TU Ilmenau: Mit Gedanken gehen lernen nach Schlaganfall
Ein Schlaganfall – und plötzlich funktioniert das eigene Bein nicht mehr. Für Millionen Menschen weltweit ist das die bittere Realität. Die Technische Universität Ilmenau will das mit einem internationalen Forschungsteam ändern – und das mit der Hilfe des Gehirns selbst.
Forschende der TU Ilmenau entwickeln ein System, das Schlaganfallpatienten hilft, mithilfe von Gehirnsignalen Bewegungen neu zu erlernen.
Foto: Smarterpix/degimages
Schlaganfälle sind weltweit eine der häufigsten Ursachen für Behinderungen. Daher sieht die Medizintechnikforschung eine Verbesserung der Rehabilitation nach einem Schlaganfall als hohe Priorität. Die TU Ilmenau startet am 01. November 2025 ein internationales Forschungsprojekt zur Entwicklung eines medizintechnischen Verfahrens, um die Genesung von Schlaganfallpatienten zu fördern.
Das Forschungsprojekt läuft unter Zusammenarbeit mit der Universität Innsbruck. Es wird für 3 Jahre von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit einer Summe in Höhe von 331.000 € gefördert.
Warum ist das wichtig?
Ein Blick auf die Zahlen zeigt: Ein Schlaganfall ist keineswegs eine Ausnahme – sondern eine globale Herausforderung. Laut der World Stroke Organisation leben weltweit über 100 Mio. Menschen, die bereits einen Schlaganfall erlitten haben. Die Folgen eines Schlaganfalls führen häufig zu dauerhaften Behinderungen und gelten weiterhin als eine der Hauptursachen für Invalidität weltweit. Für Betroffene heißt das: Bewegungsfähigkeit, insbesondere in den Beinen und der Beckenregion, ist oft stark eingeschränkt. Die Forschungsinitiative der TU Ilmenau setzt genau hier an.
EEG – eine große Hilfe
Die Elektroenzephalographie (EEG), also die Diagnose durch Messung der elektrischen Aktivität des Gehirns, spielt bei der Rehabilitation von Schlaganfallbetroffenen eine wesentliche Rolle. Mithilfe von EEG können die Signale des Gehirns genaustens in der Zeit erfasst und analysiert werden. Veränderungen im Gehirn werden so direkt erfasst.
Die EEG ist eine nicht-invasive Art der Diagnostik, erfolgt also ohne Eindringen oder Verletzung von Körpergewebe. Das Gerät ist tragbar und damit flexibel einsetzbar. Das erlaubt Messungen außerhalb des Krankenhauses, etwa in Reha-Einrichtungen oder zuhause.
Lesen Sie dazu: Gehirnströme messen: Geschichte des EEG und seine Möglichkeiten
Mit Gedanken die Bewegung trainieren
Die EEG eignet sich daher als ideales Werkzeug für sogenannte Brain-Computer-Interfaces (BCIs). Dabei handelt es sich um digitale Schnittstellen zwischen dem Gehirn und dem medizintechnischen Computerprogramm. BCIs liefern der Ärztin oder dem Arzt bei der Reha einer Schlaganfallpatientin oder eines Patienten ein direktes visuelles und sensorisches Feedback.
Bisher wurden BCIs bei Schlaganfällen bei der motorischen Rehabilitation der oberen Gliedmaßen eingesetzt. Die Signalverarbeitung, die für die Wiederherstellung der Beine und des Beckens, nötig ist, ist wesentlich komplexer.
In der Rehabilitation von Schlaganfallbetroffenen kommt vor allem „Motor Imagery“ zum Einsatz: Die Patientin oder der Patient stellt sich eine Bewegung vor – etwa das Heben eines Beins – und das BCI erkennt anhand der EEG-Signale, ob diese Vorstellung im Gehirn verarbeitet wurde. Die Vorstellung, das Bein zu heben und die tatsächliche Bewegung aktivieren ähnliche Areale im Gehirn. Diese Aktivierung erzeugt elektrische Muster, sogenannte sensorimotorische Rhythmen, die mit der EEG messbar sind. Entscheidend dabei ist: Es kommt keine tatsächliche Muskelaktivität, aber das Gehirn feuert so, als ob eine Bewegung geplant ist.
Das BCI misst nun die EEG-Signale über Elektroden auf der Kopfhaut. Es erkennt bestimmte Muster – beispielsweise die veränderte EEG-Leistung bei der Vorstellung des angehobenen Beines. Das BCI-System ist darauf trainiert, diese Muster zu erkennen und zu unterscheiden. Mithilfe von Maschinellem Lernen wird daraus ein Signal erzeugt.
Das Training zielt nun auf neuroplastische Veränderungen. Das BCI koppelt die mentale Bewegungsvorstellung mit sensorischem oder visuellem Feedback, beispielsweise einer leichten Muskelstimulation. Durch diese Rückmeldung wird das Gehirn „belohnt“: Es lernt, dass die Vorstellung der Bewegung eine sichtbare Wirkung hat. Wiederholtes Training stärkt dementsprechend die neuronalen Bahnen, die für die Bewegung zuständig sind – ähnlich wie bei echter Bewegung.
Neue Methoden der Schlaganfall-Reha
Ziel des Forschungsprojekts der TU Ilmenau und der Universität Innsbruck ist die Entwicklung neuartiger Algorithmen, mit denen mithilfe von BCIs die Motor Imagery in der Rehabilitation der unteren Gliedmaßen verbessert werden soll. Dabei sollen Klassifizierungsalgorithmen entwickelt werden, die auf künstlichen neuronalen Netzwerken basieren und die Online-Analyse von EEG-Quellen und deren Verbindungen einbeziehen.
„Mithilfe von Motor Imagery erfassen wir EEG-Daten einerseits von gesunden Probanden und andererseits von Schlaganfallpatienten, während sie sich eine Bewegung ihrer Beine vorstellen. Mit den so gewonnenen neuen Rehabilitationsmöglichkeiten hoffen wir, Patienten mit Schlaganfall ein Stück Lebensqualität zurückgeben zu können“, erklärt Jens Haueisen, Projektleiter.
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