Zahnseide mit Sensor misst unseren Stress
Sensor-Zahnseide erkennt Cortisol im Speichel. So kann Stress künftig einfach im Alltag überwacht werden – ganz ohne Labor oder Blutprobe.

Die Zahnseide mit Sensor kann nicht nur Stress überwachen, sondern könnt auch zur Überwachung einer Vielzahl von Erkrankungen wie Diabetes, Herzerkrankungen und Krebs angepasst werden.
Foto: PantherMedia / AndrewLozovyi
Forschende der Tufts University haben eine Zahnseide mit integriertem Sensor entwickelt, die das Stresshormon Cortisol im Speichel misst. Der Sensor nutzt ein spezielles Polymerverfahren und ermöglicht eine einfache, kostengünstige und nicht-invasive Überwachung von Stress im Alltag. Auch der Nachweis weiterer Biomarker wie Glukose oder Krebsindikatoren ist denkbar.
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Stressmessung im Alltag wird möglich
Stress begleitet viele Menschen durch den Tag – oft unbemerkt, aber nicht folgenlos. Zu den körperlichen Reaktionen gehört die Ausschüttung des Hormons Cortisol. Es beeinflusst Stoffwechsel, Kreislauf und Immunsystem. Ein dauerhaft erhöhter Cortisolspiegel kann krank machen. Doch wie lässt sich dieser Wert im Alltag zuverlässig messen, ohne medizinisches Labor oder komplexe Technik?
Ein Team der Tufts University in den USA hat eine Lösung entwickelt, die alltagstauglicher kaum sein könnte: Zahnseide mit integriertem Sensor. Dieses Gerät erfasst Cortisolwerte direkt im Speichel – beim täglichen Zähneputzen oder der Mundpflege.
Cortisol: mehr als ein Modewort
Cortisol ist in sozialen Netzwerken inzwischen ein Schlagwort. Influencer sprechen über Morgenroutinen, die den Cortisolspiegel senken sollen. Doch medizinisch betrachtet handelt es sich um ein ernstzunehmendes Stresshormon, das weitreichende Auswirkungen auf die Gesundheit hat.
Chronischer Stress kann den Blutdruck erhöhen, das Immunsystem schwächen oder zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen beitragen. Eine kontinuierliche Überwachung wäre deshalb sinnvoll – doch bisher war das kaum praktikabel. Der neue Sensor auf Zahnseidebasis könnte das ändern.
Alltagsroutine trifft Sensortechnik
Das Design erinnert an handelsübliche Zahnseide: Ein Faden ist zwischen zwei Zinken eines kleinen Kunststoffgriffs gespannt. Doch im Inneren steckt ein ausgeklügelter Mechanismus. Beim Gebrauch gelangt Speichel über Kapillarwirkung in den Griff. Dort trifft er auf ein Sensorsystem aus Elektroden, das den Cortisolgehalt analysiert.
Das Verfahren ist unkompliziert und kommt ohne Batterien oder aufwendige Elektronik aus. Entwickelt wurde der Sensor von einem interdisziplinären Team um Sameer Sonkusale, Professor für Elektrotechnik und Informatik an der Tufts University. „Wir wollten ein Gerät entwickeln, das keine zusätzliche Belastung im Alltag darstellt“, so Sonkusale. „Zahnseide war naheliegend, weil sie ohnehin täglich verwendet wird.“
Molekular geprägte Polymere als Schlüsseltechnologie
Im Zentrum der Messung steht eine spezielle Technologie: elektropolymerisierte molekular geprägte Polymere, kurz eMIPs. Sie funktionieren ähnlich wie ein Gipsabdruck: Ein Polymer formt sich um ein Cortisolmolekül. Nach dem Entfernen bleibt eine exakte Negativform zurück. Diese erkennt später erneut vorbeiströmende Cortisolmoleküle und bindet sie selektiv.
Anders als bei antikörperbasierten Sensoren ist dieser Ansatz kostengünstig und flexibel. „Wenn man einen neuen Biomarker identifiziert, lässt sich in kurzer Zeit ein passender Sensor entwickeln“, sagt Sonkusale.
Mehr als nur Stressmessung
Die Technologie lässt sich nicht nur für Cortisol einsetzen. Die Forschenden arbeiten daran, auch andere Biomarker im Speichel zu identifizieren. Denkbar sind Glukose zur Diabetesüberwachung, Östrogen zur Fruchtbarkeitskontrolle oder Marker für Krebserkrankungen. Auch die parallele Erfassung mehrerer Werte ist möglich.
Damit könnte aus dem simplen Alltagsgerät ein vielseitiges Gesundheitsinstrument werden.
Kein Ersatz für Diagnosen – aber ein hilfreiches Werkzeug
Wichtig ist den Forschenden eine klare Abgrenzung: Die Sensor-Zahnseide ist nicht für medizinische Diagnosen gedacht. Dafür bleibt Blut der Goldstandard. Ihre Stärke liegt in der kontinuierlichen Überwachung – zum Beispiel, wenn eine Erkrankung bereits diagnostiziert wurde und Verlauf oder Medikation beobachtet werden sollen.
„In solchen Fällen kann der Sensor einfache und regelmäßige Messungen ermöglichen“, sagt Sonkusale. Das kann helfen, Veränderungen frühzeitig zu erkennen und gegebenenfalls ärztlich gegenzusteuern.
Ein Start-up soll das Produkt zur Marktreife bringen
Noch ist die Sensor-Zahnseide nicht frei erhältlich. Sonkusale und sein Team arbeiten an der Gründung eines Start-ups, um die Technik in den Alltag zu bringen. Die zugrundeliegende Studie erschien in der Fachzeitschrift ACS Applied Materials and Interfaces. Dort reiht sich die Innovation in eine Reihe weiterer fadenbasierter Sensorlösungen ein – darunter Sensoren in Textilien, die Gase oder Bewegungen erfassen.
Ein konkreter Marktstart ist derzeit noch nicht bekannt. Doch das Ziel ist klar: einfache Gesundheitsüberwachung ohne teure Diagnostik, direkt im Badezimmer.
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