Wie geht es weiter mit dem Wasserstoff in Deutschland? 28.04.2025, 17:00 Uhr

„Wasserstoff ist das neue Betriebssystem unserer Industrie“

Georgios Chatzimarkakis, CEO von Hydrogen Europe, sieht Wasserstoff als zentrales Element in der deutschen und europäischen Industrie- und Energiepolitik.

Wasserstoff gilt inzwischen als zentrales, zukünftiges  Element der Energieversorgung in der EU und in Deutschland. 
Foto: PantherMedia / phonlamai

Wasserstoff gilt inzwischen als zentrales, zukünftiges Element der Energieversorgung in der EU und in Deutschland.

Foto: PantherMedia / phonlamai

Georgios Chatzimarkakis ist CEO des europäischen Wasserstoffverbandes Hydrogen Europe. Seit neun Jahren arbeitet er daran, Wasserstoff als zentrales Element in die wirtschaftspolitische Strategie Deutschlands und Europas zu integrieren. Ohne ihn werde eine klimaneutrale Zukunft nicht funktionieren.

Herr Chatzimarkakis, Wasserstoff ist mittlerweile im Koalitionsvertrag der kommenden Bundesregierung verankert. Reicht das aus, um die Branche in Schwung zu bringen?

Ja, absolut. Und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Es heißt dort nicht nur „wir wollen“, sondern „wir werden“. Das ist mehr als Symbolik – es bedeutet, dass konkret Geld bereitgestellt wird. Das allein zeigt, wie ernst das Thema mittlerweile genommen wird. Man hätte Wasserstoff ja auch komplett weglassen können. Noch vor drei Jahren war das durchaus denkbar.

Was hat sich seitdem verändert?

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Damals waren die Grünen noch ohne aktuelle Regierungserfahrung und in vielen Punkten dogmatisch. Die typische Haltung war: Strom ist die einzig saubere Energie, alles andere ist überflüssig. Dieses Strommonopoldenken war weit verbreitet.

Heute ist die Lage also eine andere?

Definitiv. Wir haben es geschafft, Wasserstoff als zentrales Element in die wirtschaftspolitische Strategie zu integrieren. Ich sage bewusst: Wasserstoff ist das neue Betriebssystem unserer Industrie. Ohne ihn wird eine klimaneutrale Zukunft in Europa nicht funktionieren. Und das ist mittlerweile im politischen Bewusstsein angekommen. Jetzt braucht es nur noch das entsprechende Update.

Und das beginnt bei der Infrastruktur?

Genau. Der Koalitionsvertrag nennt das Kernnetz explizit, und das ist zentral. Eine Infrastruktur ohne Abnehmer ist sinnlos. Wer ein Netz plant, der geht davon aus, dass es auch genutzt wird. Und das wiederum bedeutet: Es wird produziert werden, es wird Nachfrage geben. Damit ist das Henne-Ei-Problem gelöst – oder zumindest lösbar.

Wasserstoff: Mit Leitmärkten den Hochlauf absichern

Was fehlt noch?

Der Wille, es auch umzusetzen.

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Wie lässt sich das Henne-Ei-Problem konkret überwinden?

Indem man nicht nur über Produktion oder Nachfrage redet, sondern beides gleichzeitig anschiebt. Das funktioniert mit sogenannten Leitmärkten. Wir haben mit der EU-Kommission darüber gesprochen, wie man gesetzlich regulierte Märkte schafft, in denen bestimmte Quoten gelten – etwa für grünen Wasserstoff in Stahl, Chemie oder Raffinerien. Das heißt: In bestimmten Industrien muss ein Teil des eingesetzten Wasserstoffs grün sein. So entsteht ein verbindlicher Marktrahmen.

Aber solche Regeln führen nicht selten zu höheren Preisen.

Ja, kurzfristig. Aber langfristig schaffen sie Investitionssicherheit. Wenn niemand bestellt, weil die Rechtslage unklar oder die Bürokratie zu groß ist, dann kaufen unsere Industriepartner eben nichts – und das macht es für Anbieter wie uns unmöglich, Technologien zu skalieren.

Europas Ziele für Wasserstoff sind kaum mehr erreichbar

Georgios Chatzimarkakis, seit über neun Jahren CEO von Hydrogen Europe, sieht die Wasserstoffwirtschaft in Deutschland und Europa an einem Scheidepunkt angekommen. Foto: Hydrogen Europe

Georgios Chatzimarkakis, seit über neun Jahren CEO von Hydrogen Europe, sieht die Wasserstoffwirtschaft in Deutschland und Europa an einem Scheidepunkt angekommen.

Foto: Hydrogen Europe

Lassen Sie uns über Europa sprechen. Ziel sind 20 Mio. t Wasserstoff bis 2030, die Hälfte davon aus europäischer Produktion. Ist das realistisch?

