Teststreifen in Binden revolutionieren die Diagnostik
Eine neue Technologie der ETH Zürich macht Menstruationsblut zur Quelle wertvoller Gesundheitsdaten – direkt in der Binde. Wie funktioniert MenstruAI und warum könnte das System die Diagnostik für Millionen Menschen verändern?

Aus Menstruationsblut lassen sich direkt in der Binde Biomarker analysieren.
Foto: PantherMedia / doucefleur
Der Alltag vieler Menschen könnte sich durch eine Entwicklung der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich grundlegend verändern: Forschende haben eine Methode vorgestellt, mit der sich Biomarker im Menstruationsblut direkt in der Binde nachweisen lassen. Sie trägt den Namen MenstruAI und verspricht eine unkomplizierte, nicht-invasive Möglichkeit, regelmäßig Gesundheitsdaten zu erfassen. Die Anwendung ist denkbar simpel: Die Binde mit integriertem Sensor wird wie gewohnt getragen. Nach dem Gebrauch fotografiert man sie mit dem Smartphone und wertet das Bild per App aus.
Menstruationsblut als unterschätzte Informationsquelle
Weltweit menstruieren mehr als 1,8 Milliarden Menschen, dennoch wird Menstruationsblut in der medizinischen Diagnostik bislang kaum berücksichtigt. Lucas Dosnon, Doktorand und Erstautor der Studie, sieht darin ein Zeichen für das mangelnde Interesse an frauenspezifischer Gesundheit. Er erklärt: „Menstruationsblut wurde bislang als Abfall betrachtet. Wir zeigen, dass es eine wertvolle Informationsquelle ist.“ Tatsächlich enthält Menstruationsblut Hunderte von Proteinen, deren Konzentrationen oft mit denen im venösen Blut vergleichbar sind. Viele Erkrankungen, darunter Tumore wie Eierstockkrebs oder Endometriose, führen dazu, dass bestimmte Proteine – sogenannte Biomarker – im Blut nachweisbar sind.
Die Forschenden in der Gruppe von Inge Herrmann, Professorin an der Universität Zürich, an der Universitätsklinik Balgrist, an der Empa und akkreditiert am Departement für Maschinenbau und Verfahrenstechnik der ETH Zürich, haben für MenstruAI zunächst drei Biomarker ausgewählt: Das C-reaktive Protein (CRP) dient als allgemeiner Entzündungsmarker. CEA ist ein Tumormarker, der bei verschiedenen Krebsarten erhöht sein kann, und CA-125 weist auf Erkrankungen wie Endometriose oder Eierstockkrebs hin. Aktuell erweitern die Forschenden das System um weitere proteinbasierte Biomarker. Ziel ist es, die Diagnostik kontinuierlich zu verbessern und immer mehr Aspekte abzubilden.
Teststreifen-Technologie inspiriert von Covid-Schnelltests
MenstruAI setzt auf einen papierbasierten Schnellteststreifen, der ähnlich funktioniert wie die Covid-Tests – nur dass hier Blut statt Speichel analysiert wird. Kommt ein Biomarker im Menstruationsblut mit dem passenden Antikörper auf dem Teststreifen in Berührung, entsteht ein Farbstreifen. Die Intensität dieser Färbung gibt Auskunft über die Konzentration des jeweiligen Proteins. Die Testfläche ist in eine flexible Silikonkammer integriert, die sich problemlos mit handelsüblichen Binden kombinieren lässt. Die Auswertung der Testergebnisse erfolgt mit dem bloßen Auge oder mit einer App. Diese nutzt maschinelles Lernen, um die Farbintensität präzise zu analysieren. Sie erkennt auch feine Unterschiede wie die Menge der vorhandenen Proteine und macht das Resultat objektiv messbar. Die Diagnostik wird so einfacher, zuverlässiger und nachvollziehbarer.
Alltagstauglichkeit und Herausforderungen für die Diagnostik
Nach einer ersten Machbarkeitsstudie mit Freiwilligen planen die Forschenden eine größere Feldstudie mit mehr als hundert Teilnehmerinnen. Ziel ist es, zu prüfen, wie gut MenstruAI unter realen Bedingungen funktioniert und wie zuverlässig die gemessenen Werte im Vergleich zu etablierten Labormethoden sind. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Analyse der natürlichen Vielfalt des Menstruationsbluts: Die Zusammensetzung variiert je nach Zyklustag und von Person zu Person.
Für eine mögliche Marktzulassung sind zudem regulatorische Anforderungen zu erfüllen. Dazu gehört die Bewertung der Biokompatibilität der verwendeten Materialien, die nach aktuellem Stand als unbedenklich gelten. Parallel arbeitet das Team mit Designfachleuten der Zürcher Hochschule der Künste zusammen, um die Hemmschwelle für die Anwendung möglichst niedrig zu halten. Professorin Inge Herrmann: „Es geht auch darum, die Technologie so zu gestalten, dass es sowohl technisch als auch sozial akzeptiert wird.“
Teststreifen als günstiges Frühwarnsystem
Die in die Binde integrierte Technologie funktioniert komplett ohne Laborgeräte. Herrmann: „Das Ziel war von Anfang an, eine Lösung zu entwickeln, die auch in Regionen mit schwacher Gesundheitsversorgung einsetzbar und möglichst kostengünstig ist, um eine bevölkerungsweite Vorsorgeuntersuchung zu ermöglichen.“ MenstruAI kann als Frühwarnsystem dienen: Bei auffälligen Werten können Nutzerinnen medizinischen Rat einholen. Zudem lassen sich mit MenstruAI langfristig Gesundheitsverläufe beobachten. Die Forschenden sehen in MenstruAI auch einen wichtigen Beitrag zu mehr Gerechtigkeit im Gesundheitswesen.
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