Rheinmetall plant Hunderte E-Fuel-Anlagen für Europas Streitkräfte
Rheinmetall will europäische Streitkräfte mit eigenem E-Fuel versorgen – und plant Hunderte dezentrale Produktionsanlagen. Das Projekt „Giga PtX“ setzt dabei auf Technologie der deutschen Unternehmen Sunfire, Ineratec und Greenlyte Carbon Technologies.
Auf der Rüstungsmesse "Eurosatory" präsentierte Rheinmetall 2024 ein mit E-Fuel betanktes Militärfahrzeug.
Foto: picture alliance / Chris Emil Janßen
E-Fuels für das Militär: Rheinmetall hat eine Allianz deutscher Industrieunternehmen ins Leben gerufen, um synthetische Kraftstoffe im großen Stil direkt in Europa zu produzieren. Das meldete der Düsseldorfer Rüstungskonzern am Montag.
Das Projekt „Giga PtX“ sieht ein europaweites Netzwerk mit mehreren Hundert dezentralen Produktionsanlagen vor, die jährlich jeweils 5000 t bis 7000 t E-Fuels für Militär und kritische Infrastrukturen herstellen sollen. In dem Verbund sind neben Rheinmetall drei weitere deutsche Unternehmen vertreten: Sunfire stellt die Elektrolyse für die Wasserstoffproduktion, Greenlyte Carbon Technologies die Technologie zur CO₂-Abscheidung und Ineratec das Equipment für die E-Fuel-Synthese.
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Rheinmetall als PtX-Generalunternehmer
Rheinmetall will das Projekt nicht nur koordinieren, sondern als Generalunternehmer fungieren. Dazu gehören die Systemintegration, Konzeption und Bau sowie Wartung und Betrieb der auf industriellen Maßstab ausgelegten Anlagen. „Wir bieten unseren Kunden eine ganzheitliche Lösung – von der Engineering-Phase bis zum langfristigen Betrieb“, heißt es aus dem Unternehmen.
„Kriegstüchtigkeit erfordert eine resiliente Energieinfrastruktur“, betont Rheinmetall-CEO Armin Papperger. „Die Aufrechterhaltung von Lieferketten für fossilen Kraftstoff wird für die europäischen Staaten im Verteidigungsfall herausfordernd sein.“
Mit den Giga-PtX-Anlagen setze Rheinmetall ein Signal für die industrielle Transformation, den Klimaschutz sowie die sicherheitspolitische Resilienz Europas, heißt es in einer Pressemitteilung.
Sunfire liefert Elektrolyse-Technologie
Kernstück der geplanten E-Fuel-Anlagen sind die Druck-Alkali-Elektrolyseure sowie die SOEC-Technologie (Solid Oxide Electrolysis Cell) des Dresdner Elektrolyseurbauers Sunfire. Letztere arbeitet bei 850 °C und nutzt Dampf oder industrielle Abwärme statt Strom. Das verbessert die Effizienz: Während alkalische und PEM-Elektrolyseure auf Wirkungsgrade von 60 % bis 80 % kommen, erreichen die SOEC-Anlagen laut Sunfire rund 84 %. Die dritte Generation soll sogar 89 % schaffen.
Bei gleichem Strombedarf kann also mehr Wasserstoff produziert und in der Folge mehr Kraftstoff hergestellt werden. Sunfire hat erst kürzlich in Rotterdam den weltweit größten Hochtemperatur-Elektrolyseur in Betrieb genommen. Die Anlage produziert mehr als 60 kg grünen Wasserstoff pro Stunde.
Komplette Wertschöpfungskette von deutschen Unternehmen
Neben Sunfire sind auch Ineratec aus Karlsruhe sowie das nordrhein-westfälische Start-up Greenlyte Carbon Technologies Teil der Allianz. Ineratec verantwortet dabei die Reverse-Water-Gas-Shift-Prozesse (RWGS) und die Fischer-Tropsch-Prozesse, mit denen Wasserstoff und Kohlenstoffdioxid in E-Fuels umgewandelt werden. Das Unternehmen hatte im Juni eine große E-Fuels-Anlage in Frankfurt-Höchst gestartet.
