Stromnetze 04.03.2011, 19:52 Uhr

Das Stromnetz braucht Speicher – möglichst schnell

Der Anteil der erneuerbaren am Verbrauch elektrischer Energie soll bis 2030 in Deutschland mindestens 50 % erreichen. Doch Wind und Sonne sind nicht kontinuierlich verfügbar. Der Umbau geht also nicht ohne massive Speicherkapazitäten. Das bietet auch erhebliches Marktpotenzial.

„Wir müssen uns Ziele setzen, damit Speicher wirtschaftlich werden.“ So umreißt Dirk Uwe Sauer, Professor an der RWTH Aachen und einer der maßgebenden deutschen Experten für elektrische Energiespeicher, die aktuelle Situation der erneuerbaren Energien und ihrer Rolle in der politisch gewollten Energiewende.

Gleichzeitig prognostizieren die Marktforscher der Boston Consulting Group, das Geschäft mit Energiespeichern werde stark wachsen. Weltweit gebe es heute 100 GW Speicherkapazität, man brauche jedoch bis 2030 jedoch 330 GW, was Investitionen von 280 Mrd. € entsprechen würde.

Daher stehen die Speichertechnologien, keinen Tag zu früh, in der Mitte der Diskussion. Ansätze und Initiativen gibt es in Hülle und Fülle. Das erschwert die Bewertung für den gesamtwirtschaftlichen Erfolg. Die fünfte „International Renewable Energy Storage Conference“ (IRES) Ende November in Berlin hat das klar gemacht.

„Was wir brauchen, ist ein strategischer Ansatz“, sagt Sauer. Der Anspruch richtet sich an Technologen wie Stromanbieter. „Die Kraftwerks-kapazität übernimmt mehr und mehr Regelfunktionen in den Netzen.“ Speicher müssen sie dabei unterstützen. „Das Nachfahren der Kraftwerke ist zu teuer.“

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Die Spitzen und Lücken von Wind und Sonne müssen systematisch geglättet werden. Und zwar bald. Sonst wird eine ebenso fluktuierende Zwangsabschaltung der heute priorisierten Erzeuger erneuerbarer Energien zum Programm. Die Speicherkapazität im deutschen Netz, heute zu 95 % aus Pumpspeicherkraftwerken mit 6,6 GW Kapazität, müsse, so Sauer, verzehnfacht werden.

Aber wie? „Eine komplexe Frage ohne Antwort“, sagt Sauer. Die Vorschlagsliste möglicher Speichertechnologien ist lang. Deshalb, so Sauer, sei eine Klassifizierung nach Funktion und Nutzwert nötig, um alle Ansätze zielpragmatisch zu sortieren.

Modulare Speicher mit Doppelnutzung, also dezentrale Systeme. Dazu zählen Elektrofahrzeuge und auch der inzwischen geförderte Eigenverbrauch aus Photovoltaikanlagen.

Modulare Speicher für den Netzeinsatz sind Akkumulatoren, die neueren Redox-Flow-Batterien, supraleitende Spulen und „Supercaps“. Und die guten alten Schwungradspeicher.

Zentralisierte Großspeicher stehen im Gegensatz zu modularen und dezentralen, am Ort der Erzeuger platzierten Speichern. Dies sind Hydro-Pumpspeicher, Luftdruckspeicher und die Wasserstofferzeugung.

Zeitliche Energiespeicherkapazität ist die nächste Dimension der Klassifikation. Kurzzeitspeicher puffern Sekunden bis Minuten bei großem Verhältnis von Leistung zu gespeicherter Energie. Dazu zählen Batterien und Schwungräder. Mittelfristige Speicher überbrücken einige Tage – wie Hydro, Luftdruck, Redox-Flow-Batterien oder Elektrofahrzeuge. Langzeitspeicher, etwa Pumpspeicher oder Wasserstoff, bewahren die Energie über Wochen und Monate.

Differenzierung nach Energiewandlermedien nebst ihren Stärken und Schwächen könnte ebenfalls hilfreich beim gebotenen raschen Aufbruch in das neue Speicherzeitalter sein. „Electricity to Electricity“ ist die Stromentnahme aus dem Netz und ihre zeitversetzte Rückeinspeisung. „Anything to Electricity“ steht für Stromerzeugung aus anderen Energieformen oder die – virtuelle – Stromspeicherung durch die Steuerung von Stromverbrauchern. Schließlich ist „Electricity to Anything“ die negative, unproduktive Form der „Speicherung“ von Elektrizität in Energieformen mit niedrigerer Wertigkeit, auch Exergie genannt. Also in Kauf genommene Verluste durch Wärme oder Reibung.

Anhand dieser zugegeben abstrakten Klassifikation des Speichernutzens lassen sich der Wettbewerb und der Zeitrahmen der unterschiedlichen technischen Realisierungen evaluieren und beschreiben. Denn, das ist wichtig, sie alle wirken auf denselben Markt. In diesem Umfeld entscheiden dann kurz- und langfristige Handelsgrößen: Investitionen, Lebensdauerkosten und Umweltlasten.

„Bisher war das Netz so gut, dass es alle Zulieferungen aufnehmen konnte“, resümiert Sauer. Jetzt muss dringend etwas unternommen werden. Anders als das Gasnetz fungiert das Stromnetz nicht per se als Speicher. Das geltende Energiekonzept der Bundesregierung aber enthält keine Modelle, die das Speicherprinzip aufwerten. Ob die gebotene Umsteuerung auf die Speicherung bis 2020 machbar ist, ist zu bezweifeln.

Ein Beitrag von:

  • Werner Schulz

    Freier Fachjournalist in München. Schwerpunktthemen: Mikroelektronik, Solartechnik, Displaytechnologie.

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