Wasserstoff: Warum der Hochlauf auf sich warten lässt
Mehr als 1000 Aussteller und 20.000 Besucher: So groß war die Hydrogen Technology Expo in Hamburg noch nie. Doch hinter den beeindruckenden Zahlen offenbarte sich vom 21. bis 23. Oktober eine Branche im Wartemodus – ein aktuelles Gutachten des Bundesrechnungshofs bestätigt diesen Eindruck. Wir schauen uns an, was den Wasserstoffhochlauf ausbremst.
Mit 1.000 Ausstellern in sieben Hallen und über 20.000 Besuchern war die Hydrogen Technology Expo 2025 die bisher größte Ausgabe der Messe. Doch hinter dem Wachstum verbirgt sich eine Branche im Umbruch.
Foto: Trans-Global Events
Die Hydrogen Technology Expo (HTE) hätte sich keine passendere Gastgeberin aussuchen können. Denn Klimaschutz spielt in der Stadt Hamburg eine große Rolle: Beim Volksentscheid am 12. Oktober stimmten 303.936 Einwohnerinnen und Einwohner – 53,1 % der Teilnehmenden – dafür, die für 2045 anvisierte Klimaneutralität der Hansestadt auf 2040 vorzuverlegen. Ein starkes Signal – dem nun Taten folgen müssen. Erste Projekte laufen bereits, darunter ein 100-MW-Elektrolyseur an einem ehemaligen Kohlekraftwerk.
Die Voraussetzungen sind also geschaffen, doch das Ziel ist noch weit entfernt. Einen ähnlichen Eindruck konnten Besucher der 5. HTE vom Wasserstoffhochlauf gewinnen. An kaum einem Ort wird das Potenzial der Branche so sichtbar wie hier. Doch ebenso sichtbar sind die Herausforderungen – und die Lösungsansätze.
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Aussteller- und Besucherrekord
Nach drei Ausgaben in Bremen entschied sich der britische Veranstalter der HTE, Trans-Global Events, 2024 zu einem Umzug in die Hansestadt. Und der Erfolg gab ihm recht: Die letztjährige HTE war mit über 700 Ausstellern und drei Hallen die bis dato größte. 2025 konnte Transglobal diesen Erfolg sogar toppen: Ganze sieben Hallen füllten die 1000 Aussteller, der Veranstalter meldete mehr als 20.000 Besucher– ein deutlicher Zuwachs gegenüber dem Vorjahr (15.000).
Eine Branche im Stillstand?
Auf den ersten Blick geht es der Wasserstoffbranche also gut: Mehr Besucher, mehr Aussteller, mehr öffentliches Interesse. Aber im Gespräch mit den Ausstellern zeigt sich: Die europäische Wasserstoffwirtschaft steckt fest. „Die Situation ist nicht leicht für die Branche, denn einige Hersteller sind wieder in Schieflage geraten. Ich habe den Eindruck, dass an vielen Stellen zwar Interesse und Projekte in der Pipeline sind, aber es dauert einfach alles länger als erwartet“, erklärt ein mittelständischer Brennstoffzellenhersteller.
Bei der Großindustrie sieht es nicht besser aus. „Die Anzahl der Projekte ist extrem zurückgegangen“, sagt der Vertriebsleiter eines global tätigen Anbieters von Kompressoren und Elektrolyseuren. International gebe es wieder mehr Interesse am Öl- und Gasgeschäft, Neuaufträge aus dem Wasserstoffmarkt erhalte man hingegen kaum. Ein großer Produzent von Wasserstoff-Messtechnik bestätigt den Eindruck: „Der Markt hat sich konsolidiert. Es gab einige Projekte, bei denen der Stecker gezogen wurde, aber ganz viele sind einfach ‚on hold‘.“
Bundesrechnungshof: „Es ist Zeit für einen Realitätscheck“
In einem kurz nach der Messe veröffentlichten Sonderbericht bestätigt der Bundesrechnungshof diesen Eindruck: „Trotz milliardenschwerer Förderungen verfehlt die Bundesregierung ihre ambitionierten Ziele beim Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft“, erklärte Präsident Kay Scheller. Der Bund habe in den Jahren 2024 und 2025 mehr als 7 Mrd. € an Subventionen bereitgestellt – und die Ziele der 2023 verabschiedeten „Nationalen Wasserstoffstrategie“ trotzdem nicht erreicht.
