliten.
Alle drei CO2M-Satelliten werden in einem sogenannten sonnensynchronen Orbit fliegen. Diese Orbits sind so konstruiert, dass der Einfallswinkel des Sonnenlichts nahezu konstant bleibt: Die Satelliten sehen jeden Punkt auf der Erdoberfläche, den sie überfliegen, „zur selben Zeit“. Auch wenn natürlich – technisch betrachtet – die Tageszeiten aufgrund der Einteilung der Zeitzonen und der Zeitverschiebungen variieren: Aus Sicht der Sonne sind sie konstant.
Satelliten, die in sonnensynchronen Orbits fliegen, liefern Daten mit einer hohen Vergleichbarkeit und werden deshalb häufig für Erdbeobachtungsmissionen ausgewählt. Im Fall der CO2M-Satelliten ist die Referenzzeit annähernd 11.30 Uhr vormittags.
Was menschengemachtes Kohlendioxid entlarvt
In einem entscheidenden Punkt gehen die Fähigkeiten der CO2M-Satelliten über die der OCO-Instrumente hinaus. Laut der europäischen Weltraumagentur ESA, die die Satelliten in Auftrag gegeben hat, wird es zum ersten Mal möglich sein, das von Menschen emittierte Kohlendioxid von jenem aus natürlichen Kreisläufen zu unterscheiden.
Natürlich emittiertes CO2 tritt in der Regel isoliert auf, also unbegleitet von anderen Treibhausgasen. CO2 aus Verbrennungsprozessen hingegen, das zum Beispiel von Kohle- oder Gaskraftwerken emittiert wird, verrät sich anhand des ebenfalls emittierten Stickstoffdioxids (NO2). Bei der Verbrennung reagiert auch eine Fraktion des Stickstoffs aus der Luft mit dem heißen Sauerstoff.
Jeder der drei Satelliten ist mit einem CO2I-Spektrometer ausgestattet, das sowohl die Spektrallinie des Kohlendioxids bei 15 μm als auch die des Stickstoffdioxids bei 400 nm aufzeichnen kann. So lassen sich hohe CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre eindeutig menschlicher Technik zuschreiben.
Parallelisierung in der Montage
Im Bremer Reinraum – erreichbar nur durch eine Luftschleuse – liegen die beiden ersten CO2M-Satelliten auf ihren Montagetischen. Hier drinnen herrscht ständiger Überdruck, damit Verunreinigungen mit der Luft hinausgeschubst werden. An den beiden Satelliten arbeiten die Teams verschiedener Zulieferer: Jeder Satellit ist aus einer Vielzahl an Subsystemen zusammengesetzt, die in strenger Taktung im Satellitenkörper installiert werden. Wo die Seitenwände noch fehlen, sind kilometerweise Kabel in fein säuberlich übereinandergelegten Strängen zu sehen.
Die Satelliten heißen hier, in Übereinstimmung mit den Konventionen der internationalen Raumfahrtindustrie, FM1 und FM2. FM steht für Flight Model und markiert: Diese Hardware wird in den Weltraum fliegen. Anfangs hinkte FM2 etwas hinter FM1 her: Gemessen am Bearbeitungszustand, trennten drei Monate die beiden Satelliten. Jetzt sind es nur noch zwei Wochen.
Für OHB ist es ein Vorteil, wenn die Satelliten ähnlich weit sind, weil die Zulieferer nicht mehrfach anreisen müssen. „Die Montageteams können hintereinander an den beiden identischen Satelliten arbeiten“, sagt Andrew Stock, der die Montage und die Tests leitet.
Testen, testen, testen – und bloß die Batterie schonen
Neben FM2 sind in einer Reihe fünf schrankähnliche Computer aufgebaut, die sie hier Racks nennen. Je einer mimt das Bodensegment, die Bahnregelung, die Drallräder und die Solarpanels. Der fünfte ist eine simulierte Batterie: In Wahrheit hängt der Satellit am Stromnetz. „Wir achten penibel darauf, die Batterie beim Testen nicht abzunutzen“, sagt Stock. Die Racks sind für die ständigen Tests wichtig: So können die Schnittstellen nach außen getestet werden, ohne dass das Außen im Reinraum sein muss. Von Solarpanels fehlt zum Beispiel noch jede Spur.
Ende 2025 sollen die beiden Satelliten fertig sein. Anfang 2026 folgt dann ein entscheidender Schritt. Satelliten bestehen in der Regel aus zwei Komponenten: der Plattform mit der Stromversorgung, den Computern, den Antrieben und Systemen zur Lageregelung, der Funktechnik einerseits und der Nutzlast mit den Messinstrumenten andererseits. OHB ist verantwortlich für die Plattform, die so etwas wie das Gerüst des Satelliten ist. Die Nutzlast wird vom französisch-italienischen Satellitenbauer Thales Alenia zugeliefert und Anfang 2026 in die Plattform integriert.
