250 Menschen tiefgefroren 08.02.2013, 11:51 Uhr

Forscher arbeiten an lebensverlängernder Gentechnik

Forscher in aller Welt sind dem Rätsel des Alterns auf der Spur. Noch stehen sie am Anfang. Doch Versuche an Würmern und Mäusen zeigen, dass mit Mitteln der Gentechnik und Biochemie etliche Jahre herauszuschlagen sind. Auf Menschen übertragen wären damit 140 Lebensjahre drin. Solche Fortschritte vor Augen haben sich schon über 250 Menschen einfrieren lassen. Sie hoffen, dass Ärzte ihnen irgendwann wieder Leben einhauchen.

250 Menschen weltweit haben sich einfrieren lassen, weil sie in der Zukunft auf lebensverlängernde Maßnahmen hoffen. Forscher haben in Experimenten bereits die Lebenserwartung von Würmern erhöhen können.

250 Menschen weltweit haben sich einfrieren lassen, weil sie in der Zukunft auf lebensverlängernde Maßnahmen hoffen. Forscher haben in Experimenten bereits die Lebenserwartung von Würmern erhöhen können.

Foto: Uni Freiburg

Als Kim Suozzi am 17. Januar 2013 starb, war sie 23 Jahre jung. Die wenigen Monate, die ihr nach der Diagnose eines Gehirntumors blieben, hat die Psychologin genutzt, um Geld für eine eisige Zeitreise zu sammeln. Nun ruht sie in einem Tank mit -196 °C kaltem flüssigem Stickstoff.

Suozzi ist die 114. „Patientin“ der Alcor Life Extension Foundation in Scottsdale, Arizona. Das ist eine von drei Non-Profit-Organisationen, die in den USA „kryonische Versorgung“ anbieten. Bei ihnen und zwei kommerziellen Firmen lagern insgesamt 254 Menschen in Stickstoff. Bei einem weiteren Anbieter in Russland warten 20 Eingefrorene auf medizinische Fortschritte, die ihnen das Weiterleben ermöglichen. Optimisten unter ihnen haben nur ihre Köpfe einfrieren lassen. Ärzte der Zukunft sollen sie als Datenträger ihrer Persönlichkeit und Erinnerung mit neuer körperlicher Hardware verbinden.

Kryonik-Anhänger hoffen auf neue Ansätze gegen das Altern, auf Tissue-Engineering, das schon heute künstliche Gewebe mit menschlichen Stammzellen besiedelt und in Zukunft ganze Organe züchten könnte, oder auf Fortschritte der Krebsforschung. Suozzi hat die Hoffnung nach eigener Aussage das Sterben erleichtert. „Ich finde es besser, auf diesen Fortschritt zu wetten, als zu verwesen“, hat sie in ihren Blog geschrieben.

Um künftigen Kollegen das Wiederbeleben der Tiefgefrorenen zu erleichtern, arbeiten heutige Kryoniker an schonenden Verfahren. Schlüsseltechnologie ist das „Vitrifizieren“ – also das Ersetzen körpereigener Flüssigkeiten durch Lösungen, die keine Eiskristalle bilden. Letztere zerstören die Zellverbunde im Körper mechanisch. Stattdessen kommen eigens entwickelte, mit Kältemitteln versetzte Gemische auf Basis von Dimethylsulfoxid, Formamid und Ethylenglykol zum Einsatz. Sie gefrieren zu Glas, gehen also ohne zu kristallisieren von flüssigem in festen Zustand über – und umgekehrt.

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Eingefrorene Kaninchen leben wieder

Der US-Forscher Gregory M. Fahy hat in Testreihen gezeigt, dass Kaninchen mit „vitrifizierten“ Nieren nach deren Tiefkühlen, Auftauen und Re-Implantieren bis zu 48 Tage lang lebten. Auch vitrifiziertes Hirngewebe zeigte die üblichen Reaktionen auf elektrische Stimuli. Doch wissen die Kryoniker, dass ihre Methoden suboptimal sind. Seit sich 1967 der erste Mensch einfrieren ließ, ist bereits die 6. Generation von Vitrifikations-Lösungen im Einsatz – und auch diese stellt die Forscher aufgrund ihrer Toxizität nur bedingt zufrieden.