Die Behörde fordert nun einen grundlegenden „Realitätscheck“ der Wasserstoffstrategie – und die Entwicklung eines „Plan B“, um die Klimaneutralität bis 2045 notfalls auch ohne eine dauerhaft subventionierte Wasserstoffwirtschaft zu erreichen. Das Wirtschaftsministerium habe zwar erkannt, dass es handeln müsse, halte aber die geplanten Maßnahmen selbst nicht für ausreichend. „Es ist Zeit für einen Realitätscheck“, so Scheller.
Gibt es also keine positiven Botschaften aus Hamburg? Doch – international entwickelt sich die Branche. Timo Bollerhey, Mitgründer der internationalen Wasserstoff-Plattform H2Global, erklärt: „Die Wasserstoff-Transformation findet statt, aber sie findet nicht in Europa statt, sie findet nicht in den USA statt – sie findet in China statt, sie findet in Indien statt. Und ich denke, wir sind im Moment zu pessimistisch in Europa.“

Zahlreiche Hersteller präsentierten in Hamburg ihre neuesten Lösungen. Die Produktionskapazitäten sind da – doch verbindliche Abnahmeverträge fehlen noch.
Foto: Trans-Global Events
Momentum trotz Krise
Wie um dies zu untermauern, präsentierte Ivana Jemelkova, CEO des Hydrogen Council, in ihrer Eröffnungs-Keynote Zahlen aus dem aktuellen Global Hydrogen Compass: Weltweit haben 510 Projekte die finale Investitionsentscheidung (FID) erreicht – nur 2 % aller angekündigten Projekte, aber immerhin 83 mehr als noch im Mai 2024. Die Gesamtkapazität der FID-Projekte liegt bei etwa 26 GW. Pikant: Rund die Hälfte davon stammt aus China, auf Platz zwei liegen die USA und Kanada. Europa belegt den dritten Platz. Weltweit wurden bislang 110 Mrd. € in saubere Wasserstoffprojekte investiert, 2020 waren es gerade einmal 10 Mrd.
„Wir sehen einen Übergang von Ideen zur Realität“, so die Leiterin des globalen Wasserstoffrats. Nach Jahren überzogener Erwartungen sei die Branche in der Wirklichkeit angekommen. Die Konsolidierung, so der Tenor vieler Sprecher bei der Auftaktveranstaltung, sei schmerzhaft, aber notwendig. 52 Projekte wurden in den letzten 18 Monaten gestrichen – „eine schlechte Nachricht pro Woche“, wie Jemelkova einräumte. Doch insgesamt gleiche dieser Prozess einer heilsamen Fastenkur – und sei völlig normal: „Jede Industrie durchläuft diese Phase.“
CEOs großer Unternehmen zeigten sich zunehmend überzeugt vom langfristigen Wachstum der Branche, wie eine Befragung des Hydrogen Council ergab. „Es ist kein Hype mehr, aber auch keine Untergangsstimmung“, fasste Jemelkova zusammen. „Es ist eine Industrie im normalen Aufbauprozess.“ Entscheidend sei nun, dass Politik und Wirtschaft in Europa jetzt die Weichen richtig stellten, um global nicht den Anschluss zu verlieren. Aber in welche Richtung?

Während auf der Hamburger Messe intensive Gespräche über Europas Wasserstoffzukunft geführt wurden, werden in China bereits die Hälfte aller weltweiten Wasserstoffprojekte entwickelt.
Foto: Trans-Global Events
„Das Ende des Henne-Ei-Problems“
Das wichtigste Buzzword in der Branche sei derzeit „Nachfrage“ (engl. „demand“), erklärte Jorgo Chatzimarkakis vom europäischen Wasserstoffverband Hydrogen Europe: „Demand, demand, demand“. Er sehe ein Ende des berühmten „Henne-Ei-Problems“. Produktion, Infrastruktur und Nachfrage müssten parallel hochgefahren werden, da sie sich gegenseitig bedingen – so lautete lange das Credo. Doch ein Branchenkenner brachte den aktuellen Stimmungswandel auf den Punkt: „Es ist nicht mehr ein Henne-Ei-Problem, es ist nur noch ein Ei-Problem – und das Ei heißt Nachfrage.“
Ein Blick auf die Zahlen bestätigt das. Die Produzenten stehen in den Startlöchern – weltweit sind sogar über ein Terawatt (1000 GW) Elektrolysekapazität angekündigt, wie Strategy& in einer aktuellen Analyse zeigt. Und die Infrastrukturplanung macht Fortschritte, in Deutschland etwa in Form des im Juli 2024 beschlossenen Wasserstoff-Kernnetzes und auf europäischer Ebene mit dem European Hydrogen Backbone.
