80 Jahre Rätselraten beendet: Darum ist die Sonnenkorona so heiß
Ein neues Sonnenteleskop enthüllt verdrehte Magnetwellen – sie könnten der Schlüssel zum Rätsel der heißen Korona sein.
Eine künstlerische Darstellung von sich verdrehenden Sonnenwellen, die erstmals vom NSF Inouye Solar Telescope entdeckt wurden. Sie könnten erklären, warum die Korona der Sonne so heiß ist.
Foto: NSF/NSO/AURA/J. Williams
Forschende haben erstmals kleinräumige Torsions-Alfvén-Wellen in der Sonnenkorona direkt beobachtet. Diese magnetischen Verdrehungen könnten erklären, warum die Korona Millionen Grad heiß ist und wie Energie durch das Magnetfeld der Sonne transportiert wird. Zugleich fand das Forschungsteam eine Antwort darauf, wie Sonnenwinde entstehen. Die Winde können zum Beispiel GPS-Signale stören oder Stromnetze beeinträchtigen.
Inhaltsverzeichnis
Kleine Wellen, große Wirkung
Fast 80 Jahre lang suchten Forschende nach einem bestimmten Signal aus der Sonne – und nun ist es ihnen gelungen: Zum ersten Mal konnten kleinräumige sogenannte Torsions-Alfvén-Wellen direkt beobachtet werden. Diese magnetischen Wellen galten seit den 1940er-Jahren als theoretisch wahrscheinlich, aber praktisch kaum nachweisbar.
Jetzt liefert ein neues Teleskop auf Hawaii den entscheidenden Beweis – und bringt frischen Schwung in ein altes Rätsel: Warum ist die äußere Schicht der Sonne hunderte Male heißer als ihre Oberfläche?
Ein Phänomen mit Geschichte
Bereits 1942 hatte der schwedische Physiker Hannes Alfvén vorausgesagt, dass sich in magnetisierten Plasmen Wellen ausbreiten können, die Energie entlang der Magnetfeldlinien transportieren. Dafür erhielt er später den Nobelpreis. Doch die kleinsten dieser Wellen, die sogenannten Torsions-Alfvén-Wellen, blieben unentdeckt. Man wusste, dass sie existieren müssten – irgendwo in der Sonnenkorona, jener dünnen, leuchtenden Hülle aus Plasma, die sich Millionen Kilometer weit ins All erstreckt.
Bisherige Instrumente reichten jedoch nicht aus, um sie zu erfassen. Zwar hatte man größere magnetische Wellen bei Sonneneruptionen beobachtet, doch die kleinen, dauerhaften Verdrehungen im Magnetfeld blieben verborgen. „Diese Entdeckung beendet eine langwierige Suche nach diesen Wellen, die ihren Ursprung in den 1940er Jahren hat“, sagt Richard Morton, Professor an der Northumbria University und leitender Autor der neuen Studie, die in Nature Astronomy veröffentlicht wurde.
Ein Teleskop mit besonderem Blick
Den Durchbruch brachte das Daniel K. Inouye Solar Telescope (DKIST) auf Hawaii – das derzeit leistungsstärkste Sonnenteleskop der Welt. Sein vier Meter großer Spiegel ist viermal so groß wie der früherer Instrumente. Damit kann es Strukturen in der Sonnenkorona auflösen, die bisher völlig unsichtbar waren.
Entscheidend war ein spezielles Messgerät: das Cryogenic Near Infrared Spectropolarimeter (Cryo-NIRSP). Es reagiert empfindlich auf minimale Bewegungen im heißen Plasma der Korona, die sonst im Licht der Sonne untergehen würden. „Wir konnten endlich diese Torsionsbewegungen, die die Magnetfeldlinien in der Korona hin und her verdrehen, direkt beobachten“, erklärt Morton.
Dazu verfolgte das Team Spektrallinien von mehrfach ionisiertem Eisen (Fe XIII), das typischerweise bei Temperaturen von rund 1,6 Millionen Kelvin vorkommt. Die Forschenden nutzten winzige Verschiebungen im Lichtspektrum – Rotverschiebung und Blauverschiebung –, um zu erkennen, wie sich Teile des Plasmas auf sie zu und von ihnen weg bewegten. Auf gegenüberliegenden Seiten derselben Magnetfeldlinie fanden sie entgegengesetzte Bewegungen: ein eindeutiges Zeichen für verdrehte Wellen.