Wie der Blutersatz entwickelt sich auch die Erstversorgung der „Patienten“ ständig weiter. Klar ist: Nach Todeseintritt muss es schnell gehen. Kim Suozzi zog deshalb eigens in ein Hospiz nahe der Alcor-Zentrale. Als ihr Herz aufhörte zu schlagen, war ein Ärzteteam der Organisation zur Stelle und hat ihren Körper sofort auf die Vitrifizierung vorbereitet.

Die Erstversorgung beginnt noch vor Ort mit der sogenannten Stabilisierung: Der Körper wird in Eis gebettet und per Herz-Lungen-Massagegerät bearbeitet. Letzteres, um den Blutkreislauf und damit die Versorgung des Gehirns aufrecht zu halten. Daneben erhält der nach heutiger medizinischer Definition Tote Infusionen, die der Bildung von freien Radikalen, Stickoxiden und körpereigenen Giften vorbeugen. Zusätzlich werden Betäubungsmittel verabreicht, um die Sauerstoffaufnahme des Gehirns zu senken. Nach der Erstversorgung folgt der Transport in den OP, wo die eigentliche Vitrifizierung folgt.

Kritikern, die das als vergebliche Liebesmüh betrachten, halten die Kryoniker Tierversuche und einen Unfall in Norwegen entgegen, bei denen stark abgekühlte Organismen mehrere Stunden ohne Herzfunktion überlebten. Bei dem Unfall war die schwedische Ärztin Anna Bågenholm 1999 auf Skiern in einen vereisten Fluss gestürzt. Die Skier verkeilten sich im Eis. Sie selbst konnte in einer Luftblase unterm Eis zunächst atmen. Doch gelang ihre Bergung erst nach über 90 Minuten. Ihr Herz hatte lange aufgehört zu schlagen. Die Körpertemperatur war auf 14 °C gesunken. Die Ärzte gaben sie nicht auf, verabreichten ihr auf dem Flug in die Klinik reinen Sauerstoff. Nach der Ankunft zapften sie ihre Oberschenkelvene an, führten ihr kaltes, sauerstoffarmes Blut durch einen Wärmetauscher, reicherten es mit Sauerstoff an und führten es in den Körper zurück. Bågenholm berappelte sich und schrieb Medizingeschichte. Sie überlebte drei Stunden ohne Herzfunktion und erlitt keine bleibenden Schäden.

Ob eine Vitrifizierung so glimpflich endet? Immerhin wird das komplette Blut abgelassen und die Blutgefäße minutenlang mit 0 °C kalter Lösung gespült, ehe nach und nach die toxische Vitrifikationslösung einfließt. Danach beginnt das Kühlen. Dafür wird mithilfe ventilierten Flüssigstickstoffs eine -125 °C kalte Umgebung geschaffen, der sich der Körper nach mehreren Stunden anpasst. Dabei verglast die Lösung. Anschließend wird zwei Wochen lang auf -196 °C gekühlt. Von da an muss nur noch alle paar Wochen flüssiger Stickstoff in die Kryostaten nachgefüllt werden.

Bislang wurde kein tiefgefrorener Mensch wiederbelebt

Schon dieses Verfahren birgt viele Unsicherheiten. Noch schwieriger wird es, wenn Betroffene unvorhergesehen fernab qualifizierter Ärzteteams sterben. Allein Alcor hat fast 1000 Mitglieder, die ihre kryonische Versorgung vorab bezahlt haben. Viele wollen auch dann behandelt werden, wenn zwischen Tod und Erstversorgung Stunden vergehen. Denn sie vermuten, dass mit dem Hirntod heutiger Definition nicht alle Daten verloren sind. Ohnehin habe sich die Grenze, ab der jemand für tot erklärt wird, seit Anbeginn der modernen Medizin immer weiter verschoben. Doch weil bis heute noch kein Tiefgefrorener wiederbelebt wurde, wissen Kryoniker nicht, ob sie Gevatter Tod tatsächlich auf die Wartebank schicken.