Der Haken ist die (verbindliche) Nachfrage. Sie wäre gleichsam die Lok, die den Zug des Wasserstoffhochlaufs vom Bahnhof auf die Gleise zieht. Laut dem Global Hydrogen Compass liegen weltweit nur 3,6 Mio. t pro Jahr an bindenden Abnahmeverträgen vor. Durch konsequente Umsetzung bestehender Politikmaßnahmen – etwa der RED III in Europa – könnten weitere 8 Mio. t Nachfrage entstehen. Doch das bleibt Konjunktiv – und würde immer noch nicht ausreichen.
Eine Frage der Nachfrage
Wie lässt sich die stockende Nachfrage ankurbeln? Die Antwort ist überraschend eindeutig: Ob Hafenbetreiber, Fachverbände, Technologiekonzerne oder Finanzspezialisten – die in Hamburg versammelten Expertinnen und Experten fordern im Grunde alle das gleiche Paket an Maßnahmen.
- Eine Vereinfachung der bestehenden Regeln
- Eine schnelle und verbindliche Umsetzung der Regeln in nationales Recht
- Die Schaffung zusätzlicher Nachfrage durch Leitmärkte
1. Erst machbar machen
Im Zentrum der Debatten um Wasserstoff-Regulierung stehen die in der 3. Renewable Energy Directive – kurz: RED III – festgelegten RFNBO (Renewable Fuels of Non-Biological Origin)-Kriterien der EU. Sie legen fest, wann Erzeuger ihren Wasserstoff als erneuerbar oder „grün“ deklarieren dürfen. Kurz gesagt ist das der Fall, wenn er
- mindestens 70 % Treibhausgase gegenüber fossilen Alternativen einspart
- aus zusätzlichen, also speziell für die H2-Produktion errichteten Grünstromanlagen stammt und
- zeitlich sowie räumlich parallel zur Stromerzeugung produziert wird– ab 2030 im Stundenraster.
In der Praxis machen diese Anforderungen grüne Wasserstoffproduktion sehr komplex. „Vielleicht versuchen wir zu perfekt zu sein“, warnte Ivana Jemelkova vom Hydrogen Council. H2Global-Chef Timo Bollerhey berichtete: „80 % der Fragen in unseren Roadshows mit mehr als 2.000 Teilnehmern waren: Ist das RFNBO, oder ist es kein RFNBO? Diese Unsicherheit tötet Projekte.“ Deshalb plädieren viele Experten für eine Verschlankung der Kriterien. Das brächte mehr Wasserstoffproduktion, was den Preis senkt und die Nachfrage ankurbelt.
An konkreten Vorschlägen zur Vereinfachung mangelt es nicht. Dirk Niemeyer, Head of Hydrogen beim Strategieberater Strategy&, nannte zwei zentrale Stellschrauben. Erstens sollte das Kriterium der Additionalität gelockert werden – etwa indem auch abgeregelter Grünstrom (Redispatch) genutzt werden darf. Und zweitens müsste es bei der zeitlichen Korrelation großzügigere Ausnahmen geben. „Das erfordert kein komplett neues Regelwerk“, so Niemeyer , „sondern vereinfacht die bestehenden Anforderungen und ermöglicht günstigere Produktion.“

Die Technologie für grünen Wasserstoff ist mehr oder weniger ausgereift – weltweit sind über ein Terawatt Elektrolysekapazität angekündigt.
Foto: Trans-Global Events
2. Dann verbindlich machen
Dennoch ist RFNBO-konforme Produktion schon heute nicht unmöglich. Das zeigen Unternehmen wie der französische Hersteller Lhyfe: 2024 machte dieser 5 Mio. € Umsatz mit RFNBO-konformem, grünen Wasserstoff – mehr als alle anderen europäischen H2-Produzenten zusammen. Für 2025 rechnet Lhyfe mit weiterem Wachstum.
Noch wichtiger als eine Vereinfachung wäre daher die konsequente Umsetzung der bestehenden Regeln. Denn RED III ist eigentlich dazu gemacht, die Wasserstoffnachfrage anzukurbeln: Beispielsweise müssen Raffinerien ab 2030 eine Beimischungsquote von 1,5 % erneuerbaren Wasserstoffs erfüllen. Wasserstoff-Experte Luc Graré rechnet vor: „Dann würden wir eine Nachfrage von 2,5 GW Elektrolysekapazität bis 2030 bekommen – das wäre doch schonmal ordentlich.“ Auch für die Mobilität sieht RED III solche RFNBO-Quoten vor.
