Europa wankt, China rüstet auf – letzte Chance für die Wasserstoff-Wende
Lhyfe ist aktuell der größte Produzent von zertifiziertem grünen Wasserstoff in Europa. Deutschland-Chef Luc Graré erklärt exklusiv auf ingenieur.de, wo die Branche steht – und was sie wirklich braucht.
Luc Graré ist seit 2022 Deutschland-Chef des französischen Wasserstoff-Produzenten Lhyfe.
Foto: picture alliance / SZ Photo | Mike Schmidt
Inhaltsverzeichnis
ingenieur.de: Herr Graré, Ende Oktober wurde Ihr 10-MW-Elektrolyseur in Schwäbisch Gmünd eingeweiht. Wie liefen die ersten Wochen?
Luc Graré: Die Inbetriebnahme läuft nach Plan. Die Einweihung fand statt, als die Anlage noch nicht vollständig in Betrieb war – das ist bei solchen Projekten durchaus üblich. Erst danach haben wir mit dem finalen Hochfahren begonnen. Der „First Bubble“, also der allererste Wasserstoff, kam wenige Tage später. Wirklich kommerziell wollen wir dann ab Mitte Dezember produzieren.
Ist die Inbetriebnahme oder „Commissioning-Phase“ denn so komplex?
Absolut, das wird in der Branche massiv unterschätzt. Viele denken: „Zwei, drei Monate Commissioning – was soll da schon sein?“ Experten aus der Öl- und Gasindustrie wissen, dass derart komplexe Systeme viel länger brauchen. Wir haben noch vor dem Sommer mit dem Commissioning begonnen, als die Anlage mechanisch und elektrisch fertig war. Erst dann beginnt die eigentliche Arbeit: Leitungen auf Dichtheit prüfen, Kompressoren testen, hunderte Sensoren durchgehen, die gesamte Steuerung einrichten. Das ist harte Ingenieurarbeit.
Wo liegen die größten Stolpersteine?
Im Zusammenspiel aller Komponenten. Man muss das gesamte System orchestrieren – wie bei einem Orchester, wo jede Stimme perfekt mit den anderen harmonieren muss. Hinzu kommt die Unreife vieler Komponenten. Die Hersteller – ob Elektrolyseure, Kompressoren oder Tanks – sind selbst noch in der Entwicklung. Das ist logisch: Die Branche ist noch klein, und es gibt nicht viele echte Anlagen. Aber es verzögert die Inbetriebnahme eben um Monate.
Sie haben inzwischen vier Elektrolyseure in Betrieb – drei in Frankreich, einen in Deutschland. Wird es einfacher?
Definitiv. Mit jeder Anlage lernen wir dazu und werden besser. Aber solange die Komponenten noch nicht ausgereift sind, bleibt das Commissioning eine Herausforderung.
Wasserstoff-Nachfrage
Finden Sie eigentlich Abnehmer für Ihren Wasserstoff?
Definitiv. Wir haben letztes Jahr 5 Mio. € Umsatz mit grünem Wasserstoff gemacht – mehr als alle anderen Industriegasproduzenten zusammen. Im Grunde sind wir als Einzige wirklich im Markt aktiv. Jedes Quartal verdreifachen wir unseren Umsatz im Vergleich zum Vorjahresquartal. Für 2025 peilen wir 10 Mio. € an – also eine Verdopplung zum Vorjahr. Wir merken: Der Markt wächst, auch wenn er nicht explodiert.

Der 10-MW-Elektrolyseur von Lhyfe in Schwäbisch Gmünd wurde Ende Oktober 2024 offiziell eingeweiht. Die kommerzielle Produktion startet Mitte Dezember.
Foto: Lhyfe
Wo liegen die Hauptabsatzmärkte?
Die Hälfte unserer Produktion geht in die Mobilität – vor allem Busse. Jeden Monat gibt es mindestens zwei neue Ausschreibungen in Deutschland für Busflotten mit 20 bis 30 Fahrzeugen. Das ist kein Riesenmarkt, wächst aber stabil. Von der anderen Hälfte geht ein Viertel an Forschungszentren und Hersteller von Brennstoffzellen. Das letzte Viertel liefern wir an Industriebetriebe – diese verwenden es aber nicht als Erdgasersatz, sondern für hochspezialisierte Prozesse.
Sie haben die Busflotten als Hauptabnehmer erwähnt. Fürchten Sie nicht, dass H2-Busse und andere Nutzfahrzeuge letztlich doch durch E-Fahrzeuge obsolet werden?
Diese Entweder-oder-Diskussion sollte endlich aufhören. Man muss Batterie und Wasserstoff als integrales Energiesystem betrachten. Batterien haben enorme Fortschritte gemacht – mit Blick auf Gewicht, Energiedichte und Ladezeit. Aber die Infrastruktur ist eine Herausforderung. Wenn heute Abend 100 bis 200 Lkw auf einer Raststätte stehen und alle über Nacht aufgeladen werden müssen, brauchen Sie 10 MW bis 15 MW Leistung. Wo sollen die herkommen? In Schwäbisch Gmünd war eine unserer größten Herausforderungen, überhaupt einen Standort zu finden, der diese Leistung bietet.