Greenlyte Carbon Technologies aus Essen soll das für den Prozess notwendige CO₂ bereitstellen. Dafür setzt das Unternehmen auf seine elektrifizierte LiquidSolar-Technologie. Mit ihrer Hilfe kann Greenlyte Kohlenstoff direkt aus der Umgebungsluft abscheiden (Direct Air Capture) und gleichzeitig grünen Wasserstoff produzieren. „Durch dieses Merkmal wird ein von bestehender Infrastruktur entkoppelter und flexibler Betrieb der Anlagen ermöglicht“, erklärt Rheinmetall. Das erhöht die Unabhängigkeit bei der Standortwahl erheblich.
„Wir haben genau die Partner, die wir brauchen“, resümiert Birgit Görtler, Vice President Sales Hydrogen bei Rheinmetall. „Wir sind bereit und können sofort loslegen. Wir stehen sprichwörtlich Gewehr bei Fuß, um die Kraftstoffresilienz in Deutschland und Europa nachhaltig zu stärken.“
E-Fuels: Renaissance im Rüstungswesen?
Während E-Fuels im Pkw-Sektor aus Kosten- und Effizienzgründen nur eine Nischenrolle spielen, gewinnen sie für Militär, Luftfahrt und Schifffahrt an Bedeutung. Davon könnte auch das Klima profitieren: Laut einer 2022 veröffentlichten Studie der Scientists for Global Responsibility ist das Militär für rund 5,5 % der globalen CO₂-Emissionen verantwortlich. Zum Vergleich: Das ist ungefähr so viel, wie der gesamte Luft- und Schiffsverkehr zusammen verbrauchen.
Hinzu kommt: Sobald Kraftstoffe vor Ort erzeugt werden, entfällt die Abhängigkeit von langen und fragilen Lieferketten fossiler Energieträger. Das stärkt nicht nur die Resilienz militärischen Geräts, sondern macht auch kritische Bereiche wie Krankenhäuser oder Logistiksysteme widerstandsfähiger.
„Grüner Wasserstoff als lokaler, erneuerbarer Energieträger verschafft Europa die Freiheit, unabhängig zu handeln“, unterstreicht Sunfire-CEO Nils Aldag. „Diese ‚Sicherheitsdividende‘ ist bislang zu kurz gekommen – und hier setzt unsere Partnerschaft für Giga PtX an.“
„Erste Anlagen können kurzfristig realisiert werden“
Allerdings ist „Giga PtX“ noch kein beschlossenes Projekt. Rheinmetall betont: „Erste Anlagen können kurzfristig realisiert werden, sobald die politischen und regulatorischen Rahmenbedingungen festgelegt sind.“ Konkrete Finanzierungszusagen, Zeitpläne oder Standorte sind bislang nicht bekannt.
Kritiker könnten daher einwenden, dass die praktische Umsetzung noch in weiter Ferne liegt. Andererseits ist Rheinmetall mit 40.000 Mitarbeitenden an 174 Standorten weltweit und einem Umsatz von 9,8 Mrd. € (2024) ein Schwergewicht der europäischen Industrie – und hat sich in den vergangenen Jahren binnen Rekordzeit zu einem der wichtigsten Player auf dem Markt entwickelt.
Zudem stimmt das Timing: Die geopolitische Lage ist unklar, und die Verteidigungsbudgets steigen. Gleichzeitig verfügt Europa mit Sonne, Wind und Wasser über alle Voraussetzungen, grünen Wasserstoff und daraus synthetisierte E-Fuels eigenständig zu produzieren. Ob „Giga PtX“ Realität wird, dürfte demnach vor allem davon abhängen, ob und wie schnell die europäischen Regierungen das Projekt als strategisch notwendig einstufen.
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