Lebensmittelskandale 11.03.2011, 19:52 Uhr

Großes Restefressen in deutschen Ställen

Die Kuh frisst Gras, die Hühner picken Körner – so die Bauernhofidylle. „Der Laie hat ein völlig falsches Bild“, sagt Futtermittelexperte Walter Staudacher. Großenteils bekommt das Vieh heute Nebenerzeugnisse aus der Lebensmittel- und Bioenergieindustrie. Geiz beim Futterkauf habe den jüngsten Dioxinskandal begünstigt.

Kühe fressen oft Billigfutter.

Kühe fressen oft Billigfutter.

Foto: BWE

Über 330 verschiedene Futtermittel führt die Kommission „Futter und Fütterung“, deren Geschäftsführer Walter Staudacher ist. Die weit überwiegende Mehrheit sind Abfälle aus Lebensmittelfabriken: Zitrustrester, übrig gebliebenes Pflanzenöl, Krabbenschalen, Kürbiskernpresskuchen, Kaffeeschalenpellets, Spelzen verschiedener Getreide, Hämoglobinpulver aus dem Blutplasma von geschlachteten Schweinen.

„Die Pflanzenbauern könnten gar nicht so viel produzieren, wie an Nebenprodukten verfüttert wird“, stellte Hansjörg Abel von der Universität Göttingen gegenüber den VDI nachrichten klar.

Der Trend, Abfälle in den Futtertrog zu geben, hat sich mit wachsendem Kostendruck auf dem Lebensmittelmarkt nur verstärkt. Für den Deutschen Verband Tiernahrung sind sie eine „unerlässliche Rohstoffquelle“. Ölschrote und -kuchen nehmen mit einem Anteil von 28 % an allen Futtermitteln ein.

Das Futter verursacht mindestens die Hälfte aller Kosten eines Viehzuchtbetriebes. Die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch warnt: „Um deutsches Fleisch wettbewerbsfähig auf den Weltmarkt zu bringen, muss billigstes Futter verwendet werden.“ Sie wirft der Bundesregierung vor, diese Entwicklung zu unterstützen, indem sie den Export von Billigfleisch subventioniere.

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Geiz beim Futterkauf hat auch den jüngsten Dioxinskandal begünstigt, analysiert Abel. Seit Beginn 2010 ist die Käfighaltung bei Legehennen in Deutschland verboten. Aus dem Ausland drängen unterdessen weiterhin billige Käfigeier auf den Markt. „Die Viehzüchter wollen mithalten und schauen auf den halben Cent beim Futtermittel. So kann es kommen, dass da am Ende etwas hineingemischt wird, was nicht hineingehört“, erklärt Abel.

Doch nicht nur, was nicht hineingehört, landet im Futtertrog. Rückstände aus Nudel- und Kaffeefabriken sind nie für Rindermägen und Geflügeldärme gewachsen. Solange sie aber die Milch-, Eier- und Fleischleistung nicht senken, sind sie den Mischfutterherstellern willkommen. Verboten ist das nicht.

Eines der jüngsten Beispiele: Glycerin. Es kommt in keiner Pflanze natürlich vor, fällt aber in großen Mengen bei der Erzeugung von Biodiesel aus Rapsöl an. „Da man es in traditionellen Vermarktungszweigen nicht vollständig unterbringen konnte, ist es als Futtermittel angeboten worden“, erklärt Staudacher.

Bis zu 8 % der farblosen Flüssigkeit lassen sich problemlos mit Heu und Schrot vermengen oder mit anderen Zutaten zu Pellets pressen, ermittelte Agraringenieur Rainer Löwe vom Forschungsinstitut Futtermitteltechnik in Braunschweig schon 2000.

Doch die Viehhalter wissen nicht, ob die Substanz ihren Tieren bekommt. Marta Terré, Agrarwissenschaftlerin aus dem spanischen Katalonien, stellte nach Fütterungsversuchen fest, dass sich mit Glycerindiät die Fettzusammensetzung im Fleisch zu kürzerkettigen gesättigten Fetten auf Kosten der ungesättigten Ölsäure verschob. Gerade gesättigte Fette treiben den Cholesterinspiegel beim Menschen in die Höhe und begünstigen damit Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dennoch kam Terré im Januar 2011 im Magazin Animal Feed Science and Technology zu dem Schluss: „Glycerin kann ins Futter der Lämmer gegeben werden, ohne ihr Wachstum und die wichtigsten Fettsäuren zu beeinträchtigen.“

Dabei hatte die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft 2009 festgestellt: Nur unterhalb von 5 % Glycerin im Futter können Nachteile für Wiederkäuer und Schweine ausgeschlossen werden. Sonst kann der Pansen der Kühe versauern. Und das Schwein verdaut nicht mehr richtig. Die Obergrenze von 5 % ist jedoch nicht mehr als eine Empfehlung. „Der Gesetzgeber ist dort zurzeit recht liberal“, kommentiert Staudacher.

Glycerin ist kein Einzelfall. Nahrungsmittelfabriken und Bioenergieanlagen liefern permanent Zigtausende von Tonnen Abfall. Für Staudacher sind das „Nebenprodukte“, die über Tiermägen „veredelt werden“ – zu Steak, Schnitzel und Sahnejoghurt.  SUSANNE DONNER

 

Ein Beitrag von:

  • Susanne Donner

    Susanne Donner ist studierte Chemikerin und schreibt als Wirtschaftsjournalistin über Technik- und Medizinthemen u.a für die Wirtschaftswoche, GEO, FAZ und ingenieur.de.

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