Wasserstoff bleibt also relevant in der Mobilität?
Ja, als Teil eines Gesamtsystems. Es wird eine gesunde Mischung geben – wie in den letzten 40 Jahren bei Benzin und Diesel. Beide Technologien haben sich parallel entwickelt.
Zertifizierung
Sprechen wir über die Regulatorik. Wie aufwendig war es, die RFNBO-Zertifizierung zu bekommen?
Der eigentliche Zertifizierungsprozess hat drei bis vier Monate gedauert. Aber vorher mussten wir eine ganze Reihe weiterer Prozesse aufsetzen. Zum Glück hatten wir bereits eine ISO-9001-Zertifizierung, darauf konnten wir aufbauen. Für die Rückverfolgbarkeit arbeiten wir mit dem Dienstleister Atmen zusammen, der uns bei der digitalen Dokumentation unterstützt. Trotzdem bleibt viel manuelle Arbeit – da gibt es noch Potenzial für Automatisierung, etwa durch KI.
Lohnt sich der Aufwand?
Absolut. Ohne RFNBO-Zertifikat können Sie an vielen Ausschreibungen gar nicht teilnehmen. Und je größer die Anlagen werden, desto effizienter wird die Zertifizierung. Wenn man nur einen einzelnen Elektrolyseur hat, ist der Aufwand enorm. Aber mit einem ganzen Portfolio von Anlagen können Sie die Prozesse standardisieren. Deshalb werden kleine geförderte Einzelanlagen ohne Zugang zum Endkunden Schwierigkeiten bekommen.
Wasserstoffpolitik in Deutschland
Seit Mai ist die neue Regierung im Amt. Wie beurteilen Sie ihre bisherige Arbeit in Sachen Wasserstoff? Immerhin scheint es jetzt eine stärkere Hinwendung zu Themen wie Carbon Capture und blauem Wasserstoff zu geben, während die Ampel noch stark auf Grün gesetzt hat.
Ehrlich gesagt bin ich enttäuscht. Die Floskel der „Technologieoffenheit“ ist für mich ein Synonym für: „Ich weiß es nicht.“ Natürlich kann man blauem Wasserstoff eine Chance geben, Pilotprojekte fördern und Erfahrungen sammeln – so wie wir es mit grünem Wasserstoff getan haben. Aber man sollte nicht beide Technologien gleichstellen. Blauer Wasserstoff befindet sich noch in einem frühen Entwicklungsstadium, mit dem grünen gibt es inzwischen deutlich mehr Erfahrungswerte.
Was wäre Ihr Ansatz?
Erst einmal Pilotprojekte für blauen Wasserstoff, Learning by Doing, Fehler machen dürfen. Und dann, wenn die Technologie ausgereift ist, kann man über Großanlagen nachdenken. Aber direkt beide gleichstellen und blauen Wasserstoff genauso fördern wie grünen? Das halte ich für falsch. Zumal wenn im November das CO2-Speichergesetz kommt – dann wird der Hype um blauen Wasserstoff erst richtig losgehen.
Vermissen Sie ein klares Bekenntnis zu grünem Wasserstoff?
Ja. Und ich vermisse auch, dass die Politik mehr über heimische Champions spricht. In Frankreich nennt Macron regelmäßig Namen von Start-ups und Scale-ups, wenn er über Energie redet. Bei Merz oder Reiche höre ich nur die Namen großer Konzerne. Aber es gibt auch in Deutschland wichtige neue Player. Das demotiviert und zeigt, dass man nicht sieht, wer hier wirklich innovativ vorangeht.
Die Situation auf dem H2-Markt
Ein weiteres Thema, das die Branche bewegt: ArcelorMittal hat seine Wasserstoffpläne für die grüne Stahlproduktion gestoppt. Ist das ein Alarmsignal?
Man muss das differenziert sehen. ArcelorMittal ist ein indisches Unternehmen, und ich vermute stark, dass die Konzernzentrale beschlossen hat: Warum in Deutschland grünen Stahl produzieren und Milliarden investieren, wenn wir das auch in Indien machen können? Es ist sehr auffällig, dass ArcelorMittal diese Entscheidung an all seinen europäischen Standorten getroffen hat. Die Gefahr ist real, dass der grüne Stahl am Ende aus Indien kommt – oder aus China. Ich hoffe daher, das die anderen Stahlkonzerne weitermachen. Salzgitter und Saarstahl haben das klar angekündigt. Sie wissen: Wenn sie es nicht machen, bedient jemand anders die Nachfrage.

Luc Graré leitet seit Juli 2022 als Head of Central & Eastern Europe die Geschäfte von Lhyfe in Deutschland, Benelux, Österreich, Schweiz und Osteuropa. Der Belgier war zuvor Vice President Sales & Marketing bei Nel Hydrogen und in Führungspositionen bei Sony, LG Electronics und REC Solar tätig. Parallel ist Graré Managing Director von QWAY energy, einem Entwickler erneuerbarer Energien. Foto: Lhyfe
Viele bezeichnen die Marktlage als angespannt. Planen Sie mit Lhyfe weitere Standorte in Deutschland und Europa?