Ende 2026 liefert OHB den ersten Satelliten an das Estec. Das ist eine ESA-Einrichtungen im niederländischen Noordwijk, in der Satelliten vor dem Start durchgecheckt werden. Hier führt die ESA Vibrationstests und Schocktests durch. Sie setzt den Satelliten in einer Thermalvakuumkammer orbitaler Kälte aus. Kurz: Die ESA simuliert die Belastungen beim Start und im Betrieb in der Erdumlaufbahn. Wenn der erste Satellit die Qualifizierung erhält, werden der zweite und dritte nur noch abgespeckt getestet.
Standardplattform für Erdbeobachtungssatelliten
OHB ist erst vor Kurzem in die Riege der großen drei europäischen Satellitenbauer vorgestoßen. Bis in die 2010er-Jahre gingen alle nennenswerten Aufträge entweder an Thales Alenia oder an Airbus.
Im Satellitenbau ist es ein großer Vorteil, mehrere ähnliche Aufträge zu erhalten – oder mit ihnen rechnen zu können. „Früher haben wir für jeden gewonnenen Auftrag eine eigene Plattform entwickelt. Jetzt haben wir eine Standardplattform für sonnensynchrone Orbits“, sagt Ann-Theres Schulz, die Projektleiterin für die EOS-Plattform. Satelliten von der Stange also, keine Unikate mehr.

Ann-Theres Schulz überwacht die Simulation des Engineering Models. Sie hat die Plattform der CO2M-Satelliten, EOS, als Projektleiterin mitentwickelt.
Foto: OHB
Die Plattform EOS soll der Standard für Erdbeobachtungsmissionen werden. Neben den drei CO2M-Satelliten hat OHB die beiden Harmony-Satelliten gewonnen. „Wir wollen mindestens vier weitere Aufträge gewinnen bevor wir über größere Anpassungen der Plattform nachdenken“, sagt Schulz.
Die CO2M-Satelliten sind die ersten mit der EOS-Plattform; EOS wurde eigens für das Programm entwickelt. Die Plattform ist für Transporte mit der kleineren der beiden großen europäischen Trägerraketen, der Vega C, designt worden. Bei dieser ist das Startgewicht des Satelliten kapazitätsbedingt auf annähernd 2 t begrenzt. „2 t Startmasse sind für die meisten Erdbeobachtungsmissionen völlig ausreichend“, sagt Schulz
Verglichen mit zum Beispiel Harmony werden die CO2M-Satelliten mächtige Triebwerke und große Tanks haben. Das liegt an der neuen Entsorgungspolitik der ESA und der EU. Das Motto: Weltraumschrott vermeiden. Immer wieder entscheiden sich Satellitenbetreiber, die Reserven ihrer Satelliten auszureizen, weil zum Beispiel die Instrumente noch einwandfreie Daten liefern. Dann kann es passieren, dass der betroffene Satellit im Orbit „strandet“, weil er es aus eigener Kraft nicht mehr schafft, sich zum Absturz zu bringen.
Treibstoffreserven für den kontrollierten Absturz
Bei CO2M ist nicht nur geplant, dass der Satellit verglüht, sondern auch, dass er an einer bestimmten, wenig beschifften Stelle in den Pazifik stürzt. Nur ein Viertel des Treibstoffs stehen für Bahnkorrekturen und Lageregelung zur Verfügung. Drei Viertel sollen am Ende der Lebenszeit einen kontrollierten Wiedereintritt in die Erdatmosphäre ermöglichen.
Und wenn sich die EU doch entscheidet, den Satelliten länger zu betreiben? – „Dann braucht es einen Abschleppdienst“, sagt der Chefingenieur Jonathon Komadina. Für den Fall der Fälle ist an einer der Außenwände jedes CO2M-Satelliten eine Öse befestigt, an der ein solcher Abschleppdienst festmachen könnte. Allerdings sind solche Konzepte zur Schrottvermeidung aktuell noch kaum erprobt.
Die ESA hat sich der Zero-Débris-Charta verschrieben und zertifiziert deshalb Plattformen, die keinen zusätzlichen Weltraumschrott produzieren. Dazu gehört auch, sicherzustellen, dass die Plattform auch dann noch einen Wiedereintritt hinlegen kann, wenn sie von Schrottpartikeln getroffen und beschädigt wird. OHB will EOS zertifizieren lassen.
Erste Daten zur COP33
Zur Weltklimakonferenz COP33, die Ende 2028 stattfinden wird, sollen die CO2M-Satelliten erste Messdaten geliefert haben. Für die Staaten, die sie nutzen wollen. Ob die USA dann wieder dazugehören, klärt sich am 7. November 2028. An diesem Tag enden die Präsidentschaftswahlen der Vereinigten Staaten von Amerika.
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