Hier ist die Biogerontologie weiter – zumindest im Tierversuch. Übertragen auf Menschen versprechen ihre bisherigen Erkenntnisse aus Versuchen mit Nagetieren und Fadenwürmern eine durchschnittliche Lebensdauer von 112 Jahren. Einzelne Menschen könnten gar 140 Jahre leben, schreibt der US-Gerontologe Richard A. Miller von der Universität Michigen in einem seiner Aufsätze.

Weltweit arbeiten Forscherteams daran, den Prozess des biologischen Alterns zu entschlüsseln. Warum leben manche Insekten und Würmer nur Tage, manche Wale weit über 100 Jahre und Schildkröten teils weit über 200 Jahre? Warum altern manche Hohltiere gar nicht? Wo liegt der evolutionäre Nutzen, wo die genetische und biochemische Steuerung der Alterungsprozesse? Und warum lebt ein und dieselbe Art Fadenwürmer in der Erde 80-mal kürzer als im Gedärm von Ratten?

Der britische Biogerontologe David Gems geht solchen Fragen am Londoner „Institute of Healthy Ageing“ nach, wo sein Team die Alterung des Caenorhabditis elegans (C. elegans) erforscht. Der Fadenwurm hat eine Lebenserwartung von etwa 10 Tagen, die einige Mutanten im Labor 10-fach überschritten haben. Da das aus 100 Mio. Basenpaaren gebildete Genom der Art komplett entschlüsselt ist, gilt C. elegans als Idealkandidat, um die Genetik und Biochemie des Alterns zu erforschen.

Altern ist keine Krankheit

Zwar haben die Forscher erst wenige Schritte eines Marathons zurückgelegt, doch Gems ist sicher, dass „Altern die Summe der schädlichen Wirkungen von Mutationen ist, die erst mit wachsender Lebensdauer auftreten“. Während früh sichtbare Mutationen durch natürliche Selektion beseitigt würden, seien Altersmutationen im wahrsten Sinne langlebig. „Altern ist eine Erbkrankheit, die jeden betrifft und in jedem Fall tödlich verläuft“, behauptet der Forscher und widerspricht damit der Weltgesundheitsorganisation. Diese sieht Altern keineswegs als Krankheit.

Biogerontologen erklären menschliches Altern als nachlassende Wartungsaktivität in unseren 50 Billionen Körperzellen, die fehlgebildete Proteine, Lipide und DNA nach sich zieht. „Die molekulare Maschinerie des Lebens“ gerät laut Gems aus dem Tritt, weil die Steuerungsfunktion der Gene versage. Noch versuchen Forscher, die Prozesse zu verstehen. Je besser das gelingt, desto näher rückt die Vision, Steuerungsaussetzer medikamentös zu korrigieren. So hoffen die Forscher, die tieferen Ursachen von im Alter gehäuften Herz-Kreislauf Erkrankungen, Typ-II-Diabetes, Krebs und Alzheimer anzugehen.

Ließen sich die Mutationen ausschalten, könnte altersbedingtes Siechtum verzögert werden. Aufgeschoben wäre aber nicht aufgehoben. Im Gegenteil: je länger das Leben, desto höher das statistische Krankheitsrisiko. Gems sieht seine Disziplin dennoch auf den richtigen Weg. „Es ist ein jugendlicher Irrtum, zu glauben, dass mit dem Alter auch eine Bereitschaft zu Krankheit und Tod kommt“, schreibt er in einem Essay. Unsere Akzeptanz des Alterns und Sterbens sei kulturell geprägt.

Allerdings gilt es, Angst und Leid des Einzelnen gegen die Interessen der Spezies abzuwägen. Bis 2050 werden 10 Mrd. Menschen die Erde besiedeln. Die Ressourcen dürften knapp werden. Ist es erstrebenswert, das Leben immer weiter in die Länge zu ziehen? Werden Ärzte künftig Zeit und Muße haben, tiefgekühlte Menschen wiederzubeleben? – Noch ist völlig unklar, ob Kim Suozzis eisige Zeitreise ihr Ziel erreicht. Zu wünschen ist es ihr.

Ein Beitrag von:

  • Peter Trechow

    Peter Trechow ist Journalist für Umwelt- und Technikthemen. Er schreibt für überregionale Medien unter anderem über neue Entwicklungen in Forschung und Lehre und Unternehmen in der Technikbranche.

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