Definitiv. Wir entwickeln aktuell eine Anlage in Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern, die bis zu 800 MW skalierbar ist. Das heißt nicht, dass wir sofort mit 800 MW starten – die erste Phase könnte bei 200 MW liegen, je nach Nachfrage. In Delfzijl in den Niederlanden entsteht ebenfalls ein Großprojekt, das zwischen 2030 und 2032 ans Netz gehen soll. Von dort speisen wir direkt in den europäischen Wasserstoff-Backbone ein – zwar in Holland, aber mit direkter Anbindung nach Deutschland.
Woher beziehen Sie den Strom für solche Großprojekte?
Über langfristige Power Purchase Agreements (PPAs). Für die größeren Anlagen schließen wir Verträge mit Offshore-Windparks ab – etwa für 200 MW bis 300 MW Leistung. Der günstige Offshore-Strom fließt dann in unser Gesamtportfolio und kann für andere Anlagen wie Schwäbisch Gmünd genutzt werden. Das ist einer der vielen Vorzüge eines Anlagenportfolios: Man wird als Gesprächspartner für große Windparks interessant.
Wasserstoff international
Blicken wir noch einmal auf das große Bild. Wie bewerten Sie die Rolle Chinas in der globalen Wasserstoffwirtschaft?
China macht extrem viel. Wenn man über China fliegt, sieht man überall Windräder stehen. In den meisten Städten wird massiv in erneuerbare Energien investiert. Die Chinesen haben aber nicht nur günstigen Strom, sondern auch günstiges Equipment für grünen Wasserstoff und günstiges Equipment für E-Fuels. Und vieles davon wird auf den Weltmarkt kommen. Das ist die große Herausforderung für Europa.
Wie sollte die EU reagieren?
Wir brauchen endlich Leitmärkte. Ein Beispiel: Die öffentliche Hand kauft nur noch grünen Stahl für Infrastrukturprojekte – Eisenbahn, Behördengebäude und so weiter. Das würde die Kosten minimal erhöhen, aber die Nachfrage nach grünem Wasserstoff massiv ankurbeln. Dazu kommt: Grüner Stahl in einem Auto kostet den Endkunden vielleicht 300 € mehr – so viel wie eine Sonderlackierung. Aber die Politik traut sich nicht, solche Leitmärkte vorzugeben, weil es dann heißen könnte, sie treibe die Preise hoch.

Im September 2022 startete Lhyfe seine Offshore-Wasserstoffplattform „Sealhyfe“.
Foto: Lhyfe
Ausblick
Sie haben Anfang des Jahres von einem „Valley of Death“ der Wasserstoffbranche gesprochen. Gilt das noch?
Ja, wir sind immer noch da. Aber Achtung: Das Valley of Death bezieht sich auf die Stimmung, nicht auf die Umsätze. Viele Unternehmen haben Schwierigkeiten, sich zu finanzieren. Die Elektrolyseurhersteller haben ihre Kapazitäten massiv ausgebaut, aber die große Nachfrage aus der Industrie kommt erst 2029/30. Bis dahin könnten wir noch in einem Tal sein und weitere Insolvenzen und Projektstopps sehen. Aber – und auch das ist wichtig – der Umsatz mit grünem Wasserstoff wächst. Wir sind das beste Beispiel dafür.
Was ist Lhyfes Strategie, um das Tal der nächsten Jahre zu durchschreiten?
Wir fokussieren uns auf das operative Geschäft, skalieren und bauen Supply Chains auf. Momentan verfügen wir über 70 Tube-Trailer, modernste Technologie mit 380 bar. Damit können wir den Wasserstoff selbst von A nach B bringen. Das schaffen nur wenige. Es gibt in Deutschland viele geförderte Einzelanlagen, aber die sind darauf angewiesen, dass jemand wie wir ihnen den Wasserstoff abnimmt und zum Kunden bringt.
Letzte Frage: Wie beeinflusst die Energiepolitik der USA unter Donald Trump aus Ihrer Sicht die H2-Branche?
„Drill Baby Drill“ stärkt natürlich die fossile Lobby und schadet allen Bemühungen um Nachhaltigkeit. Aber Trump ist Teil einer politischen Bewegung, die wir auf der ganzen Welt sehen. Sie ist professionell organisiert und hat Kontrolle über Thinktanks, Geld und Medien. Die grüne Bewegung ist dagegen leider unprofessionell geworden.
Was wäre Ihre Hoffnung für Europa?
Dass wir verstehen: Ökologischer Kapitalismus funktioniert. Grüne Technologie schafft Arbeitsplätze und Wohlstand. Wir brauchen wieder eine Politik, die Ökologie und Wirtschaft zusammenbringt. Denn wenn der Westen jetzt seine ökologische Wende zurückdreht, wird vor allem China profitieren.
Herr Graré, vielen Dank für das Gespräch!
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