Diese Zahl entstand unter dem Eindruck des russischen Überfalls auf die Ukraine. Hätten wir damals sofort gehandelt – Definitionen festgelegt, Investitionssicherheit geschaffen – dann wäre das machbar gewesen. Heute ist das kaum noch realistisch. Die Politik war zu langsam, zu zögerlich.

Welche Märkte haben Sie denn konkret im Blick?

Drei, ganz klar: Stahl, Chemie – insbesondere Düngemittel – und Raffinerien. Hinzu kommt die Mobilität, vor allem im Schwerlastverkehr und die Luftfahrt. Wir arbeiten mit Airlines wie Air France-KLM, SAS und EasyJet zusammen, um SAF (Sustainable Aviation Fuels) zu etablieren. Lufthansa macht leider nicht mit – das ist enttäuschend.

Und der Schiffsverkehr?

Auch dort tut sich etwas. Die IMO (International Maritime Organization) hat neue Entwicklungen angekündigt. Gleichzeitig signalisiert China, dass es Vorreiter im Bereich Klimatechnologie bleiben will. Das setzt uns unter Druck, auch in Europa. Wenn wir da mithalten wollen, und die Chance haben wir, dann müssen wir jetzt agieren.

Gibt es denn die Technologie?

Ja, denn bei Wasserstoff sind wir noch führend – bei Brennstoffzellen, H2-Verbrennungsmotoren, Elektrolyseuren. Daimler Truck hat mit seinem H2-Truck einen Reichweitenrekord hingelegt. Unsere Unternehmen sind top. Aber wenn niemand bestellt, weil die Ausschreibungen zu komplex sind, geht das schief. Dann können unsere Produkte nicht skaliert werden. Es ist ein klassischer Teufelskreis.

Wasserstoff mit dezentralen Netzen bei Schlüsselbranchen anschieben – zum Beispiel Rechenzentren

Wie sieht es mit dezentralen Strukturen für eine Wasserstoffwirtschaft aus?

Die wurden bislang ideologisch ausgeschlossen. Dabei machen sie absolut Sinn – vor allem bei Rechenzentren. Diese wollen sich autark versorgen, auch mit Wasserstoff. Kleine Elektrolyseure reichen aus. Der Effizienzverlust gegenüber großen Anlagen wird durch Resilienz und Versorgungssicherheit wettgemacht.

Was genau meinen Sie damit?

Rechenzentren sind derzeit einer der dynamischsten Nachfragemärkte für saubere Energie. Die Hyperscaler wie Amazon, Google oder Microsoft wollen ihre Serverparks autark betreiben – mit eigenen sauberen Stromquellen. Da kommt Wasserstoff ins Spiel. Die Betreiber wollen Energieinseln bauen, komplett unabhängig vom Stromnetz. Das geht nur, wenn sie lokal produzieren – also mit kleinen Elektrolyseuren. Und das ist absolut machbar.

Inwiefern sehen Sie militärische Anwendungen als Chance für die Wasserstoffwirtschaft?

Wir müssen aufhören, Verteidigung und Nachhaltigkeit als Gegensätze zu denken. Warum sollten nicht auch Artilleriegeschosse oder Panzer mit nachhaltigen Energieträgern versorgt werden? Das ist ein realistischer Markt. Ich war selbst bei Thyssenkrupp Marine Systems, als dort U-Boote mit Wasserstoffantrieb gebaut wurden. Wir sehen heute: Auch in der Rüstungsindustrie entstehen neue Anforderungen an Nachhaltigkeit. Das können und sollten wir nutzen – auch zur zivilen Technologieentwicklung.

Lokaler weißer Wasserstoff wäre strategisch sehr wichtig für die Stahlbranche

Ein anderer Trend: Weißer Wasserstoff. Was ist dran?

Sehr spannend! In Frankreich wurde kürzlich weißer Wasserstoff entdeckt – also natürlich vorkommender Wasserstoff im Boden. Und das nur wenige Kilometer von Dillingen [Deutscher Stahlstandort im Saarland, Anm. d. Red.] entfernt. Das könnte strategisch wichtig werden, gerade für energieintensive Betriebe wie Saarstahl: Wer weiß – vielleicht können wir in ein paar Jahren auf lokal verfügbaren Wasserstoff zugreifen, ohne aufwendige Importe.

Ein letzter Punkt: Kernfusion. Spielt das für Sie eine Rolle?

Langfristig ja. Kurzfristig bin ich skeptisch. Seit Jahrzehnten hören wir, dass der Durchbruch „nächstes Jahr“ kommt. Ich warte, bis er wirklich kommt. Aber klar ist: Wenn wir irgendwann Wasserstoff durch Fusion erzeugen können, ist das ein Gamechanger.

 

Ein Beitrag von:

  • Stephan W. Eder

    Stephan W. Eder

    Stephan W. Eder ist Technik- und Wissenschaftsjournalist mit den Schwerpunkten Energie, Klima und Quantentechnologien. Grundlage hierfür ist sein Studium als Physiker und eine anschließende Fortbildung zum Umweltjournalisten.

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