Was sind Alfvén-Wellen?
Alfvén-Wellen sind magnetische Schwingungen, die sich in elektrisch leitfähigem Plasma ausbreiten – also in einem Gas aus geladenen Teilchen. Sie entstehen, wenn sich Magnetfeldlinien und Plasma gemeinsam bewegen: Eine Störung im Magnetfeld versetzt das Plasma in Schwingung, und umgekehrt verändert das Plasma das Magnetfeld.
Benannt sind die Wellen nach dem schwedischen Physiker Hannes Alfvén, der sie 1942 theoretisch beschrieb. Dafür erhielt er 1970 den Nobelpreis für Physik.
Es gibt zwei Haupttypen:
- Transversale oder „Knick“-Alfvén-Wellen: Sie lassen das Magnetfeld hin und her schwingen – ähnlich wie eine gespannte Saite.
- Torsions-Alfvén-Wellen: Sie verdrehen das Magnetfeld um seine Achse – vergleichbar mit einem Gummiband, das man dreht.
In der Sonnenkorona spielen Alfvén-Wellen eine Schlüsselrolle: Sie transportieren Energie entlang der Magnetfeldlinien und könnten erklären, warum die äußere Atmosphäre der Sonne millionen Grad heiß ist – viel heißer als ihre Oberfläche. Außerdem tragen sie vermutlich dazu bei, dass der Sonnenwind beschleunigt wird und magnetische Energie bis weit ins Sonnensystem gelangt.
Wie sich das Plasma windet
Diese neuen Beobachtungen zeigen, dass die Sonnenkorona voller Aktivität steckt, auch wenn sie von außen ruhig erscheint. Während sogenannte „Knickwellen“ das Magnetfeld wie eine schwingende Saite hin- und herbewegen, erzeugen Torsions-Alfvén-Wellen eine Drehbewegung – vergleichbar mit einem verdrehten Gummiband.
Morton entwickelte spezielle mathematische Verfahren, um diese Drehungen aus den Daten herauszufiltern. Denn die Korona ist turbulent: Zahlreiche Bewegungen überlagern sich und verdecken das eigentliche Signal. Erst nach einer aufwendigen Analyse wurde sichtbar, dass sich diese kleinen Verdrehungen überall in der Korona abspielen – ständig und gleichzeitig.
Rätsel um die heiße Korona
Die Entdeckung hat eine größere Bedeutung, als es zunächst scheint. Seit Jahrzehnten fragen sich Forschende, warum die Korona Millionen Grad heiß ist, während die sichtbare Sonnenoberfläche nur etwa 5500 °C erreicht. Energie muss also von unten nach oben transportiert werden – aber wie?
Alfvén-Wellen gelten schon lange als mögliche Energieträger. Sie können Energie entlang der Magnetfeldlinien transportieren und im Plasma in Wärme umwandeln. Die nun entdeckten kleinen, allgegenwärtigen Wellen könnten erklären, warum die Korona so heiß ist.
Zugleich liefern sie einen Hinweis darauf, wie der Sonnenwind entsteht – jener kontinuierliche Strom aus geladenen Teilchen, der das gesamte Sonnensystem durchzieht. Diese Teilchen werden von den energiereichen Wellen beschleunigt und tragen magnetische Störungen bis zur Erde.
Vom Sonnenrätsel zum Weltraumwetter
Das Verständnis dieser Prozesse ist nicht nur akademisch. Der Sonnenwind beeinflusst auch unser sogenanntes Weltraumwetter. Magnetische Störungen, die von der Sonne ausgehen, können Satelliten lahmlegen, GPS-Systeme stören oder Stromnetze auf der Erde beeinträchtigen.
Alfvén-Wellen könnten zudem eine Verbindung zu den mysteriösen „magnetischen Switchbacks“ liefern – plötzliche Richtungsänderungen im Sonnenwind, die die NASA-Sonde Parker Solar Probe beobachtet hat. Morton sagt: „Diese Forschung liefert eine wichtige Bestätigung für theoretische Modelle, die beschreiben, wie Alfvén-Wellen-Turbulenzen die Sonnenatmosphäre antreiben. Durch direkte Beobachtungen können wir diese Modelle endlich anhand der Realität überprüfen.“
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