Das Problem: Die Umsetzung der Kriterien in nationales Recht verzögert sich. Eigentlich hätte RED III schon im Mai implementiert sein sollen, doch die EU-Mitgliedsstaaten lassen sich Zeit. Zahlreiche Branchenverbände fordern nun dringend das Inkrafttreten zum 1. Januar 2026. Denn die anhaltende Verzögerung führt zu Verunsicherung bei Investoren. „Wenn im Markt die Erwartung besteht, dass wir vielleicht noch zwei Jahre warten und dann die Quoten verschieben, wird nichts passieren. Wir brauchen diese Sicherheit – dann kann der Markt darauf reagieren“, so H2Global-Chef Timo Bollerhey.
3. Dann zusätzlich ankurbeln
Zuletzt forderten die Experten in Hamburg zusätzliche Anreize. Ein beliebtes Instrument dafür sind grüne Leitmärkte: staatliche Beschaffungsregeln, die gezielt Nachfrage nach grünen Produkten schaffen. „Die Regierung sollte vorgeben: Wir nehmen nur noch grünen Stahl – für die Eisenbahn, für Gebäude von Behörden und so weiter“, so Branchenkenner Graré. „Das wird den Ticketpreis für die Eisenbahn nicht nach oben bringen. Und auch wenn man Gebäude mit grünem Stahl ausstattet, wird das keine Mieterhöhung bedeuten.“
Grüne Leitmärkte wünscht sich die heimische Industrie seit Jahren. Das gilt speziell für energieintensive Branchen wie den Stahl, die günstige – und CO2-intensivere – Konkurrenz aus China fürchten. Dennoch gibt es hier bislang kaum Bewegung. Jorgo Chatzimarkakis warnte angesichts der politischen Untätigkeit vor einer „Musealisierung Europas“: „In einer Welt, in der alle Wirtschaftsräume Schutzzölle erheben und ihre Industrien fördern, können wir nicht die einzigen sein, die das nicht tun. Denn sonst werden wir bald wirtschaftlich keine Rolle mehr spielen und ein Industriemuseum für den Rest der Welt – eine globale Akropolis.“
Doch Leitmärkte allein reichen nicht. Strategy&-Experte Niemeyer betonte die Förderung neuer Infrastruktur für den Wasserstofftransport oder neuer Grünstrom-Anlagen. Erst durch das Zusammenspiel von Nachfrageanreizen, Infrastrukturinvestitionen und industriepolitischem Schutz könne Europa im globalen Wasserstoffrennen mithalten.

Expertinnen und Experten forderten auf der HTE sehr konkrete Maßnahmen, darunter Vereinfachung der RFNBO-Kriterien, schnelle Umsetzung in nationales Recht und staatliche Leitmärkte.
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Fazit: Die Politik ist am Zug
Alle Lösungsansätze haben eins gemeinsam: Die Politik muss handeln. Bislang hat sie sich viel vorgenommen, aber wenig erreicht. 2023 sah die „Nationale Wasserstoffstratgie 2.0“ der Bundesregierung noch eine Kapazität von 10 GW bis 2030 vor – und das allein in Deutschland. Dass dieses Ziel realistisch ist, glaubt inzwischen niemand mehr. Christine Falken-Großer vom Bundeswirtschaftsministerium räumte ein: „Wir haben die Kosten, Preise und die Komplexität total unterschätzt.“ Ähnliche Zielvorgaben gibt es auf EU-Ebene – doch auch hier entfernt man sich immer weiter vom Zeitplan.
Klar ist: Die Uhr tickt. Gerade Deutschland droht, international ins Hintertreffen zu geraten. Bernd Pitschak, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Wasserstoffverbandes, warnte in seiner Auftaktrede: „Die nächsten 12 Monate werden darüber entscheiden, ob Deutschland eine führende Wirtschaftsnation beim Wasserstoff bleibt oder den Anschluss verliert“. Demnach dürfte die Hydrogen Technology Expo im nächsten Jahr besonders spannend werden.
Die Gastgeberstadt könnte dabei als positives Beispiel vorangehen: Um bis 2040 klimaneutral zu werden, will die Stadt Hamburg ihr Erdgasnetz stilllegen – und Industrieunternehmen sollen vollständig auf E-Fuels und grünen Wasserstoff umsteigen. Das sind im Grunde genau jene klaren politischen Vorgaben, die eine grüne Wasserstoffnachfrage anstoßen können. Womöglich beginnt der Aufschwung der Branche also direkt vor den Hamburger Messehallen.
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